Eine Rezession ist unvermeidlich. Die Schätzungen des Bundes zu Beginn der Corona-Krise gingen davon aus, dass das Schweizer BIP im Jahr 2020 um 1,3 Prozent schrumpfen würde. Natürlich ist das bereits Makulatur.
Die Dynamik der aktuellen Krise schafft einen Teufelskreis. Eine Verringerung des Angebots an Gütern und Dienstleistungen aufgrund der Abriegelung ist nachteilig für die Wirtschaft und spiegelt sich in der Rentabilität des Unternehmenssektors wider. Der Rückgang der Aktivität wiederum hat zu erheblichen Lohn- und Arbeitsplatzeinbussen geführt, was einen Nachfragerückgang zur Folge hat. Auch die Unternehmensgewinne gehen angesichts der geringeren Aufträge und Käufe noch weiter zurück, was die Unternehmen in Massen zum Zahlungsausfall zwingt und die Arbeitslosigkeit dramatisch ansteigen lässt. Der daraus resultierende Rückgang des Kundenvertrauens verschärft die Depression noch, da die Menschen es vorziehen, ihren Konsum zu verschieben oder ihre Einkäufe ganz zu stornieren.
Darüber hinaus wird erwartet, dass auf eine Krise von Angebot und Nachfrage eine starke wirtschaftliche Erholung folgen wird, sobald die Wirtschaftsakteure wieder Vertrauen in ihre Überlebens- und damit Konsumfähigkeit gewonnen haben. Die einzige Möglichkeit, diesen Aufschwung in vollem Umfang zu nutzen, besteht darin, schon jetzt die Grundlagen der Wirtschaft zu bewahren, alle ihre Schichten zu schützen und den Verlust von Erfahrung, Fähigkeiten und Know-how zu vermeiden, der die unglückliche Folge einer massiven Arbeitslosigkeit wäre.
Die Abwärtsspirale stoppen
Wir sind der Meinung, je früher wir diese Abwärtsspirale stoppen, desto besser. Unsere Schätzungen deuten darauf hin, dass die Schweizer Wirtschaft angesichts fehlender sofortiger und umfangreicher Massnahmen und fehlender fiskalischer Anreize unter einer Reihe von einfachen Annahmen um 20 Prozent schrumpfen könnte.
Beginnen wir mit den Gehältern. Die erste Komponente des BIP eines Landes sind die Konsumausgaben, und sie werden weitgehend durch den Konsum der privaten Haushalte bestimmt, der wiederum eine direkte Funktion der Löhne und Gehälter ist. Während einige Sektoren der Schweizer Wirtschaft von der Krise unberührt bleiben werden (Landwirtschaft, Telekommunikation, Lebensmittelhandel, Gesundheitswesen), wird es einen starken Rückgang der Aktivität im Baugewerbe, im Verkehr, im Tourismus, im Bildungswesen und im Einzelhandel geben.
Sicher hat die Telearbeit in einigen dieser Sektoren in den letzten Jahren zugenommen und trägt dazu bei, einen plötzlichen Stillstand zu verhindern. Die Erhebungsdaten des Schweizerischen Statistikamtes für das Jahr 2018 geben Aufschluss über die Verbreitung der Telearbeit nach Sektoren. Im Finanzsektor beispielsweise geben 18 Prozent der Unternehmen an, dass sie Telearbeit gelegentlich praktizieren, während 10 beziehungsweise 3 Prozent der Unternehmen sie regelmässig respektive häufig einsetzen. Berücksichtigt man zudem das durchschnittliche Lohnniveau nach Sektoren, so wurde bis 2018 nur 6 Prozent der Schweizer Lohnsumme von zu Hause aus erwirtschaftet. Es ist offensichtlich, dass die Unternehmen seit dem Ausbruch der Pandemie verstärkt Ferntechnologien einsetzen. Nehmen wir also an, dass 15 Prozent aller Löhne und Gehälter aus der Ferne erwirtschaftet werden können.
Unsere Annahme über die Verringerung der Aktivität auf dem Höhepunkt der Covid-19-Krise berücksichtigt die Besonderheit jedes Sektors und seine Abhängigkeit von der sozialen Interaktion und der Notwendigkeit der Eingrenzung.
