Europas Währungshüter steuern nach eigener Aussage auf ein Ende ihrer ultralockeren Geldpolitik zu. Wann die Zinsen erstmals wieder steigen, bleibt aber weiter offen.

Trotz Rekordinflation bleiben die Zinsen im Euroraum vorerst unverändert. Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) beliess den Leitzins auf dem Rekordtief von null Prozent, wie die Notenbank im Anschluss an die Ratssitzung am Donnerstag mitteilte. Europas Währungshüter bekräftigten zugleich aber, auf ein Ende ihrer ultralockeren Geldpolitik zuzusteuern. Ökonomen halten einen ersten Zinsschritt noch in diesem Jahr für möglich.

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Aktuelle Daten verstärkten die Erwartung, dass der Erwerb zusätzlicher Anleihen von Staaten und Unternehmen im Rahmen des Kaufprogramms APP im dritten Quartal 2022 enden sollte, erklärte die Notenbank. Die Währungshüter haben sich darauf festgelegt, erst nach dem Ende der Nettokäufe die Zinsen zu erhöhen.

Höhere Zinsen möglich

Im Juni werde er zusammen mit seinen Kollegen im EZB-Rat auf der «Basis frischer Daten» über die künftige Geldpolitik entscheiden, sagte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel jüngst im Interview mit dem ARD-Magazin Plusminus. «Was wir jetzt sehen, deutet darauf hin, dass sich möglicherweise auch der Sparer bald wieder über höhere Zinsen freuen kann.»

Der Ukrainekrieg belastet die Wirtschaft im Euroraum und heizt die Energiepreise weiter an, die bereits zuvor Haupttreiber der Teuerung waren. Die EZB, deren oberstes Ziel stabile Preise bei einer Teuerungsrate von zwei Prozent sind, ging zuletzt von einem schwächeren Wirtschaftswachstum und einer deutlich höheren Inflation im laufenden Jahr aus als noch im Dezember vorhergesagt.

Im Euroraum erreichte die Teuerungsrate im März mit 7,5 Prozent den höchsten Stand seit Einführung des Euro als Verrechnungswährung 1999. «Die Inflationsdaten sprechen eine deutliche Sprache. Die Geldpolitik darf nicht die Gelegenheit verpassen, rechtzeitig gegenzusteuern», mahnte Bundesbank-Präsident Nagel.

Der Leitzins im Währungsraum der 19 Länder liegt seit nunmehr rund sechs Jahren auf dem Rekordtief von null Prozent. Banken, die Gelder bei der EZB parken, müssen darauf seit Juni 2014 Zinsen zahlen, aktuell liegt dieser Einlagenzins bei minus 0,5 Prozent. Freibeträge für bestimmte Summen sollen die Institute bei den Kosten dafür entlasten. Im Rahmen des seit 2015 genutzten Programms APP steckte die EZB schon mehr als drei Billionen Euro in Staatsanleihen und Unternehmenspapiere, was die Konjunktur stützt.

Analysten warnen

Ökonomen sagten in ersten Reaktionen zum Zins-Nichtentscheid:

Jörg Krämer (Commerzbank): 

«Leider hat die EZB heute trotz einer Inflationsrate von 7,5 Prozent nicht beschlossen, ihre Nettoanleihekäufe und Minus-Zinsen früher zu beenden. Dieses Abwarten ist riskant. Je länger die EZB an ihrer sehr lockeren Geldpolitik festhält, desto mehr steigen die Inflationserwartungen der Menschen und setzt sich die sehr hohe Inflation dauerhaft fest. Die EZB sollte ihren Leitzins zügig in Richtung auf ein zumindest neutrales Niveau anheben, das bei rund zweieinhalb Prozent liegen dürfte.»

Alexander Krüger (Hauck Aufhäuser Lampe):

«Ein ultimatives Enddatum für ihre Nettokäufe nennt die EZB weiterhin nicht. Sie liebäugelt aber stark damit, ihre Nettokäufe im dritten Quartal 2022 zu beenden. Auch der zinspolitische Fahrplan bleibt unbestimmt. Die EZB hält aber daran fest, dass Leitzinsen frühestens 'einige Zeit' nach den beendeten Nettokäufen erfolgen. Wahrscheinlich sind das drei bis vier Monate. Andernfalls hätte die EZB wohl von 'kurz' gesprochen. Wie der Leitzinserhöhungspfad konkret aussehen wird, ist damit weiter offen. Nach wie vor sieht es nicht danach aus, dass die EZB zu einer ernsten Inflationsbekämpfung übergehen wird.»

Friedrich Heinemann (ZEW):

«Die EZB behauptet, dass sie in einem Dilemma stecke, weil sie gleichzeitig mit einer hohen Inflation und der kriegsbedingten Rezessionsgefahr konfrontiert sei. Man kann den Mitgliedern des EZB-Rats in dieser Situation nur empfehlen, in die europäischen Verträge zu schauen. Hier findet sich eine klare Antwort, wie die EZB in einer solchen Situation zu entscheiden hat: Die Preisstabilität ist das vorrangige Ziel, diesem sind andere Ziele untergeordnet. Das angebliche Dilemma existiert nicht, wenn die EZB ihren Auftrag ernst nimmt. Jeder Monat des Zauderns fügt der Reputation dieser wichtigen europäischen Institution daher Schaden zu.

Eine Serie von massiven Inflations-Fehlprognosen der EZB-Ökonominnen und Ökonomen nährt zudem den Verdacht, dass die Bewertung der Inflationsdynamik vom Wunsch nach einer fortdauernden Niedrigzinspolitik getrieben wird und nicht umgekehrt die Zinspolitik auf einer unverzerrten Inflationsprognose basiert.»

(reuters/sda/awp/gku)