Diese Vorstellung entspricht der vielerorts gängigen Überzeugung, Menschen seien vorwiegend an Geld interessiert. Es geht somit um das zugrunde gelegte Bild des Menschen. Hinter War for Talents steht das gleiche Bild des Menschen wie bei der Propagierung von Leistungslöhnen als Inbegriff einer fortschrittlichen Unternehmungsführung. Bei Leistungslöhnen wird am Anfang eines Zeitraums definiert, welche Leistung zu erbringen ist. Am Schluss der Periode wird dann beurteilt, ob diese erreicht worden ist. Ist dies nicht der Fall, wird die Person gerügt und vielleicht sogar entlassen. Wird hingegen die zuvor festgelegte Leistung übertroffen, wird ein entsprechender Bonus bezahlt.
Dass die Menschen nur eigennützig orientiert sind, ist ein Zerrbild
Die wissenschaftliche Literatur hat sich ausführlich mit der Leistungsentlohnung oder «pay-for-performance» auseinandergesetzt. Einige Autoren verteidigen sie nach wie vor, weil sie am Bild des traditionellen Homo oeconomicus festhalten. Insgesamt hat sich jedoch in der Wissenschaft eine deutliche Wendung vollzogen. Dass die Menschen nur eigennützig und materiell orientiert seien, wird inzwischen von führenden Forschern als Zerrbild angesehen. Vielmehr haben empirische und insbesondere auch experimentelle Untersuchungen gezeigt, dass sich unter geeigneten Bedingungen die Menschen durchaus auch um das Wohlergehen anderer Personen kümmern. Vor allem sind sie nicht nur an materiellem Gewinn interessiert. Wichtig ist ihnen die soziale Anerkennung durch andere Mitarbeitende. Viele Beschäftigte sind auch intrinsisch, das heisst von innen kommend, für ihre Arbeit motiviert. Dies gilt nicht nur für qualifizierte Arbeitnehmer, sondern auch für Personen, die einfache Arbeiten erfüllen. Auch sie sind oft stolz auf ihre Arbeit und Leistung.
Gegen Leistungsentlohnung im Sinne einer vorherigen Festlegung von Leistungskriterien lassen sich vier schwerwiegende Argumente anführen.
Erstens ist es in einer modernen Wirtschaft nahezu unmöglich, die zukünftig anfallenden Aufgaben so präzise festzulegen, dass sie für eine Leistungsentlohnung tauglich sind. Gerade in einer Gesellschaft, in der immer wieder neue Herausforderungen zu bewältigen sind, können die Vorgesetzten in den meisten Fällen nicht ex ante festlegen, was ein Arbeitnehmender in der Zukunft zu tun hat.
Zweitens ist es naiv, zu glauben, die Betroffenen würden diese Leistungskriterien nur passiv akzeptieren und ihre Arbeit danach ausrichten. Vielmehr wenden sie viel Energie und Zeit darauf, diese Kriterien zu ihren Gunsten zu manipulieren. Meistens ist dies gar nicht so schwierig, weil sie sich ja bei ihrer Arbeit besser auskennen als ihre Vorgesetzten.
Drittens führt Leistungsentlohnung dazu, dass nur gerade die Arbeit verrichtet wird, die durch die Leistungskriterien erfasst wird. Alles andere wird vernachlässigt, weil es ja nicht zählt. Die Gleichsetzung von Lohn und Leistung führt auch dazu, dass die Arbeitnehmenden während ihrer Arbeit erhebliche Zeit und Energie darauf verwenden, bei anderen Firmen eine noch besser bezahlte Stelle zu finden. Sie vernachlässigen somit ihre eigentlichen Aufgaben, soweit sie nicht in den Leistungskriterien schwarz auf weiss festgehalten sind.
Schliesslich verdrängt Leistungsentlohnung die intrinsisch bestimmte Arbeitsmotivation und damit die Freude an der Erfüllung einer Aufgabe. Gerade diese ist in einer modernen Wirtschaft von grosser Bedeutung. Unsere Arbeitnehmenden müssen sich aus eigenem Antrieb engagieren.
