Die EZB hat an ihren Leitzinsen nicht gerüttelt, will aber notfalls mit zusätzlichen Anleihenkäufen die wirtschaftlichen Folgen der Virus-Krise eindämmen. Die Währungshüter kündigten nach ihrer Ratssitzung am Donnerstag an, sie stünden wenn erforderlich bereit, ihre Anleihenkäufe erneut auszuweiten.
Zudem kündigten sie neue günstige Liquiditätsspritzen für Banken an. Den Schlüsselzins zur Versorgung der Institute mit Geld beliess die EZB bei 0,0 Prozent. Auf diesem Rekordtief liegt er bereits seit März 2016. Auch den Einlagensatz hielten sie auf dem bisherigen Niveau von minus 0,5 Prozent. Damit müssen Banken weiterhin Strafzinsen zahlen, wenn sie bei der Euro-Notenbank überschüssige Gelder parken. Inzwischen gibt es allerdings Freibeträge.
Die EZB hat in den vergangenen Wochen gleich anderen grossen Zentralbanken umfangreiche Massnahmen zur Eindämmung der wirtschaftlichen Folgen der Virus-Krise beschlossen. Das Programm «Pandemic Emergency Purchase Programme» (PEPP) soll solange laufen, bis der EZB-Rat die Corona-Krise für bewältigt hält - in jedem Fall mindestens bis zum Ende dieses Jahres.
Die Käufe helfen Staaten wie Unternehmen: Sie müssen als Anbieter der Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine Zentralbank als grosser Käufer am Markt auftritt. Die Mitgliedstaaten im gemeinsamen Währungsraum versuchen, mit milliardenschweren Rettungspaketen in der Corona-Krise das Schlimmste zu verhindern. Die Folge: Die Verschuldung der Staaten steigt, das belastet insbesondere hoch verschuldete Länder.
Neues Programm: günstige Langfristfinanzierungen
Zur Unterstützung der Kreditvergabe in der Corona-Krise legt die EZB ein zusätzliches Programm mit besonders günstigen Langfristfinanzierungen auf, das in diesem Mai starten soll. Die Bedingungen für bereits laufende Kreditprogramme werden zudem weiter gelockert. Das soll Banken in die Lage versetzen, angesichts der wirtschaftlichen Verwerfungen infolge der Pandemie Unternehmen mit ausreichend Geld zu versorgen.
Damit summieren sich die für dieses Jahr geplanten Anleihenkäufe inzwischen auf 1,1 Billionen Euro. Auch die Regeln für Sicherheiten, die Geldhäuser für den Erhalt von Notenbank-Krediten einreichen müssen, wurden gelockert. Damit will die EZB Liquiditätsengpässe in der Finanzbranche verhindern.
Friedrich Heinemann, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW):
«Auch wenn die EZB das EZB-Kaufprogramm PEPP heute noch nicht weiter aufgestockt hat, spielt es derzeit eine Schlüsselrolle, die Euro-Zone vor einer neuen Schuldenkrise zu bewahren. Die umfangreichen Käufe von südeuropäischen Staatsanleihen durch das Eurosystem sind am geringen Zinsaufschlag von italienischen Staatsanleihen ablesbar. Die Renditen bleiben moderat, obwohl sich die Bonität des Landes rasant verschlechtert und die Tendenz bei den Ratings in Richtung Ramschniveau zeigt. Hinter den niedrigen Risikoaufschlägen steckt die Erwartung der Investoren, dass die EZB bereit ist, italienische Anleihen ohne Limit zu kaufen und das PEPP auch um Billionen aufzustocken, solange die Corona-Rezession wütet.»
Uwe Burkert, LBBW-Chefökonom:
«Die EZB hat noch eine volle Breitseite Liquidität auf die Märkte abgefeuert. Wir hatten eigentlich erwartet, dass die EZB nach den bisherigen Massnahmen erst einmal abwartet, aber flexibel bleibt und gegebenenfalls zwischen den Terminen neue Massnahmen ergreift, falls erforderlich. Was wir jetzt haben, kommt einer weiteren Zinssenkung gleich. Natürlich ist die wirtschaftliche Lage dramatisch schlecht, aber das ist ja der medizinischen Situation und den damit verbundenen Massnahmen geschuldet. Die heutigen Massnahmen werden die Schuldenaufnahme der Euro-Staaten nochmals verbilligen. Nach der Pandemie wird man in Frankfurt, Brüssel und Berlin eine umfassende Bestands- und Schadensaufnahme vornehmen müssen.»
