Die Europäische Zentralbank (EZB) muss nach Einschätzung ihres Chefvolkswirts Philip Lane noch weitere Massnahmen ergreifen, bis die Leitzinsen die Konjunktur nicht mehr antreiben. «Dem EZB-Rat ist voll bewusst, dass auf den nächsten Sitzungen ein weiterer Weg zurückgelegt werden muss, um das bestehende hochgradig konjunkturfördernde Niveau der Leitzinsen zu verlassen», sagte Lane am Dienstag auf einer Veranstaltung in New York. Zahlenmässige Schätzungen seien aber mit einer erheblichen Unsicherheit versehen.

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Die nächste Zinssitzung der EZB ist am 27. Oktober. Zuletzt hatten mehrere Währungshüter gefordert, dass dann ein erneuter ungewöhnlich kräftiger Zinsschritt nach oben um 0,75 Prozentpunkte zumindest auf der Tagesordnung stehen sollte.

Zins erhöhen als Anleihen verkaufen

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte unlängst erläutert, das erste Ziel der EZB sei es, zunächst das Zinsniveau zu erreichen, mit dem die Wirtschaft weder angeschoben noch gebremst werde. Volkswirte sprechen hier von dem sogenannten neutralen Zinsniveau. Dieses liegt aus Sicht der Ökonomen derzeit beim Einlagensatz, aktuell der massgebliche Zinssatz an den Finanzmärkten, zwischen 1,5 und 2,0 Prozent. Die EZB hatte ihren Einlagenzins zuletzt im September auf 0,75 Prozent angehoben.

Lane zufolge würde es eine weitere Straffung der Geldpolitik erfordern, wenn beobachtet werde, dass die Massnahmen der Währungshüter schwächer oder langsamer in der Wirtschaft ihre Wirkung entfalteten. Sollte die Geldpolitik dagegen stärker oder schneller als erwartet in der Wirtschaft ankommen, denn wäre eine weniger straffe Ausrichtung nötig.

Zudem argumentierte der oberste Volkswirt der Euro-Notenbank dahingehend, dass Zinserhöhungen womöglich eine grössere Wirkung am Anleihemarkt haben könnten als eine Reduzierung der durch die jahrelangen Anleihenkäufe aufgeblähten Bilanz der Notenbank. Die Euro-Wächter hatten unlängst auf ihrem Treffen in Zypern über einen Bilanzabbau durch Verringerung der Anleihenbestände – eine sogenannte «quantitative Straffung» – gesprochen.

(Reuters/mth)