Die Technik vereinfacht unser Leben. Je mehr vernetzte Geräte wir nutzen, desto besser kennt unsere Technik unseren Lebenswandel – bis in erstaunliche Details. Die grössten Datensammler sind unsere Handys: Sie wissen, wann wir wo mit wem worüber telefonieren, smslen, twittern oder auf Facebook posten. Nicht nur beim Gebrauch sind die Teile in ständiger Bewegung – und diese Bewegungen lassen sich mit eingebauten Bewegungs- und Beschleunigungssensoren auswerten.
Damit wissen unsere Handys nicht nur, ob sie den Bildschirminhalt im Hoch- oder Querformat anzeigen sollen, sondern eben auch, mit welcher Geschwindigkeit es sich wohin bewegt. Das funktioniert auf die Sekunde und den Millimeter genau. Daneben protokolliert ein Barometer Luftdruck und Höhenunterschiede von einem Meter, ein Thermometer misst die Temperatur im Inneren und berechnet damit die der Umgebung. Bereits 2011 stellte die Universität Freiburg in einem Bericht im Auftrag des Berner Bundesamts für Justiz fest: «Es besteht somit die Möglichkeit, unterschiedlichste, im Einzelnen womöglich wenig sensible Informationen zueinander in Beziehung zu stellen und dadurch aussagekräftige Persönlichkeitsprofile zu erstellen.»
Ihr Smartphone weiss, ob Sie rauchen
Aus den von Handys gesammelten Bewegungsdaten, sagt Rechtsprofessor Scott Peppet von der Universität Colorado, könnten Wissenschafter zum Beispiel Rückschlüsse auf den Grad einer Parkinson-Erkrankung ziehen: Das Zittern von Parkinson-Patienten ist einmalig und unterscheidet sich etwa von Unterzuckerten oder Alkoholikern. Weiter sollen sich unsere Stimmung, unser Stressniveau, unser Persönlichkeitstyp, manisch-depressive Erkrankungen, demografische Daten wie Geschlecht, Zivilstand, Beschäftigungsverhältnis, Alter, Rauchgewohnheiten, allgemeines Wohlbefinden, Schlafrhythmen, Zufriedenheit, Häufigkeit körperlicher Bewegung und Arten physischer Aktivität und Bewegung ableiten lassen.
Künftig sei mit «verstehenden Telefonen» zu rechnen, die Sensordaten mit geografischen oder zeitlichen Informationen verknüpfen können – Hinweise auf Stress könnten so verknüpft werden mit Geschäftsterminen. Dann, so Peppet, könnte das Telefon wohl auch Tipps geben, mit wem man sich aus gesundheitlichen Gründen besser nicht mehr treffen sollte. Nicht nur das Telefon ist eine Datenkrake – auch schlaue Autos sind Jäger und Sammler: Bremsen, Beschleunigen, Drehzahl, Gang, Lenkeinschläge, Pausen und Tanken.
Autos erheben immer mehr Daten
Langzeitprotokolle können darüber Auskunft geben, wer in welchem Rhythmus welche Ziele ansteuert. Der Autobauer Daimler will seinen Kunden zum Beispiel mit einem «Müdigkeitsassistenten» helfen. «Das System analysiert permanent das Fahrverhalten und die Lenkbewegungen und registriert bestimmte Muster, die bei zunehmender Ermüdung oder Unaufmerksamkeit häufig auftreten», so Entwickler Werner Bernzen im Internetblog des Konzerns. «Dabei hat jeder Fahrer ein individuelles Lenkverhalten und das System muss sich zunächst auf den Fahrer einstellen. Verändert sich das Lenkverhalten dann sehr stark im Vergleich zum Beginn der Fahrt, ist dies ein sicheres Indiz für Müdigkeit oder starke Ablenkung.»
Lässt der Herzrhythmus des Autofahrers auf Entspannungsbedarf schliessen, beginnt ein Modell von Kia mit einem «Entspannungsprogramm» – etwa einer «belebenden Beleuchtung aus einem im Dachhimmel integrierten LED-System». Pro Tag produziert ein Oberklasse-Fahrzeug schon heute rund 40 Gigabyte -Daten – bis 2018 soll es 1 Terabyte sein. Bald werden die Smartphones auch Fernbedienungen für unsere intelligenten Häuser und Woh-nungen sein. Sie registrieren, wie oft wir welches Programm am Fernseher einschalten. Wann wechseln wir den Sender? Wie lang läuft die Kiste? In welcher Werbepause marschieren wir zum Kühlschrank, um ein Bier zu holen? Im Gegenzug erinnert der Kühlschrank ans Auffüllen der Vorräte auf Basis des bisherigen Verbrauchs.