Ralf Umlauf, Helaba:
«Die EZB überrascht zwar nicht mit den Zinsniveaus und den Anleihekäufen, wohl aber mit neuen Refi-Operationen und der Tonlage. Weitere Lockerungen der Konditionen der TLTRO III und neue PELTROs wurden beschlossen und zielen darauf ab, dem Bankensektor zu helfen. Refinanzierungen deutlich unterhalb des Einlagenzinses werden möglich, was Unterstützung bietet. In den kommenden Jahren und nach dem Überwinden der Pandemie wird die Herausforderung sein, einen geordneten Rückzug aus den Extremmassnahmen zu starten. Dies wird wohl auch in Abhängigkeit zu den Geldmengenentwicklungen und dem zugrundeliegenden Inflationspotenzial geschehen. Auf absehbare Zeit ist damit aber nicht zu rechnen.»
(reuters/mlo)
Zudem stehen die Währungshüter bereit, alle verfügbaren Instrumente anzupassen, um die Wirtschaft der Eurozone inmitten der Corona-Krise zu stützen. Die EZB rechnet wegen der Virus-Krise mit einem drastischen Konjunktureinbruch. Die Wirtschaft in der Euro-Zone werde dieses Jahr voraussichtlich zwischen 5 und 12 Prozent schrumpfen, sagte Notenbankchefin Christine Lagarde am Donnerstag nach der Zinssitzung in Frankfurt.
«Die Euro-Zone steht vor einem wirtschaftlichen Rückgang von einem Ausmass und einer Geschwindigkeit, der in Friedenszeiten beispiellos ist», sagte sie. «Massnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus haben die wirtschaftliche Aktivität in allen Ländern der Euro-Zone und weltweit weitgehend zum Stillstand gebracht.» Das Tempo der erwarteten Erholung nach der Krise sei ungewiss.
Lagarde hatte den Staats- und Regierungschef beim jüngsten virtuellen EU-Gipfel gewarnt, das BIP im Währungsraum könne um bis zu 15 Prozent schrumpfen.
Konjunktureinbruch in der Eurozone
Ganz so schlimm is es bisher noch nicht: Seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal um 3,8 Prozent eingebrochen, wie das Europäische Statistikamt Eurostat mitteilt.
Dies sei der stärkste Rückgang seit Beginn der Zeitreihe 1995. Die Wirtschaft im Euro-Währungsraum war bereits angeschlagen in die Krise gegangen und steuert nun auf eine tiefe Rezession zu: Im vierten Quartal 2019 war das BIP nur minimal um 0,1 Prozent gestiegen.
Die französische Wirtschaft ging zu Jahresbeginn so stark in die Knie wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das BIP verringerte sich um 5,8 Prozent. Auch die spanische Wirtschaft schrumpfte in Rekordtempo: Das BIP ging um 5,2 Prozent zurück.
Tiefe Inflation
Die Coronavirus-Krise lässt auch die Inflation im Euro-Raum immer weiter unter die Zielmarke der EZB absacken. Im April zogen die Verbraucherpreise im Währungsraum binnen Jahresfrist nur noch um 0,4 Prozent an, wie die Europäische Statistikbehörde Eurostat am Donnerstag auf Basis einer Schnellschätzung mitteilte.
Viele Euro-Länder hatten mit umfangreichen Geschäftsschliessungen und Beschränkungen des öffentlichen Lebens auf den Virus-Ausbruch reagiert. Unter anderen wegen der nachlassenden Nachfrage sank der Ölpreis. Ingesamt verbilligte sich Energie im April um 9,6 Prozent. Die Preise für Lebensmittel, Alkohol und Tabak zogen dagegen um 3,6 Prozent an. Dienstleistungen verteuerten sich um 1,2 Prozent.
Die EZB peilt knapp zwei Prozent Inflation als Idealwert für die Wirtschaft an, verfehlt dieses Ziel aber bereits seit Frühjahr 2013.
Arbeitslosigkeit gestiegen
Auch die Arbeitslosigkeit im Euroraum ist mit den ersten Anzeichen der Coronavirus-Krise leicht gestiegen. Die bereinigte Arbeitslosenquote kletterte im März auf 7,4 Prozent. Im Februar hatte es mit 7,3 Prozent noch den tiefsten Stand seit März 2008 gegeben.
(mlo, mit Agenturmaterial)