Der Internationale Währungsfonds (IWF) und andere haben kürzlich erneut ihre Prognosen für das globale Wachstum nach unten korrigiert. Das ist kein Wunder: Die Weltwirtschaft weist nur einige wenige Lichtblicke auf, und viele davon trüben sich derzeit rapide ein.
Unter den hochentwickelten Ländern haben die USA zuletzt zwei Quartale mit durchschnittlich 1 Prozent Wachstum erlebt. Die zyklische Erholung in der Eurozone hat sich dank einer neuerlichen quantitativen Lockerung verstärkt, aber das Wachstumspotenzial verharrt in den meisten Ländern deutlich unter 1 Prozent. In Japan geht der als «Abenomics» bezeichneten Wirtschaftspolitik die Puste aus; die Konjunktur verliert sei Mitte 2015 an Fahrt und nähert sich inzwischen der Rezession. In Grossbritannien führt die Unsicherheit über das für Juni geplante Referendum über die weitere EU-Mitgliedschaft dazu, dass die Unternehmen Einstellungen und Investitionen zurückstellen. Und anderen hochentwickelten Volkswirtschaften wie Kanada, Australien und Norwegen bläst aufgrund der niedrigen Rohstoffpreise der Wind ins Gesicht.
Schwache Schwellenländer
In den meisten Schwellenländern sieht es nicht besser aus. Unter den fünf BRICS-Staaten stecken zwei (Brasilien und Russland) in der Rezession, eine (Südafrika) zeigt ein minimales Wachstum und eine weitere (China) erlebt einen steilen strukturellen Abschwung. Und in der letzten, Indien, ist die Lage nur deshalb gut, weil – so der indische Zentralbankgouverneur Raghuram Rajan – unter Blinden der Einäugige König ist.
Auch in vielen anderen Schwellenmärkten hat sich die Konjunktur seit 2013 verlangsamt, was auf schwache äussere Bedingungen, eine (durch die lockere Geld-, Haushalts- und Kreditpolitik während der guten Jahre bedingte) wirtschaftliche Anfälligkeit sowie häufig eine Abkehr von marktorientieren Reformen und eine Tendenz hin zu verschiedenen Formen des Staatskapitalismus bedingt ist.
Sinkendes Wachstumspotenzial
Schlimmer noch: Das Wachstumspotenzial ist sowohl in den hochentwickelten Ländern als auch in den Schwellenländern gesunken. Zunächst einmal führen hohe private und öffentliche Schulden zu einer Beschränkung der Ausgaben – insbesondere der wachstumsfördernden Anlageinvestitionen, deren Anteil am BIP nach der globalen Finanzkrise gefallen ist und die ihr früheren Niveau seitdem nicht wieder erreicht haben.
Dieser Investitionsrückgang sorgt für ein geringeres Produktivitätswachstum, während alternde Bevölkerungen in den entwickelten Ländern und inzwischen auch in einer zunehmenden Anzahl von Schwellenmärkten (zum Beispiel China, Russland und Korea) den Arbeitsinput in die Produktion verringern.
Zu viel Sparen
Die zunehmende Ungleichheit bei den Einkommen und Vermögen verschärft die globalen Ersparnisüberschüsse (die andere Seite der globalen Zurückhaltung bei den Investitionen). Die Verlagerung der Einkommen von der Arbeit hin zum Kapital bedeutet, dass die Einkommen von jenen mit höherer marginaler Ausgabeneigung (den Haushalten mit niedrigem bis mittlerem Einkommen) wegfliessen hin zu jenen, die eine höhere marginale Neigung zum Sparen zeigen (den Haushalten mit hohem Einkommen und den Konzernen).
Zudem kann ein anhaltender zyklischer Abschwung zu einem niedrigeren Trendwachstum führen. Die Ökonomen bezeichnen dies als «Hysterese». Dabei werden die Fertigkeiten der Arbeitnehmer und das Humankapital durch die Langzeitarbeitslosigkeit untergraben, und weil Innovationen von neuen Kapitalgütern abhängig sind, führen niedrigere Investitionen zu einem dauerhaft niedrigeren Produktivitätswachstum.
Falsches Reformtempo
Und schliesslich sind angesichts so vieler Faktoren, die das potenzielle Wachstum verringern, Strukturreformen erforderlich, um das Wachstumspotenzial zu steigern.
Derartige Reformen jedoch erfolgen derzeit in den hochentwickelten Ländern und auch in den Schwellenländern nicht im optimalen Tempo, weil alle Kosten und Verzerrungen derartiger Reformen kurzfristig eintreten, während sich der Nutzen erst mittel- und langfristig einstellt. Dies verschafft Reformgegnern einen politischen Vorteil.
