Auf der ganzen Welt haben die Risiken zugenommen: Den asiatischen Volkswirtschaften droht Gefahr aus China. Lateinamerika droht Gefahr durch niedrigere Rohstoffpreise, da sich das Wachstum sowohl in China als auch in den hochentwickelten Volkswirtschaften verlangsamt. Mittel- und Osteuropa droht Gefahr aus der Euro-Zone. Auch die Turbulenzen im Nahen Osten verursachen ernste wirtschaftliche Risiken, da sie die geopolitischen Risiken befeuern und über verteuerte Ölpreise das globale Wachstum bremsen.
Die Fehler in Chinas Wachstumsmodell
Eine Rezession in der Euro-Zone ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicher. Zwar lässt sich ihre Tiefe und Länge nicht vorhersagen, doch implizieren die anhaltende Kreditverknappung, die staatlichen Schuldenprobleme, der Mangel an Wettbewerbsfähigkeit und die Sparpakete einen ernsten Abschwung. Der US-Wirtschaft, die seit 2010 im Schneckentempo wächst, drohen ihrerseits beträchtliche Risiken aus der Krise in der Euro-Zone. Sie muss zudem eine erhebliche kalte Progression, die anhaltende Entschuldung der privaten Haushalte und einen zunehmende soziale Ungleichheit sowie politischen Stillstand bewältigen. Was die übrigen grossen hochentwickelten Volkswirtschaften angeht, so steckt Grossbritannien gegenwärtig in einer W-förmigen Rezession, da frühzeitige Haushaltskonsolidierung und von der Euro-Zone ausgehende Gefahren das dortige Wachstum untergraben. In Japan verpufft der auf das Erdbeben folgende Aufschwung, da die schwachen Regierungen des Landes versäumen, Strukturreformen umzusetzen.
Zugleich werden die Fehler in Chinas Wachstumsmodell deutlich. Fallende Immobilienpreise sind dabei, eine Kettenreaktion auszulösen, die negative Auswirkungen auf Bauträger, Investitionen und Staatseinnahmen haben wird. Der Boom im Baugewerbe kommt derzeit zum Erliegen − und zwar genau zu einem Zeitpunkt, da die Nettoexporte aufgrund der Nachfrageabschwächung in den USA und insbesondere der Euro-Zone das Wachstum belasten. Nachdem sie zunächst bemüht war, die galoppierende Preisentwicklung auf dem Immobilienmarkt zu bremsen und dort eine Abkühlung herbeizuführen, muss die chinesische Führung nun an einer neuen Front kämpfen: Sie muss alles tun, um das Wachstum wieder in Gang zu kriegen.
Mit diesem Problem steht Peking indes nicht alleine da. Auch in den USA, in Europa und in Japan hat die Politik schwierige Wirtschafts-, Fiskal- und Finanzreformen hinausgeschoben, wie sie erforderlich sind, um ein nachhaltiges, ausgewogenes Wachstum wiederherzustellen. Der Schuldenabbau im privaten und im öffentlichen Sektor hat in den hochentwickelten Volkswirtschaften gerade erst begonnen. Die Bilanzsituation der Haushalte, Banken und Finanzinstitute, Kommunen, Regional- und Zentralregierungen ist nach wie vor angespannt. Nur für Spitzenunternehmen hat sich die Lage verbessert.
Für die Mehrzahl der Firmen gilt weltweit jedoch eine andere Realität. Angesichts so vieler anhaltender, auf der Endnachfrage lastender Extremrisiken und globaler Unsicherheiten sowie von Kapazitätsüberschüssen halten sich die Unternehmen mit Anlageinvestitionen und Neueinstellungen nach wie vor zurück.
Die wachsende soziale Ungleichheit – die teilweise auf den Abbau von Arbeitsplätzen im Rahmen von Unternehmensumstrukturierungen zurückzuführen ist – verringert die Gesamtnachfrage weiter. Das wiegt schwer, denn die Haushalte, die ärmeren Bürger und die Bezüger von Arbeitseinkommen geben tendenziell mehr Geld aus als die Unternehmen und Reiche, die von ihren Kapitaleinkünften leben. Zudem könnte ein zusätzliches Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung von gesellschaftlicher und politischer Instabilität ausgehen, da die Ungleichheit weltweit öffentliche Proteste anheizt.
