Das auf Start-ups spezialisierte US-Finanzinstitut Silicon Valley Bank (SVB) ist nach einer gescheiterten Notkapitalerhöhung vorübergehend geschlossen und unter staatliche Kontrolle gestellt worden. Kunden können derzeit nicht auf Konten zugreifen. Dies hat die US-Einlagensicherung FDIC verfügt.
Zum Schutz der Kunden sind alle versicherten Einlagen der Bank in eine neue Zweckgesellschaft überführt worden. Dies, nachdem ihre Kunden in den vergangenen Tagen viel Geld von den Konten abzogen. Dies grosse Frage ist jetzt, was am Montag passiert. Die 17 Filialen der Bank sollen wieder öffnen und Kunden spätestens dann wieder Zugang zu diesem Geld haben.
Laut FDIC verwaltete die Bank per Ende Jahr Vermögen im Wert von 209 Milliarden Dollar und führten 175,4 Milliarden Dollar Einlagen. Wie viel davon von der Einlagensicherung abgedeckt wird, sei zunächst unklar. Bei Beträgen über der Versicherungsgrenze von 250 000 Dollar gilt eine volle Rückerstattung als zweifelhaft. Vor allem für Unternehmen ergibt sich dadurch grosse Ungewissheit.
Die Aktien von SVB waren am Freitag nach einem Kursrutsch aufgrund der akuten Notlage vom Handel ausgesetzt worden.
Auch andere Banken gerieten an der Börse erheblich unter Druck. Am Donnerstag hatte bereits die freiwillige Abwicklung der US-Kryptobank Silvergate Capital Schockwellen durch Teile des Finanzsektors geschickt. Silvergate hatte im Zuge der Pleite der Kryptobörse FTX bereits gewarnt, das Geschäft möglicherweise einstellen zu müssen. Die Silvergate kündigte aber an, sämtliche Kundeneinlagen zurückzuzahlen.
Reaktion in Europa
Die Probleme der US-Banken sorgten auch an den europäischen Börsen für Verunsicherung und liessen etwa die Kurse von Deutscher Bank und Commerzbank zeitweise deutlich absacken. Laut dem Harvard-Professor und früheren US-Finanzminister Larry Summers sind grosse Sorgen vor Ansteckungsgefahren aber übertrieben. Im US-Finanzsender Bloomberg TV sprach Summers von einer Überreaktion, solange die Krise bei SVB vernünftig bewältigt und Kundengelder ausgezahlt würden, sei von keinen systemischen Risiken für den Bankensektor. «Zwar deutet die SVB wohl nicht auf eine breitere Bankenkrise, sie könnte dennoch der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt», sagt dagegen Analyst Neil Wilson von Markets.com.
Bei der SVB-Gruppe, zu der die Silicon Valley Bank gehört, hatte der stets steigende Liquiditätsverbrauch ihrer Kunden aus dem Startup-Bereich die Einlagen schnell gedrückt. Um den Liquiditätsbedarf abzudecken, verkaufte die SVB ihr Anleihenportfolio mit einem Verlust von 1,8 Milliarden Dollar - etwa so viel wie der Nettogewinn der Finanzgruppe 2021. Um ihre Bilanzen zu stärken und diese Verluste abzufedern, platzierte die SVB Aktien im Wert von 1,75 Milliarden Dollar auf den Markt.
Man glaubt nicht den Banken
Die Entwicklungen verursachten eine Vertrauenskrise im Bankensektor: Denn die SVB habe einen viel zu hohen Anteil ihrer Vermögenswerte in langfristige US-Staatsanleihen investiert, die sie für eine sichere Anlage hielt – doch nun sind sie viel weniger wert, schreibt Analyst Wilson in einem Kommentar.
«Die Investoren warten jetzt auf Klarstellungen der grossen Banken, ob und in welchem Ausmass die Probleme von SVB Financial auch auf sie zutreffen», sagte Jochen Stanzl, Chef-Marktanalyst bei CMC Markets. Viele Banken hielten Anleihen, deren Kurse teilweise deutlich eingebrochen seien, sagte der Analyst. Der Markt fürchte jetzt eine Implosion in den Bilanzen der Banken. Auch deutsche Geldhäuser stünden jetzt im Visier, weil der Startup-Finanzierer SVB Financial etwas offenbart habe, was auch sie angehen könnte: unrealisierte Verluste im Anleiheportfolio, sagt Stanzl.
Drastischer Kurssturz der SVB
«Die Stimmung ist, was den Bankensektor angeht, sehr fragil nach dem Aktienverkauf von SVB, der Sorgen vor Kapitalisierungsrisiken im Sektor ausgelöst hat», sagt Marktanalystin Fiona Cincotta von City Index. «Das öffnet den Investoren die Augen für ein Problem, das sie bisher nicht auf dem Radar hatten.» Die US-Bank Morgan Stanley geht allerdings in einer ersten Reaktion nicht davon aus, dass das Phänomen SVB auch auf weitere Institute in der Region anwendbar sei: Der Finanzierungsdruck sei eigentümlich für die Silicon Valley Bank.
Nach dem drastischen Kurssturz versucht die SVB ihre Kunden auf dem Wagniskapitalmarkt zu beruhigen. SVB-Chef Gregory Becker habe sie angerufen und versichert, dass ihr Geld bei dem Institut geschützt sei, sagten zwei Insider der Nachrichtenagentur Reuters. Die Investoren blieben jedoch trotz der Platzierung der Aktien besorgt: Die Bank zählt Tech-Unternehmen zu ihren wichtigsten Kunden, die seit dem vergangenen Jahr mit einer stets verschlechternden finanziellen Lage kämpfen, auch weil durch die Anhebung der Zinsen der US-Notenbank Fed die Aufnahme von Krediten teurer wird. SVB-Chef Becker informierte die Investoren in einem Brief über die Risiken: Seine Unternehmenskunden verbrauchten immer mehr Liquidität, was zu niedrigeren Einlagen führe.
Einige Startups würden bereits ihren Geldgebern empfehlen, Kapital von dem Institut vorsichtshalber abzuziehen. Dazu gehört auch der Founders Fund von US-Tech-Investor Peter Thiel, sagte eine mit den Vorgängen vertraute Person.
(Reuters/AWP/val)