Lohnsumme im April: schlimmstenfalls minus 40 Prozent
Die Internationale Arbeitsorganisation hat soeben einen Bericht veröffentlicht, der uns die Auswirkungen von Covid-19 auf die verschiedenen Sektoren aufzeigt, die wir in unseren Annahmen verwenden. Der Finanzsektor zum Bespiel sollte zu 80 oder gar 100 Prozent funktionieren, während der Tourismus nahezu lahmgelegt wird. Berücksichtigt man die oben beschriebenen Möglichkeiten der Telearbeit und wendet solche Aktivitätsraten auf die Durchschnittsgehälter der einzelnen Sektoren an, so würde das Gehaltseinkommen, das der erwerbstätigen Bevölkerung in der Schweiz zur Verfügung steht, ohne jegliche staatliche Intervention in einem Monat wie April um 40 Prozent niedriger ausfallen. Wir gehen auch (optimistisch) davon aus, dass sich die wirtschaftlichen Aktivitäten mit dem Rückgang der Auswirkungen der Pandemie wieder normalisieren (mit den untenstehenden Vorbehalten) und die Gehälter bis Ende des Jahres wieder auf ihr früheres Niveau zurückkehren werden.
Mit Blick auf die Daten der Vergangenheit können wir zusätzliche Annahmen treffen. Beispielsweise zeigen die von Datastream/Refinitiv erhobenen Daten der ETH Konjunkturforschungsstelle KOF, dass die Zahl der Konkurse in der Schweiz 2009 und 2010 um 24 respektive 20 Prozent gestiegen ist und 2012 mit 6841 Insolvenzanträgen von Unternehmen einen Höchststand erreicht hat. Ein ähnliches Muster haben wir in den Vereinigten Staaten nach der Finanzkrise von 2008 beobachtet, obwohl die Regierung zur Unterstützung der Unternehmen interveniert hat. Unseres Erachtens würde ein konservativer Ansatz darauf hindeuten, dass die Zahl der Zahlungsausfälle im Jahr 2020 um 30 Prozent ansteigen wird (d.h. rund 9'000 der fast 600'000 Schweizer Unternehmen).
Die Zahl könnte sogar noch höher liegen, da im letzten Jahrzehnt eine bedeutende Zunahme von Neugründungen zu verzeichnen war. Ohne sofortiges und gezieltes Eingreifen werden viele dieser Start-ups nicht überleben. Die Innovation wäre in jedem Fall das grosse Opfer einer tiefen Rezession, egal auf welcher Ebene (vom multinationalen Unternehmen bis zum Start-up) sie generiert wird.
Welche Auswirkungen haben Konkurse auf das BIP? Die direkte Auswirkung besteht in Lohneinbussen und damit im Konsum der Haushalte. Aber ein Anstieg der Konkurse um 30 Prozent wirkt sich auch auf die Rate der Bruttokapitalbildung im Land aus, das heisst auf den Wert der neuen Anlagegüter und Software in den verschiedenen Wirtschaftssektoren. Dies ist eine weitere wichtige Komponente des BIP eines Landes.
Eine einfache ökonometrische Analyse der Beziehung zwischen Investitionen in Anlagevermögen und Zahlungsausfällen ergibt eine negative Auswirkung im Jahr 2020 von minus 4 Prozent. Wenn man die dramatischen Auswirkungen der Pandemie auf den Bausektor hinzufügt, schätzen wir, dass die Bruttokapitalbildung in der Schweiz auf dem Höhepunkt der Pandemie um 30 Prozent sinken und sich erst gegen Ende des Jahres allmählich erholen wird – und dies ist eine sehr vorsichtige Schätzung.
Und was ist mit den Exporten?
