Philipp Hildebrand, der frühere Chef der Schweizerischen Nationalbank und heutige Blackrock-Verwaltungsrat, warnt vor übertriebenen geldpolitischen Schritten, um die Inflation zu bekämpfen. «Das alte Handbuch gilt nicht mehr», schreibt er in einem Gastartikel in der «Financial Times».

Die heutige Situation sei nicht mit dem berühmten «Volcker-Moment» der siebziger Jahre vergleichbar, als der damalige Fed-Chef Paul Volcker zu harten Massnahmen griff. Wer die Inflation von damals mit den aktuellen Teuerungsschüben gleichsetze, verstehe die Mechanik dahinter nicht, so das Fazit von Hildebrand. Heute befände sich die Welt in einer «fundamental anderen Situation». Während in den siebziger Jahren eine von starker Nachfrage heiss gelaufene Wirtschaft die Teuerung anfeuerte, läge der Grund für die heutige Teuerung eher auf Angebotsseite. Warum ist das relevant?

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Inflation sei das «Geräusch des Wirtschaftsmotors», schreibt Hildebrand. Klassischerweise entstehe sie, wenn der Motor zu schnell läuft. Die heutige Inflation jedoch habe eher damit zu tun, dass der Motor Fehlzündungen verursache.

Einerseits habe sich nach der kurzen, aber heftigen Krise durch die Corona-Lockdowns die Nachfrage deutlich schneller erholt als das Angebot, argumentiert Hildebrand. Dies habe zu Preisschüben geführt.

Viel relevanter seien aber Verschiebungen innerhalb der Wirtschaft. Die Pandemie habe die Nachfrage von Dienstleistungen zu Gütern verschoben. Gleichzeitig konnte sich das Angebot weniger schnell daran anpassen. Die Preise in den Gütersektoren stiegen an, weil die Nachfrage zu hoch war. Gleichzeitig fielen die Preise in den Dienstleistungssektoren weniger schnell, als dies die fallende Nachfrage eigentlich implizieren würde. Das führte zu Inflation, obwohl die Konjunktur stockte. Und genau in dieser Situation befinde sich die US-Wirtschaft derzeit, schreibt Hildebrand. Obwohl die Wirtschaft weit davon entfernt sei, «heiss zu laufen», stiegen die Preise.

«Die Zentralbanken müssen entweder eine höhere Inflation akzeptieren oder bereit sein, die Nachfrage in der gesamten Wirtschaft buchstäblich zu zerstören, um die Angebotsbeschränkungen in einem Teil der Wirtschaft zu lockern.»

Philipp Hildebrand

Die traditionelle Lehrbuchmeinung besagt, dass Inflation mit einer restriktiveren Geldpolitik zu bekämpfen sei. Grundsätzlich ist das auch wenig bestritten, denn eine Verknappung des Geldes und höhere Zinsen führen dazu, dass weniger konsumiert und investiert wird. Das bremst die überhitzte Wirtschaft und beseitigt so den Nachfrageüberhang, der normalerweise die Preise anstiegen lässt.

«Höhere Inflation akzeptieren»

Doch das gelte heute eben nicht, so Hildebrand. «Dies ist in einer Welt, in der die Inflation das Ergebnis von Versorgungsengpässen ist, nicht möglich. (…) Die Zentralbanken müssen entweder eine höhere Inflation akzeptieren oder bereit sein, die Nachfrage in der gesamten Wirtschaft buchstäblich zu zerstören, um die Angebotsbeschränkungen in einem Teil der Wirtschaft zu lockern.»

Aufgrund langjähriger Erfahrungswerte lasse sich berechnen, dass, wenn die Teuerung unter 2 Prozent gehalten werden solle, die Arbeitslosigkeit auf ein Niveau mit zweistelligen Prozentsätzen hochgeschraubt werden müsse, so Hildebrand.

«Was [die Notenbanken] in dieser Phase nicht tun sollten, ist, auf die politische Bremse zu treten, um die wirtschaftliche Aktivität absichtlich zu zerstören.»

Philipp Hildebrand

Zentralbanken müssten mit der Teuerung leben. Aktuelle Forschung zeige, dass sie gar nicht erst versuchen sollten, Teuerung zu bekämpfen, die aus den erwähnten Nachfrage-Verlagerungen entstanden sei. Die Teuerung helfe sogar, diese Verlagerungen zu erleichtern.

Das heisse aber nicht, dass die Notenbanken weiterhin die Märkte anheizen sollten, hält Hildebrand fest. Die Banken sollten «ihren Fuss vom Gas» nehmen und zu einer eher «normalen» Geldpolitik zurückkehren. «Was sie aber in dieser Phase nicht tun sollten, ist, auf die politische Bremse zu treten, um die wirtschaftliche Aktivität absichtlich zu zerstören.»

Hildebrand schliesst mit: «Der beste Ansatz besteht jetzt darin, nicht mit der Geldpolitik Arbeitsplätze und Wachstum zu zerstören, sondern dafür zu sorgen, dass sich die Wirtschaft wieder erholt, wenn die Sorgen um die öffentliche Gesundheit nachlassen und sich der Ausgabenmix wieder normalisiert. Dies wird den akuten Inflationsdruck von heute verringern.»