Die Zuwanderung der vergangenen Jahre deckt etwa den Bedarf an Arbeitskräften ab. Befürchtungen, Schweizerinnen und Schweizer würden seit Einführung der Personenfreizügigkeit mit der EU aus dem Arbeitsmarkt gedrängt, werden durch neue Zahlen des Bundes widerlegt.
Das Observatorium zum Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU analysiert seit 15 Jahren die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf den Arbeitsmarkt und die Sozialversicherungen. Der diesjährige Bericht ist mit besonderer Spannung erwartet worden, stimmen Volk und Stände Ende September doch über die Begrenzungsinitiative der SVP ab, welche die Personenfreizügigkeit infrage stellt.
Der am Montag vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) publizierte Bericht dürfte eher den Gegnern des Volksbegehrens in die Hände spielen. Die Hauptaussagen lauten nämlich: Die Zuwanderung entspricht in etwa dem von den Unternehmen nachgefragten Arbeitskräftepotenzial. Und: Zuwanderinnen aus dem EU-/Efta-Raum verleihen dem Schweizer Arbeitsmarkt zusätzliche Flexibilität.
Personenfreizügigkeit generiert Wohlstand
Das Personenfreizügigkeitsabkommen habe einen erheblichen Beitrag zum Wirtschaftswachstum und zum Wohlstand in der Schweiz geleistet, sagte Staatssekretärin und Seco-Direktorin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch vor den Bundeshausmedien. «Wollen wir weiter prosperieren, sind wir auf die Zusammenarbeit mit der EU angewiesen.»
Schweizerinnen und Schweizer seien seit der Einführung der Personenfreizügigkeit vor 18 Jahren in bessere Jobs verdrängt worden, hielt Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit im Seco, fest. Negative Auswirkungen hätten grösstenteils verhindert werden können.
Dieser Meinung sind auch die Sozialpartner. «Von einer systematischen Verdrängung von Schweizern auf dem Arbeitsmarkt kann keine Rede sein», sagte Roland Müller, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands. Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, bilanzierte, dass der Lohndruck und die Ausbreitung von Tieflöhnen hätten eingedämmt werden können.
Kein Ansturm
Im vergangenen Jahr blieb die Nettozuwanderung aus dem EU/Efta-Raum mit rund 30'700 Personen gegenüber dem Vorjahr (31'200) praktisch konstant. Jedoch war der Rückgang des Wanderungssaldos wesentlich weniger stark als noch Mitte des Jahrzehnts, wie der Bericht ausweist. Die Studienautoren erklären dies mit der «etwas stärkeren Arbeitskräftenachfrage in der Schweiz in den letzten zwei Jahren».
Die Nettozuwanderung aus Drittstaaten nahm im vergangenen Jahr um 2700 auf 20'800 Personen ab. Der Bund schreibt von einer «Kontinuität bei der Entwicklung der Zuwanderung». Verändert hat sich aber die Zusammensetzung nach Herkunftsregionen. Zwischen 2010 und 2019 stieg die Zuwanderung von Erwerbspersonen aus Süd- und Osteuropa deutlich stärker an als jene aus Nord- und Westeuropa.
Schweizer verdienen besser
In Bezug auf die Erwerbsquote zeigt sich, dass diese für Schweizerinnen und Schweizer wie auch EU-Staatsangehörige in den Jahren 2010 bis 2019 stetig zunahm. Für zugewanderte Personen aus der EU lag die Erwerbstätigenquote 2019 bei 87,7 Prozent, während sie für Schweizerinnen und Schweizer 84,6 Prozent betrug. Der Bericht bilanziert: Das Arbeitskräftepotenzial von in- und ausländischen Personen in der Schweiz werde gut genutzt.
Im Bericht sind auch keine negativen Auswirkungen auf die Lohnentwicklung der Schweizer Bevölkerung zu finden. 2018 lag der Medianlohn von Schweizerinnen und Schweizern bei 6873 Franken und somit um 5,1 Prozent über dem Medianlohn aller Arbeitnehmenden. Schweizerinnen und Schweizer erzielten in allen drei Sprachregionen überdurchschnittlich hohe Löhne.
Zuwanderer öfter von Sozialhilfe abhängig
Dafür wirkt sich die Zuwanderung aus dem EU/Efta˗Raum positiv auf das Umlageergebnis der ersten Säule aus, wie der Bericht zeigt. In Bezug auf die AHV- und IV-Renten folgert die Studie, «dass die ausländischen Staatsangehörigen massgeblich zur Finanzierung und Sicherung dieser Sozialwerke beitragen».
Bei der Arbeitslosenversicherung zeigt sich, dass Schweizerinnen und Schweizer im Vergleich mit Zuwanderern ein deutlich unterdurchschnittliches Arbeitslosenrisiko aufweisen. Das schlägt sich auch in der Sozialhilfe nieder. Schweizerinnen und Schweizer sind in weniger Fällen auf Sozialhilfe angewiesen als Bürger aus dem EU/Efta-Raum oder aus Drittstaaten.
Massnahmen zur Abfederung von Risiken
Die SVP stellt die Nachteile der Personenfreizügigkeit ins Zentrum ihrer Argumentation für die Begrenzungsinitiative. Sie befürchtet, dass die Löhne unter Druck geraten oder Arbeitskräfte verdrängt werden könnten.
Laut Staatssekretärin Ineichen-Fleisch profitieren tatsächlich nicht alle in gleichem Ausmass von der Personenfreizügigkeit. Die Schweiz habe aber verschiedene Massnahmen etabliert zum Schutz der inländischen Arbeitnehmenden - beispielsweise die Flankierenden Massnahmen, die Stellenmeldepflicht sowie der Ausbau des Beratungsangebots für ältere Arbeitnehmende.
(sda/mlo)