War for Talents ist einefragwürdige Strategie
Was bedeutet dies für den War for Talents? Aufgrund der Forschungsergebnisse muss dieser Schlachtruf als fragwürdig angesehen werden. Die heute vorherrschende Sicht des menschlichen Verhaltens berücksichtigt, dass für die Erfüllung der Arbeit nicht nur Talent notwendig ist. Entscheidend ist, dass sich die Belegschaft mit den Aufgaben ihrer Firma identifiziert. Sie muss bereit sein, das Ausserordentliche zu erfüllen. Das über das «Ordentliche» gehende Engagement lässt sich nur erreichen, wenn die Beschäftigten ihre intrinsische Motivation an der Arbeit beibehalten. Dazu ist der War for Talents denkbar ungeeignet, weil dadurch suggeriert wird, dass es nur auf das Handeln von wenigen, meist von aussen kommenden Spitzenkräften ankommt.
Zudem ist War for Talents eine fragwürdige Strategie, weil der Einkauf von einem oder sogar von mehreren Stars keineswegs immer dazu führt, dass die Gesamtleistung einer Firma gesteigert wird. Oft ist Teamarbeit entscheidend. Nicht selten werden Teams weniger effektiv, wenn sie durch ein Spitzentalent ergänzt werden. In dieser Hinsicht kann man vom Sport lernen. Es gibt manche Fussballclubs, die mit hoch bezahlten Supertalenten weniger gut spielen als eine Mannschaft aus weniger begabten Spielern, die aber eine eingeschworene Gemeinschaft bilden.
Für die Führung von Mitarbeitern ergeben sich einige bemerkenswerte Folgerungen. Den eigenen Mitarbeitern sollte eine reelle Chance gegeben werden, sich zu entwickeln und in der Hierarchie aufzurücken. Talente gibt es meist auch in der eigenen Firma; sie müssen nicht notwendigerweise von aussen hereingeholt werden.
Identifikation mit der Firmamuss gestärkt werden
Um dieses Ziel zu erreichen, sollte dem Fixlohn gegenüber Leistungsboni wieder mehr Raum gegeben werden. Selbstverständlich muss ein Marktlohn bezahlt werden, aber er sollte viel weniger auf vorher festgelegte Leistungskriterien ausgerichtet sein.
Als Zweites kann die Identifikation mit der Firma gestärkt werden, indem die Mitarbeitenden am Ende des Jahres als Ergebnis einer umfassenden Leistungsbeurteilung durch die Vorgesetzten am Gewinn beteiligt werden. Diese nachträgliche und umfassende Leistungsbeurteilung unterscheidet sich grundsätzlich von «pay-for-performance».
Auszeichnungen können die Arbeitsmoral der Beschäftigten entscheidend steigern. Gerade amerikanische, stark am Gewinn orientierte Firmen verwenden dieses Instrument ausgiebig. Auszeichnungen wie «Mitarbeiter des Monats» spielen eine grosse Rolle, weil sie die soziale Anerkennung durch die anderen Firmenmitglieder stärken. Deshalb werden sie in einem festlichen Rahmen meist von einem Manager verliehen, der dadurch auch die Möglichkeit erhält, zu betonen, welche Art von Leistung für die Firma wichtig ist. Wie unsere Untersuchungen anhand eines Callcenters einer Kreditkartenfirma ergeben haben, wird dabei die Motivation der Personen, die nicht ausgezeichnet werden, nicht beschädigt. Vielmehr bemühen sie sich, in der Zukunft selbst eine solche Auszeichnung zu erhalten.
Diese Überlegungen zeigen, dass der War for Talents zwar ein schöner Schlachtruf ist, dem aber mit grosser Skepsis zu begegnen ist. Es gibt bessere Möglichkeiten, eine Firma gut zu führen.
* Bruno S. Frey, Universität Zürich und Center for Research in Economics, Management and the Arts (CREMA), Schweiz.