Mehrfach deutete sich in den vergangenen Jahren eine deutliche Abschwächung des Frankens an. Am Wochenende nun kostete ein Euro erstmals seit September mehr als 1.10 Franken. Aktuell liegt der Kurs ziemlich genau bei dieser Marke. Und die Chancen stehen gut, dass nun die von der Schweizer Industrie lang ersehnte Währungsabschwächung tatsächlich Realität wird.
«Die Welt für den Euro sieht wieder rosig aus. Die eurofreundliche Achse Paris-Berlin erlebt nach dem Wahlsieg Macrons eine Neuauflage», sagt Thomas Stucki, Investmentchef bei der St. Galler Kantonalbank. Mit anderen Worten: Weil der Fortbestand der Gemeinschaftswährung nun gesichert scheint, die Wirtschaft stabil wächst und die zwei grössten Volkswirtschaften eng zusammenarbeiten wollen, flüchten weniger Anleger angstgetrieben in den Franken.
Europa aktuell in einer «selten guten Lage»
So sind denn auch andere Fachleute überzeugt, dass die Aufwertung des Euro erst begonnen hat. «Die Währung ist noch immer unterbewertet, der Überschuss in der Leistungsbilanz ist ziemlich hoch und im vergangenen Jahr haben wir wegen der politischen Risiken hohe Geldabflüsse erlebt, was sich nun umkehrt», sagte Didier Borowski, Chefökonom von Europas grösstem Assetmanager Amundi, vergangene Woche im Interview. Europa sei aktuell in einer «selten guten Lage», so der Experte. Er erwartet, dass der Euro auch gegenüber dem Franken aufwertet. «Das wird dann auch der Schweizer Industrie mehr Erleichterung bringen.»
Ähnlich optimistisch ist auch der Mann an den Schalthebeln: Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), äusserte sich bereits Ende Juni auf der Sommersitzung der Institution in Lissabon zuversichtlich: Alle Zeichen deuteten auf eine Festigung und Verbreiterung der Erholung in der Euro-Zone hin, sagte er. Demnach scheint auch die Deflationsgefahr gebannt.
Keine Parität mehr zwischen Franken und Euro
Drehte sich die Diskussion lange darum, welche Anleihen die EZB kaufen wolle, ist nun das Gegenteil der Fall: Obwohl die Konsumentenpreise noch immer nur schwach steigen, will die EZB ab Anfang 2018 aus der lockeren Geldpolitik aussteigen und den Umfang des Anleihekaufprogramms rasch reduzieren. Kommt es so, nimmt Draghi damit eine weitere Stärkung des heute nach allgemeiner Auffassung unterbewerteten Euro in Kauf.
Denn gemäss Lehrbuch würde eine Normalisierung der Geldpolitik Anlagen in der Euro-Zone attraktiver machen und so die Nachfrage nach der Gemeinschaftswährung steigen lassen. Eine Parität zwischen Euro und Franken werden wir nicht mehr sehen, ist denn auch Samy Chaar, Chefökonom von Lombard Odier, überzeugt. Für die Nationalbank fügt sich das alles zu einem positiven Gesamtbild: Sie braucht derzeit kaum noch zu intervenieren.