Kreditorgie vorbei
Zugleich liegt das tatsächliche Wachstum weiterhin unter dem verringerten potenziellen Wachstum. Ein schmerzhafter Entschuldungsprozess erfordert, dass die privaten und öffentlichen Ausgaben fallen und stattdessen mehr gespart wird, um die hohen Defizite und Schulden zurückzuführen.
Dieser Prozess begann in den USA nach dem Zusammenbruch des dortigen Marktes für Wohnimmobilien, griff dann auf Europa über und läuft jetzt in den Schwellenmärkten ab, die sich im vergangenen Jahrzehnt einer Kreditorgie hingegeben hatten.
Falscher Policy-Mix
Ausserdem war der Policy-Mix bisher nicht ideal. Angesichts der Tatsache, dass die meisten hochentwickelten Volkswirtschaften zu schnell auf Haushaltseinsparungen umschwenkten, lastete die Aufgabe, wieder für Wachstum zu sorgen, fast völlig auf einer unkonventionellen Geldpolitik, die einen abnehmenden Grenzertrag aufweist (wenn nicht gar kontraproduktive Ergebnisse zeitigt).
Asymmetrische Korrekturen zwischen den Schuldner- und den Gläubigerländern untergraben zudem das Wachstum. Erstere hatten zu viel Geld ausgegeben und zu wenig gespart und müssen jetzt unter dem Druck der Märkte weniger ausgeben und mehr sparen, während niemand Letztere dazu zwingt, mehr auszugeben und weniger zu sparen. Dies hat die globale Ersparnisflut und den globalen Investitionsrückgang verschärft.
Zyklische Abschwächungen
Und schliesslich hat die Hysterese das tatsächliche Wachstum weiter abgeschwächt. Ein zyklischer Abschwung hat das Wachstumspotenzial verringert, und die Verringerung des Wachstumspotenzials führte dann zu weiteren zyklischen Abschwächungen, da die Ausgaben fallen, wenn die Erwartungen nach unten korrigiert werden.
Es gibt keine politisch einfache Lösung für das Dilemma, in dem die Weltwirtschaft derzeit steckt. Die nicht nachhaltigen hohen Schulden sollten in geordneter Weise zurückgeführt werden, um einen langen, sich (oft über ein Jahrzehnt oder länger) hinziehenden Entschuldungsprozess zu vermeiden. Doch stehen souveränen Staaten keine Mechanismen zur geordneten Schuldenreduzierung zur Verfügung, und innerhalb in Ländern – für Haushalte, Unternehmen und Finanzinstitute – sind derartige Mechanismen schwer umsetzbar.
Marktorientierte Reformen nötig
Zudem bedarf es struktureller und marktorientierter Reformen, um das Wachstumspotenzial zu steigern. Doch angesichts des Timings von Kosten und Nutzen sind derartige Massnahmen besonders unpopulär, wenn sich eine Volkswirtschaft bereits im Abschwung befindet.
Nicht weniger schwierig wird es, die unkonventionelle Geldpolitik hinter sich zu lassen; die US Federal Reserve hat dies vor kurzem angedeutet, als sie signalisierte, dass sie die Leitzinsen langsamer als erwartet normalisieren wird. Zugleich bleibt die Fiskalpolitik – insbesondere was produktive öffentliche Investitionen angeht, die sowohl Nachfrage als auch Angebot steigern – in der Geiselhaft hoher Schulden und einer fehlgeleiteten Austeritätspolitik gefangen, und das selbst in Ländern, die die finanziellen Möglichkeiten zu einer langsameren Konsolidierung hätten.
«Neue Mittelmässigkeit»
Daher dürften wir auf absehbare Zeit in dem Zustand verharren, den der IWF als «neue Mittelmässigkeit», Larry Summers als «säkulare Stagnation» und die Chinesen als «neue Normalität» bezeichnen.
Doch wir sollten uns nichts vormachen: Es ist nichts normal oder gesund an einer Wirtschaftsentwicklung, die die Ungleichheit erhöht und in vielen Ländern auf der Linken wie auf der Rechten des politischen Spektrums zu einer populistischen Gegenbewegung gegen Handel, Globalisierung, Migration, technologische Innovation und eine marktorientierte Politik führt.
Der Autor Nouriel Roubini ist Chairman von Roubini Global Economics und Professor für Ökonomie an der Stern School of Business der New York University. Aus dem Englischen vom Jan Doolan. Copyright: Project Syndicate, 2016.