Auch die immer ausgefuchstere Spracherkennung verrät viel über uns und unseren Alltag. Unsere Worte lassen sich in ihre Lautbestandteile, sogenannte Phoneme zerlegen, in digitale Zeichen umwandeln und inhaltlich analysieren. Unser Wortschatz lässt Rückschlüsse auf unsere Intelligenz zu. Beim Sprechen gibt unsere Stimme unsere psychologische und emotionale Verfassung wieder. Im Zeitverlauf entsteht ein Sprachprofil, das Rückschlüsse auf unser Denken und dessen Entwicklung zulässt.
Ist der Fernseher an, wird unser Profil aktualisiert – live
Während wir uns alle für komplexe und manchmal komplizierte Persönlichkeiten halten, ist es relativ einfach, Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Zur -Erstellung ist es ausreichend, in einem Videotelefonat 30 bis 120 Sekunden von sich selbst zu erzählen. Das haben italienische Wissenschafter herausgefunden. Das lässt sich mit unseren Daten aus Facebook kombinieren: Wer Basketball und Saxophon spielt, könnte als Verkäufer eine gute Figur abgeben; wer Schnecken fotografiert und meditiert, könnte als Buchhalter Karriere machen.
Anhand von 150 Likes soll Facebook genauere Persönlichkeitsprofile von der Zielperson erstellen können als deren Familie. Um Ehepartner oder andere enge Vertraute zu schlagen, sind 300 Likes erforderlich. Ausserdem lassen sich die Facebook-Freunde sowie die Häppchen auf Twitter und unser Tippverhalten analysieren: Der eine tippt mit zwei, die andere mit zehn Fingern. Mal schneller, mal langsamer und der Tastendruck soll variieren. Einen noch grösseren Kontext bietet unsere bisher gelegte Papierspur – Erbanlagen, Eltern, Kindergarten, Schule, Uni, Arbeitgeber, soziale Stellung, Wohneigentum oder Miete. Und das Ganze kann in Echtzeit funktionieren. In dem Moment, in dem wir den Fernseher einschalten, ist unser Profil schon aktualisiert.
In der schönen neuen Welt rückt eine zehn Jahre alte Ankündigung des früheren Google-Chefs Eric Schmidt in greifbare Nähe: Künftig könne der Konzern den Kunden empfehlen, was sie morgen tun und welchen Job sie annehmen sollten. Unser schlaues Telefon könnte also demnächst nicht nur wissen, wem wir kein zweites Mal begegnen sollten, sondern könnte die Daten dieser unserer Gesundheit nicht zuträglichen Person mit den Daten von Menschen vergleichen, die wir noch nie gesehen haben – und uns im Zweifel von dieser neuen Bekanntschaft abraten.
Vernetzte Spülmaschinen und Wohnzimmerlampen
Das Problem: Die Technik lässt sich für, aber auch gegen uns verwenden. Wer verwendet die Daten? Wofür? Werden tatsächlich nur korrekte Daten benutzt? Welche Algorithmen werden bei der Berechnung benutzt? Die Freiburger Uni jedenfalls warnt: «Von diesen verbesserten Analysemöglichkeiten geht zudem der Effekt aus, dass es für Datenbearbeiter Sinn gibt, möglichst viele Daten zu sammeln. Einerseits stellt der Speicherplatz keine Restriktion mehr dar. Anderseits können Informationen, die heute noch nicht sinnvoll zu bearbeiten sind, in Zukunft für die Bearbeiter von grossem Nutzen sein.» Das weiss niemand besser als der US-Geheimdienst.
Ira Hunt, Ex-Technik-Direktor des CIA, sagte bereits 2013: «Mehr ist immer besser. Da man Punkte nicht verknüpfen kann, die man nicht hat, versuchen wir, grundsätzlich alles zu sammeln, was wir sammeln können, und behalten es für immer. Es liegt in sehr greifbarer Nähe, dass wir in der Lage sind, jede von Menschen verursachte Information zu verarbeiten.» Zu den Aufklärungszielen des Dienstes gehören angeblich auch vernetzte Spülmaschinen und Wohnzimmerlampen. Der kritische US-Journalist James Bamford ist gar der Ansicht, die Dienste wollten wissen, was X über Y «denkt».
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