Mit Kollegen zusammenzuarbeiten, ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Besonders schwierig wird es, wenn verhältnismässig viele Kollegen – wie die Hühner im Stall – auf verhältnismässig wenig Raum eingepfercht sind. Dabei liegt das eigentliche Problem der modernen ‘Massenarbeitsplatzhaltung’ weniger an den gefühlten zwei Quadratmetern, die jeder sein eigen nennen darf. Vielmehr ist es der Lärmpegel, der einem in solch einer Umgebung zu schaffen macht.

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Denn: Kollegen machen, wie jeder aus eigener Erfahrung weiss, Krach: Sie essen, sie trinken, sie fluchen. Und vor allem reden sie - am Telefon, mit anderen Kollegen oder bisweilen auch mit sich selbst. Zusammen mit den rund um die Uhr laufenden TV-Nachrichten im Hintergrund, klopfenden Heizungsrohren und regelmässigem Telefonklingeln ist die Grossraumbüro-Kakophonie perfekt.

Kleine App, grosse Wirkung?

Weniger perfekt ist jedoch, dass man innerhalb dieser enervierenden Geräuschkulisse am Ende des Tages immer noch arbeiten muss und das am besten so fokussiert, konzentriert und effektiv wie möglich. An dieser Stelle soll nun ausgerechnet eine Geräusche-App mit dem sprechenden Namen «Noisli» Abhilfe schaffen. «Noisli» leitet sich vom englischen «noise» ab, was per Definition ein unerwünschtes Geräusch bezeichnet. An diese negative Definition angelehnt, wird «noise» daher häufig mit «Lärm» oder «Krach» übersetzt. Doch wie soll hier nun ausgerechnet eine «Krachmacher-App» helfen?

Nach Stefano Merlo und Sabine Staggl, den beiden Gründern von «Noisli», bietet die App angenehme Hintergrundgeräusche zur Auswahl, die nach Belieben zusammengemixt und gespeichert werden können. Begleitet von einem ständig wechselnden «Multi-Farbschema» mit angeblich entspannender Wirkung, soll «Noisli» gleich in verschiedenen Lebenslagen helfen: Sei es, um die Konzentration während der Arbeit zu fördern, Angstzustände und sogar Hörleiden wie Tinnitus zu lindern oder für Entspannung beim Einschlafen zu sorgen. Klingt ziemlich ambitioniert. Aber noch ist mir nicht ganz klar, wie Krach und Kreativität zusammenhängen sollen.

Krach killt Kreativität

Gut, dass Stefano Merlo und Sabine Staggl auf ihrem Blog eine Studie verlinkt haben, die diesbezüglich mehr Licht ins Dunkel bringt. Nach dieser haben Forscher im Jahr 2012 herausgefunden, dass laute Geräusche die Informationsverarbeitung im Gehirn und damit auch kreative Prozesse vermindern, während leise bis mässig laute Geräusche sie eher verstärken. Mit anderen Worten: Kracht tötet Kreativität, leiser «Lärm» dagegen fördert sie. Das ist eine Erkenntnis, die die meisten Menschen wahrscheinlich unbewusst aus eigener Erfahrung kennen. So haben schon früher Klassenkameraden und später Studienfreunde erzählt, dass beim Lernen und Hausarbeiten machen immer leise das Radio oder der Fernseher im Hintergrund lief.

Für mich war und ist das immer noch ein Ding der Unmöglichkeit. Zwar schalte auch ich als erste Amtshandlung zu Hause den Fernseher ein, aber nur, um einfach irgendetwas zu hören. Geht es dann jedoch ans Eingemachte – etwa um wichtige Überweisungen oder ums Texteschreiben –, kommt die Stummtaste zum Einsatz. Aber gut, eine Farbtherapie-Wellness-App, die mit Geräuschen mein (Arbeits-)Leben verbessern soll? Dafür lasse ich mich auf ein bisschen «positiven Krach» ein. Schliesslich möchte auch ich beim Arbeiten geistigen Leerlauf vermeiden und meine Kreativität ankurbeln. Also tausche ich für die nächsten Tage die lautstarke Büro-Atmo gegen Grillenzirpen und Meeresrauschen ein.