Ungleichgewichte finden sich auch auf der höchsten Ebene des Systems. So sind die Leistungsbilanzunterschiede zwischen den USA und China und innerhalb der Euro-Zone unvermindert gross. Eine geordnete Anpassung erfordert eine Absenkung der Binnennachfrage in den zu ausgabefreudigen Ländern mit ihren grossen Zahlungsbilanzdefiziten. Auf der anderen Seite müssen Länder, in denen zu viel gespart wird, durch eine nominale und reale Währungsaufwertung ihre Handelsüberschüsse reduzieren. Um weiter zu wachsen, brauchen diejenigen Staaten, die zu viel ausgeben, eine nominale und reale Abwertung, um ihre Handelsbilanzen zu verbessern. Die Überschussländer müssen ihre Binnennachfrage und insbesondere den Konsum ankurbeln.
Von Währungsschlachten zu Handelskriegen
Aber die Anpassung der relativen Preise durch Währungsschwankungen ist zum Stillstand gekommen, weil die Überschussländer sich einer Währungsaufwertung widersetzen und stattdessen den Defizitländern eine rezessionäre Deflation aufzwingen. Die daraus folgenden Währungsschlachten werden an mehreren Fronten geschlagen: Durch Wechselkursintervention, quantitative Lockerung und Kapitalkontrollen für Mittelzuflüsse. Angesichts der anhaltenden Abschwächung des weltwirtschaftlichen Wachstums 2012 könnten sich diese Schlachten zu Handelskriegen ausweiten.
Und schliesslich: Der Politik gehen die Alternativen aus. Die Währungsabwertung ist ein Nullsummenspiel, weil nicht alle Länder gleichzeitig abwerten und ihre Nettoexporte steigern können. Die Geldpolitik wird, wenn die Inflation in den hochentwickelten Ländern zur Nebensächlichkeit (und in den Schwellenmärkten zu einem geringeren Problem) wird, eine Lockerung erfahren. Aber die Geldpolitik verliert in den hochentwickelten Ländern zunehmend an Effektivität. Dies, weil die dortigen Probleme von mangelnder Solvenz und Kreditwürdigkeit herrühren und weniger durch die Liquidität dingt sind.
Zugleich sind der Fiskalpolitik durch steigende Defizite und Schulden, die «Bond Vigilantes» am Finanzmarkt und neue fiskalische Regeln in Europa Grenzen gesetzt. Die Stützung und Rettung von Finanzinstituten ist politisch unpopulär. Vielen nahezu insolventen Regierungen fehlt zudem schlicht das Geld dafür. Politisch hat die Hoffnung, die mit der Gründung der G 20 verknüpft wurde, der Realität der G 0 Platz gemacht: Schwache Regierungen finden es zunehmend schwierig, eine internationale politische Koordinierung umzusetzen, da Weltsicht, Ziele und Interessen der hochentwickelten Volkwirtschaften und der Schwellenmärkte miteinander in Konflikt geraten.
Infolgedessen könnte der derzeitige Umgang mit bestehenden Ungleichgewichten – der hohen Verschuldung von Haushalten, Finanzinstituten und Regierungen –, bei den Solvenzproblemen durch Kredite und Bereitstellung von Liquidität zwar kaschiert werden. Irgendwann müssen sie jedoch schmerzhaften und möglicherweise ungeordneten Restrukturierungen Platz machen. In gleicher Weise erfordert die Bekämpfung der mangelnden Konkurrenzfähigkeit und Leistungsbilanzungleichgewichte Währungsanpassungen, die letztlich einige Mitgliedsstaaten zum Ausstieg aus der Euro-Zone bewegen könnten.
Die rasche Wiederherstellung eines robusten Wachstums ist schon ohne das allgegenwärtige Gespenst des Schuldenabbaus und eines schweren Mangels an politischer Munition schwierig genug. Dies jedoch ist die Herausforderung, vor der eine fragile und aus dem Gleichgewicht geratene Weltwirtschaft 2012 steht. Kurz, für die Investoren wird in den kommenden Monaten gelten: Bitte anschnallen, dies wird ein unruhiges Jahr!
Nouriel Roubini ist Präsident von Roubini Global Economics und Professor an der Stern School of Business der New York University, New York. © Project Syndicate, 2011.