Neben dem Staatskonsum ist die letzte Komponente des Schweizer BIP der ausländische Sektor. Hier machen wir eine letzte Annahme. Eine Rezession betrifft sowohl die Exporte als auch die Importe, und da die Schweiz Nettoexporteur ist, stellt sich die Frage, welche Seite am meisten betroffen ist. In der Krise von 2008 zeigen die offiziellen Daten, dass die Schweizer Importe um 10 Prozent und die Exporte um 14 Prozent zurückgegangen sind. Wir stimmen mit der Credit Suisse überein, dass angesichts der Tatsache, dass sich die Schweizer Exporte auf den Gesundheits- und Pharmasektor sowie auf Konsumgüter konzentrieren, die Exporte der Schweizer Unternehmen in diesem Jahr weniger stark zurückgehen dürften, nämlich um schätzungsweise 10 Prozent. Insgesamt und aufgrund des Schweizer Handelsüberschusses bedeutet dies, dass auf dem Höhepunkt der Pandemie der Beitrag des ausländischen Sektors zum Schweizer BIP um 10 Prozent sinken könnte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Krise die Schweiz bis Ende 2020 rund 22 Prozent ihrer Lohnsumme und ihres verfügbaren Einkommens kosten wird. Sie wird die Investitionen um 30 Prozent reduzieren. Sie wird unseren Handelsüberschuss um 10 Prozent reduzieren.
Wenn die öffentlichen Ausgaben nicht erhöht werden, welche Auswirkungen hat dies insgesamt auf das BIP?
BIP: minus 18,8 Prozent
Ohne jegliche staatliche Intervention dürfte das Schweizer BIP im Jahr 2020 um 18,8 Prozent sinken. Wenn das Schweizer BIP im Jahr 2019 698 Milliarden Franken betrug, erwarten wir, dass es bis Ende 2020 auf 567 Milliarden Franken sinken wird. Der stärkste Rückgang wird im zweiten (28 Prozent Rückgang gegenüber dem gleichen Quartal des Vorjahres) und dritten Quartal (minus 21,3 Prozent) erfolgen, mit einer teilweisen Erholung im letzten Quartal (minus 11,1 Prozent). Hinzu kommt ein geschätzter Rückgang des BIP um 11,7% im ersten Quartal 2020 im Vergleich zum ersten Quartal 2019.
Das bereits umgesetzte Konjunkturprogramm im Wert von 6 Prozent des BIP ist sicherlich hilfreich. Nach unseren Schätzungen würde es jedoch eine Rezession im Jahr 2020 mit einem Rückgang des BIP um nicht weniger als 10 Prozent nicht verhindern. Der Grund dafür ist, dass das 33-Milliarden-Franken-Programm zum grössten Teil aus garantierten Krediten an KMU besteht, was das Problem nur verzögern und ihre Bilanzen schwächen würde.
Jetzt handeln – und zwar aggressiv
Was also tun? Wir fordern jetzt einen schnellen, aggressiven, einmaligen Plan, um erstens die Gehälter für einige Monate zu garantieren, damit niemand seinen Arbeitsplatz verliert und die Unternehmen das durch Investitionen in ihre Mitarbeiter angesammelte Know-how behalten. Zweitens um die Unterstützung zu bieten, die es den Unternehmen ermöglicht, weiterhin in Anlagevermögen zu investieren, ihre laufenden Schulden zu begleichen und ihre Bilanzrelationen und Liquiditätspuffer aufrechtzuerhalten, damit sie den Betrieb wieder aufnehmen können, wenn die Beschränkungen vorüber sind. Und drittens um der Schweizer Bevölkerung das Vertrauen in die Zukunft zu geben, das die allgegenwärtige Dynamik von Angebot, Nachfrage, Angebot und Nachfrage, die wir oben beschrieben haben, brechen wird.
Die von uns empfohlene Strategie können sich viele Länder der Welt nicht leisten. Die Schweiz schon. Wenn wir diese Chance durch sofortige und massive Unterstützung unserer Wirtschaft nutzen, wird die Schweiz als solide, innovative und wettbewerbsfähige Führungspersönlichkeit aus dieser Krise hervorgehen, in einer globalen Wirtschaft, in der der Wiederaufbau der Grundlagen längere Zeit in Anspruch nehmen wird. Die Kosten für den Schutz unserer Fundamente und die Erlangung eines Wettbewerbsvorteils werden nicht höher sein als ein «Marshallplan» zum Wiederaufbau unserer Wirtschaft nach den Schäden der Covid-19-Krise. Und er wird sich viel schneller auszahlen.
Arturo Bris ist Direktor des IMD World Competitiveness Center,
Michel Demaré ist Vorsitzender des Aufsichtsrates im IMD