Es besteht die akute Gefahr einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die noch schlimmer ausfällt als die vorherige – und nun nicht mehr nur den Privatsektor betrifft, sondern auch Staaten am Rande der Insolvenz. Was kann also getan werden, um die Auswirkungen einer weiteren wirtschaftlichen Kontraktion zu minimieren und eine tiefere Depression sowie eine finanzielle Kernschmelze zu verhindern?
Zunächst müssen wir erkennen, dass die zur Vermeidung eines fiskalpolitischen Desasters notwendigen Sparmassnahmen wachstumsdämpfende Auswirkungen auf die Produktion haben. Wenn also Staaten in der Peripherie der Euro-Zone zu Sparprogrammen gezwungen sind, sollten Länder, denen kurzfristige Stimulierungsmassnahmen möglich sind, diese auch ergreifen und ihre eigenen Sparbemühungen hintanstellen. Zu diesen Ländern zählen die USA, Grossbritannien, Deutschland, der Kern der Euro-Zone und Japan.
Weitere geld- und kreditpolitische Lockerung ist notwendig
Zweitens: Während Geldpolitik wenig ausrichtet, wenn es nicht um Illiquidität, sondern um exzessive Schulden und Insolvenz geht, kann eine Kreditlockerung im Gegensatz zu reiner quantitativer Lockerung durchaus hilfreich sein. Die Europäische Zentralbank sollte ihre fehlerhafte Entscheidung einer Zinserhöhung zurücknehmen. Eine weitere geld- und kreditpolitische Lockerung ist auch für die US-Notenbank Federal Reserve notwendig, für die Bank of Japan, die Bank of England sowie die Schweizer Nationalbank. Die Inflation wird bald die letzte Sorge der Zentralbanken sein, da eine erneute Flaute auf den Waren-, Arbeits-, Immobilien- und Rohstoffmärkten den Disinflationsdruck schürt.
Drittens sollten unterkapitalisierte Banken und Bankensysteme in der Euro-Zone durch ein EU-weites Programm öffentlicher Finanzierung gestärkt werden, um das Kreditwachstum wiederherzustellen. Um eine zusätzliche Kreditklemme während der Reduktion des Verschuldungsgrads der Banken zu verhindern, empfiehlt es sich, mit den Banken hinsichtlich ihrer Kapital- und Liquiditätsanforderungen kurzfristig Nachsicht zu üben.
Viertens ist eine umfangreiche Ausstattung mit Liquidität für solvente Staaten notwendig, um einen sprunghaften Anstieg der Risikoaufschläge sowie den Verlust des Marktzugangs zu verhindern, der wiederum aus Illiquidität eine Insolvenz machen würde. Selbst im Falle politischer Änderungen dauert es seine Zeit, bis die Staaten ihre Glaubwürdigkeit wieder erlangen. Die offiziellen Ressourcen müssen verdreifacht werden – durch einen erweiterten Europäischen Stabilitätsmechanismus (EFSF), Eurobonds oder massive Interventionen der EZB –, um einen desaströsen Run auf diese Staaten zu verhindern.
Fünftens müssen Schuldenberge, die nicht durch Wachstum, Ersparnisse oder Inflation abgebaut werden können, durch geordnete Umschuldung, Schuldenreduktion und Umwandlung von Schulden in Eigenkapital tragbar gemacht werden.
Sechstens: Selbst wenn Griechenland und andere Länder an der Peripherie der Euro-Zone in den Genuss eines signifikanten Schuldenerlasses kommen, wird sich das Wirtschaftswachstum nicht einstellen, bis die Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt ist. Und ohne eine rasche Rückkehr zu Wachstum können weitere Pleiten – und soziale Unruhen – nicht verhindert werden. Für die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone gibt es drei Möglichkeiten, die alle eine reale Abwertung erfordern – und von denen keine einzige machbar ist:
• Eine drastische Schwächung des Euro in Richtung Parität mit dem US-Dollar. Das ist allerdings unwahrscheinlich, da auch die USA schwach sind.
• Eine rasche Senkung der Lohnstückkosten durch eine Beschleunigung von Strukturreformen und Produktivitätswachstum in Relation zum Lohnwachstum ist ebenfalls unwahrscheinlich, weil dieser Prozess in Deutschland bis zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit 15 Jahre dauerte.
• Eine kumulative fünfjährige Deflation der Preise und Löhne im Ausmass von 30 Prozent – in Griechenland beispielsweise – hätte eine fünf Jahre dauernde, tiefe und sozial inakzeptable Depression zur Folge. Aber selbst wenn diese Entwicklung realisierbar wäre, würde eine Deflation dieses Ausmasses angesichts des Anstiegs des realen Werts der Schulden um 30 Prozent die Insolvenz noch verschärfen.
Weil diese Möglichkeiten nicht funktionieren, ist die einzige Alternative ein Ausstieg Griechenlands und anderer Länder aus der Euro-Zone. Nur die Rückkehr zu einer nationalen Währung – und eine drastische Abwertung derselben – kann die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum wiederherstellen.
Siebtens sind die Gründe für die hohe Arbeitslosigkeit und das anämische Wachstum in den entwickelten Ökonomien struktureller Natur. Auch der Aufstieg der wettbewerbsfähigen Schwellenländer trägt dazu bei. Die angemessene Reaktion auf derart massive Veränderungen ist nicht Protektionismus. Vielmehr brauchen die entwickelten Ökonomien einen mittelfristigen Plan zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit und der Schaffung von Arbeitsplätzen durch massive neue Investitionen in qualitätsvolle Bildung, Berufsausbildung, Verbesserungen im Bereich des Humankapitals, der Infrastruktur sowie im Bereich alternativer/erneuerbarer Energieformen.
Schwellenländer sollen ihreReformen beschleunigen
Achtens haben die Schwellenmärkte mehr politische Instrumente zur Verfügung als die Industrieländer und sie sollten ihre Geld- und Haushaltspolitik lockern. Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank können für Schwellenmärkte, die Gefahr laufen, den Marktzugang zu verlieren, als Kreditgeber letzter Instanz fungieren, wobei diese Kredite an die Umsetzung geeigneter politischer Reformen zu knüpfen sind. Und Länder wie China, die für ihr Wachstum übermässig auf Nettoexporte angewiesen sind, sollten Reformen beschleunigen, einschliesslich einer rascheren Währungsaufwertung, um die Binnennachfrage und den Verbrauch anzukurbeln.
Die vor uns liegende Gefahr besteht nicht nur in einer milden Double-Dip-Rezession, sondern in einer schweren wirtschaftlichen Kontraktion, die sich zu einer zweiten Grossen Depression auswachsen könnte – vor allem wenn die Krise in der Euro-Zone ungeordnet abläuft und zu einer weltweiten Kernschmelze im Finanzsystem führt. Eine falsche Politik während der ersten Grossen Depression führte zu Handels- und Währungskriegen, ungeordneten Pleiten, Deflation, steigender Ungleichheit bei Einkommen und Wohlstand, Armut, Verzweiflung sowie politischer und sozialer Instabilität. Das ebnete letztlich den Weg für autoritäre Regime und führte zum Zweiten Weltkrieg. Die beste Möglichkeit, die Gefahr einer Wiederholung dieser Entwicklung abzuwenden, besteht darin, weltweit beherzte und energische Sofortmassnahmen zu ergreifen.
* Nouriel Roubini ist Vorsitzender von Roubini Global Economics und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Stern School of Business der New York University.© Project Syndicate, 2011