Wer an den Wolkenkratzer-Fluch glaubt, sollte im Moment nicht in Südkorea investieren. Nach der Eröffnung des 123 Stockwerke hohen Lotte World Tower kann sich das Land nun mit dem fünfthöchsten Hochhaus der Welt rühmen. Doch das kann gefährlich sein. Denn für manche Ökonomen ist klar: Wenn Rekordhochhäuser gebaut werden, droht schon bald eine Wirtschaftskrise.
Das zumindest suggeriert der sogenannte «Skyscraper Index», den Andrew Lawrence 1999 erfand. Der Immobilienanalyst behauptete damals halb im Scherz, dass die höchsten Gebäude der Welt immer vor einer Wirtschaftskrise gebaut werden. Anhand vergangener Rekordbauten zeigte er eine Korrelation von Konjunkturzyklen und dem Bau von Wolkenkratzern.
«Sehr ungesunder Zusammenhang»
Inzwischen ist Lawrence von seiner Theorie überzeugt. «Es könnte schon mit dem Turmbau zu Babel begonnen haben, aber wenn wir die letzten 150 Jahre anschauen, sehen wir einen sehr ungesunden Zusammenhang zwischen der Fertigstellung des jeweils höchsten Gebäudes der Welt und Finanzkrisen», so Lawrence in einem Interview mit der Wirtschaftsagentur Bloomberg.
Die Idee hinter dem Index: Oft planen Länder in euphorischen Phasen des Wirtschaftsbooms Bauwerke, die über Jahre hochgezogen werden. Die Geschichte zeigt, dass diese ikonischen Bauten dann aber allzu oft erst im anschliessenden Abschwung – im Extremfall in einer Rezession – fertig werden. In der Ökonomensprache sind Superwolkenkratzer damit Spätzykliker.
Die Türme der Great Depression
Auf den ersten Blick ist die Korrelation frappierend. So erfolgte bereits die Vollendung des 187 Meter hohen Singer Buildings in New York im Jahr 1908 kurz nach der Panik an der Wall Street vom Oktober 1907 und mitten in der ersten Finanzkrise des 20. Jahrhunderts. 1930 und 1931 als erst mit dem Gebäude 40 Wall Street, danach mit dem Chrysler Building und schliesslich dem Empire State Building gleich drei Rekordbauten in kurzer Folge entstanden, herrschte in den USA längst schon die Grosse Depression.
Die noch vor dem folgenreichsten Börsencrash der Geschichte am 24. Oktober 1929 geplanten Wolkenkratzer bedeuteten einen Sprung in der Hochhaustechnologie. Erst über 40 Jahre nach dem Empire State Building wurde mit dem Nordturm des World Trade Centers ein höheres Gebäude fertiggestellt. 1974 folgte mit dem 442 Meter hohen Willis Tower (damals Sears Tower) wieder ein langjähriger Spitzenreiter – und dies mitten in der Ölkrise und kurz nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems.
Idee stammt aus der Asienkrise
Die Idee für den Wolkenkratzer-Index hatte Lawrence nach der Eröffnung der Petronas Towers in Kuala Lumpur. Die Zwillingstürme wurden in der Asienkrise fertiggestellt, die in den Jahren 1997 und 1998 den sogenannten Tiger- und Pantherstaaten in Südostasien schwer zusetzte. Und auch nach der Veröffentlichung der Theorie setzte sich die Reihe fort. Die beiden letzten Rekordbauten – Taipei 101 in Taiwan und Burj Khalifa markierten erneut Krisen.
Der pagodenförmige Turm in Taiwans Hauptstadt wurde 2004 nach dem Platzen der Dotcom-Blase vollendet. Der nächste Quatensprung in der Hochhaustechnologie gelang erst mit dem 2010 eröffneten Burj Khalifa in Dubai.
2020 kommt der nächste Rekordbau
Damals kollabierte der Immobilienmarkt im Emirat und der Nachbar Abu Dhabi musste für die Vollendung des heute höchsten Gebäudes der Welt helfend unter die Arme greifen. Der Turm ist deshalb nach Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan, dem Premier von Abu Dhabi, benannt. Zudem war die Fertigstellung von der globalen Finanzkrise ab 2007 massiv verzögert worden.
Der nächste Test für Lawrences These könnte 2020 erfolgen. Dann soll der 2013 gestartete Jeddah Tower in Saudi-Arabien als erstes Gebäude die 1000-Meter-Marke knacken. Wie die vorherigen Spitzenreiter markiert auch der Jeddah Tower einen Bauboom im Land, wo er erbaut wird. «Superwolkenkratzer reflektieren schlechte Entwicklungen in der breiteren Wirtschaft», ist Lawrence überzeugt.
Hochhausboom und Blase in China
Im Fall des Lotte World Towers in Südkorea ist die Lage für Lawrence nicht so eindeutig. Weil es nur das fünfthöchste Hochhaus der Welt ist, findet es auch keinen Einzug in seinen Index. Dennoch ist auffällig, dass sowohl der Bauherr Lotte als auch das Land Südkorea ausgerechnet zur Eröffnung in einer Krise stecken. Für Lawrence ist offensichtlich, dass Immobilienblasen oftmals an einem Hochhausboom erkennbar sind – dabei muss es sich nicht unbedingt um das höchste Haus der Welt handeln.
2015 warnte der Ökonom, der Bauboom in China nehme Züge einer Blase an. Im Vorjahr waren rund 60 Prozent der Häuser mit einer Höhe von mehr als 200 Metern in dem Land vollendet worden. 2015 schliesslich waren es schon 80 Prozent aller Wolkenkratzer, die in China entstanden – und im gleichen Sommer kam es tatsächlich zum Börsencrash im Land.
Schweizer Hochhäuser bleiben Zwerge
Obwohl auch hierzulande ein kleiner Hochhausboom ausgebrochen ist, muss man sich um die Schweiz noch keine allzu grossen Sorgen machen. Obwohl Hochhäuser in der Schweiz nicht rentabler sind als konventionelle Häuser, seien hier keine Hochhaus-Bauruinen zu erwarten. «Wenn es ein Schweizer Projekt überhaupt bis in die Bauphase schafft, ist das in aller Regel ein gutes Zeichen», sagte Immobilienexperte Hervé Froidevaux von Wüest Partner in einem Interview mit der Bilanz.
An superhohe Hochhäuser in der Schweiz glaubt Froidevaux ohnehin nicht. «Wo man sich hinstellt, gibt es bestimmt schon einen See, einen Berg oder hundert Einfamilienhäuser. Da stört ein Hochhaus mit seinem Schattenwurf schneller als irgendwo in der Wüste.» Zudem sei klar: «Unsere Hochhäuser werden verglichen mit den Wolkenkratzern in Asien, den USA oder im Mittleren Osten immer Zwerge bleiben.»
Das sind die höchsten Häuser der Schweiz: