Da hat uns die Natur ja wieder eine Lektion erteilt. Vor ein paar Tagen präsentierte das World Economic Forum den neuen «Global Risk Report 2020»: Darin legten gut tausend «Leader» aus aller Welt dar, wo sie derzeit die grössten Gefahren für die globale Wirtschaft wittern. Erstmals in der Geschichte dieses Berichts kamen die fünf gefürchtetsten Bedrohungen allesamt aus dem Feld der Umwelt – etwa Klimawandel, extreme Wetterbedingungen, Verlust der Biodiversität.
Fast zeitgleich publizierte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich einen Bericht, der dem berühmten Gefahrensymbol des Schwarzen Schwans einen spekulativen Bruder gegenüberstellte: «The Green Swan» – den Grünen Schwan. Die Finanzwelt, so die These, sollte auch Umweltkatastrophen ungeahnter Art und Herkunft in ihre Crash-Szenarien einberechnen.
Als die Warner in Europa ihre Berichte vorlegten, beugten sich in Wuhan und Beijing bereits zahlreiche Biologen und Immunologen über eine neuartige Erscheinung. Da war ein Virus aufgetaucht, das nicht ins gewohnte Muster passte, und die Frage aller Fragen lautete: Wie riskant ist das? Ein paar Tage später erschütterte es die Welt: gestrichene Flüge, vernagelte Fabriken, gecancelte Reisen, unterbrochene Lieferketten, abgesagte Veranstaltungen, Angst. Ganze Millionenstädte wurden abgeriegelt.
Die Macher des «Global Risk Report» hatten auch nach solchen Bedrohungen gefragt. Doch sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch der «Impact» einer Pandemie wurden als eher tief eingeschätzt – als ein Risiko von zweitrangiger Bedeutung.
Und so sind wir heute, zwei Wochen später und entsprechend schlauer, natürlich versucht, den ganzen WEF-Bericht zu belächeln: dumm gelaufen. Immerhin bestätigt sich wieder einmal, dass der Mensch vor allem das fürchtet, was er kennt und worüber die Medien besonders laut berichten. Vor zehn Jahren, 2010, benannte der «Global Risk Report» einen Zerfall der Vermögenswerte als virulenteste und gravierendste Wirtschaftsgefahr, was sehr verständlich war: Die Finanzkrise steckte noch allen in den Knochen.
Schwäne hören im Medienlärm
Die gängigen Risikoszenarien der Wirtschaftswelt, so zeigt sich, entstehen eher rück- als vorausschauend. Obendrein ist das Problem nicht allein, dass Schwarze Schwäne oft ausserhalb unserer Vorstellungskraft herumflattern – sondern dass wir sie im Lärm der sozialen und anderen Medien sowieso übersehen würden.
Glaubt man den Experten, so gibt es beim neuen Virus 2019-nCoV mehrere realistische Szenarien. Schlimmstenfalls entwickelt es sich zu einem wiederkehrenden Phänomen mit vielfach tödlichem Ausgang: Das könnte die Welt verändern. Bestenfalls wird die Epidemie in zwei bis drei Monaten unter Kontrolle gebracht und bald darauf vergessen.
Dann aber sähe die Risikokarte nochmals ganz anders aus. Die WEF- und BIZ-Reports wirkten wieder überzeugender – und es wäre höchste Zeit, dass wir uns doch mit Klimagefahren oder anderen Grünen Schwänen beschäftigen.