Während die Coronafallzahlen steigen, wird die Anordnung eines zweiten Lockdowns für die Schweiz wieder wahrscheinlicher. Laut dem Chef der Konjunkturforschungsstelle Kof der ETH Zürich, Jan-Egbert Sturm, müsste ein solcher möglichst kurz und hart sein. Allerdings sei ein Kurz-Lockdown von zwei Wochen wohl utopisch.
Herr Sturm, seit Anfang Oktober nehmen die Coronafallzahlen in der Schweiz wieder stark zu. Für die aktuelle KOF-Prognose ziehen Sie deshalb zwei mögliche Szenarien in Betracht. Im Basisszenario gehen Sie davon aus, dass die Wirtschaft sich weiter erholt und die Entwicklung V-förmig aussieht. Wie muss man sich das Alternativszenario vorstellen?
Jan-Egbert Sturm: Im Alternativszenario haben wir erst einmal das «V» der Vergangenheit; das heisst einen Rückgang im ersten und zweiten Quartal und dann die sehr starke Erholung im dritten Quartal, die uns allerdings noch nicht ganz wieder auf das Vorkrisenniveau zurückgebracht hat. Dann geht es in zwei sehr schwachen Quartalen nochmals runter, bis langsam wieder eine Normalisierung eintritt. Um wirklich ein Bild zu zeichnen, würde wohl am ehesten ein «W» mit einem deutlich langgezogenen rechten Bogen zutreffen.
Wie wahrscheinlich sind denn die beiden Szenarien?
Die Fallzahlen momentan sind sehr beunruhigend und auch die Hospitalisierungen steigen deutlich an. Wenn das so bleibt, wird es in einigen Wochen nicht mehr ohne einen weiteren Lockdown gehen. Leider wird deshalb das Negativszenario immer wahrscheinlicher. Doch jetzt gibt es noch etwas Spielraum für die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Politik, sofort zu handeln und damit einen Lockdown zu verhindern.
Aus gesundheitspolitischer Sicht ist ein weiterer Lockdown wahrscheinlich, die Wirtschaft wehrt sich aber gegen weitere Einschnitte.
Es gibt nicht entweder die Eindämmung der Ansteckungen oder die Rettung der Wirtschaft, wir verfolgen alle dasselbe Ziel: nämlich einen weiteren Lockdown zu verhindern. Um weiterzukommen, müssen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenarbeiten. Das heisst auch, dass die Wirtschaft ihren Teil leisten muss. Denn Ansteckungen gibt es nicht nur in Clubs, sondern auch am Arbeitsplatz.
Wäre denn ein zweiwöchiger Kurz-Lockdown, wie er diskutiert wird, eine Lösung?
Wenn ein weiterer Lockdown tatsächlich unvermeidbar ist, sollte dieser besser kurz und radikal sein. Aber man sollte nicht die Illusion haben, dass zwei Wochen reichen. Wir haben ja im Frühling viel länger als zwei Wochen gebraucht, um die Fallzahlen einzudämmen. Deshalb sollten wir uns jetzt keine falschen Hoffnungen machen.
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Ob Lockdown oder nicht, es gibt viele Firmen, die diese Krise nur dank der Kurzarbeit überleben. Soll man diese Massnahme verlängern und damit gewisse Unternehmen künstlich am Leben halten oder sind Entlassungen oder Konkurse nun unvermeidbar?
Wenn wir tatsächlich wieder in eine Form von Lockdown hineingehen, ist es auch angebracht, dass der Staat den leidenden Firmen weiter Unterstützung in Form von Kurzarbeit gewährt. Wie sehr der Staat in die Wirtschaft eingreifen soll, hängt aber sehr von der Dauer der Krise ab.
Was meinen Sie damit?
Im Frühling haben wir noch gedacht, dass die Pandemie eine kurzfristige Sache wird und wir danach wieder da anknüpfen können, wo wir aufgehört haben. Doch nun wird es immer wahrscheinlicher, dass es für längere Zeit oder sogar nie mehr so wird wie vorher. Wir stecken zum Teil bereits in einem Strukturwandel und damit werden in gewissen Branchen auch Insolvenzen unvermeidbar.
Aber auch wenn die Kurzarbeit irgendwann aufgehoben wird, ist die Krise für den Staat enorm teuer. Was können wir tun, um das Loch, das die Coronakrise in der Staatskasse verursacht, wieder zu stopfen?
Die Schweiz hat eine recht tiefe Verschuldung. Man könnte also guten Gewissens sagen, dass man diese Erhöhung des Schuldenberges nicht sofort abbaut, sondern längerfristig zurückzahlt - also faktisch die Rückzahlung den nächsten Generationen überlässt. Doch für viele in der Schweiz ist das keine Option, sie wollen die Schulden schnellstmöglich abbauen.
Welche Möglichkeiten gäbe es sonst? Sprechen Sie hier Ihre kürzlich geäusserte Idee einer Steuer für Krisengewinner an?
Wir können entweder die Ausgaben kürzen oder die Einnahmen steigern. In vielen Bereichen der öffentlichen Hand werden bereits Einschnitte befürchtet. Ich glaube nicht, dass es förderlich wäre, hier anzusetzen. Auf der Einnahmeseite gibt es verschiedene Möglichkeiten, eine davon wäre auch die Unternehmensbesteuerung. Dadurch würden Firmen mit höheren Gewinnen auch einen höheren Beitrag leisten als diejenigen, die niedrigere Gewinne erzielt haben.
Interview: Tabea von Ow
(awp/mlo)