Auf die Ohren, fertig, los!

Kaum heruntergeladen und mit Kopfhörern ausgestattet, kann ich mich auch schon als DJ meiner eigenen perfekten Wohlfühlgeräuschkulisse versuchen. Die App ist farblich und grafisch schön und übersichtlich – um nicht zu sagen minimalistisch – gestaltet. 16 verschiedene Sounds gibt es zur Auswahl, die sich beliebig miteinander kombinieren lassen. Wobei sich schnell zeigt, dass es wenig Sinn macht, mehr als zwei verschiedene Geräusche miteinander zu kombinieren. Sonst wird aus anfänglich harmonisch im Handumdrehen verstörend, womit ich im Grunde wieder bei der Bürokakophonie wäre, für die ich weder eine App noch Kopfhörer brauche.

Also folge ich der bewährten «weniger ist mehr»-Maxime und klicke ich mich geduldig durch die recht eindeutigen Symbole: Eine Regenwolke steht für Regen, Tannenbäume für Wald und eine Flamme für Feuer. Was die Soundqualität betrifft, haben die «Noisli»-Entwickler nicht zu viel versprochen. Die Geräusche wirken authentisch und klingen nicht, als würden sie in einer Endlosschleife wiederholt werden. Stattdessen hat man den Eindruck, wirklich an einem knisternden Lagerfeuer zu sitzen, dem Regen zuzuhören, wie er in seinem eigenen Rhythmus aufs Fensterbrett prasselt oder dem Möwengeschrei am Meer zu lauschen, während einem die Wellen fast über die Füsse schwappen.

Auch offline nutzbar

Ein weiteres Plus von «Noisli»: Man kann sämtliche Geräusche und Funktionen auch offline nutzen und ist nicht vom Mobilnetz oder WLAN abhängig. Das finden auch die meisten Nutzer gut. So schreibt «MichaelV.»: «Ich finde die App klasse. Die Geräusche sind gut gemacht. Ich benutze es immer nebenbei beim Lernen. Auch gut: keine Internetverbindung notwendig.» Und auch andere Nutzer von «Noisli» bewerten die App überwiegend als «sehr angenehm», «fast perfekt» und «klasse».

Kritische Stimmen gibt es eher wenige. «TstationG» bemängelt zum Beispiel, dass die App nicht im Querformat funktioniert, während «DRE_5» einen Staubsauger-Sound zum Einschlafen vermisst. Zum Glück kann und muss man es nicht immer allen Menschen recht machen...

Alle 25 Minuten Pause machen!

Weiterhin verfügt die App über einen Timer mit Fade-out-Funktion. Was es damit auf sich hat, erschliesst sich jedoch nur denjenigen, die sich die Zeit nehmen, den «Noisli»-Blog eingängig zu studieren. Oder eben jenen, die diese App testen müssen. Auf dem Blog erläutert das «Noisli»-Team, dass der Timer an die sogenannte Pomodore-Technik angelehnt ist. Diese Methode basiert auf der Idee, dass häufige Pausen die geistige Beweglichkeit verbessern können.

Das einfache Prinzip in einem Satz: Alle 25 Minuten eine kurze Pause einlegen! Dann laufen sämtliche Arbeits-, Lern- oder Kreativitätssessions angeblich wie geschmiert. Für Menschen, die zwischendurch vergessen zu trinken oder sich mal die Beine zu vertreten, mögen solch erzwungene Pausen durchaus hilfreich sein. Ich dagegen habe eher das Gefühl, gerade während eines «kreativen Flusses» immer wieder aus dem Wasser gefischt zu werden. Was schnell dazu führt, dass ich den Timer ignoriere und schliesslich ganz abschalte.

Laub in den Ohren und Regen im Zimmer

Regentropfen und Laubgeraschel gepaart mit Blitz und Donner entpuppen sich nach einigem Rumprobieren schliesslich als meine «Lieblings-Kombis», die ich bei «Noisli» ganz einfach speichern und benennen kann. (In der Webversion könnte ich diese Kombination sogar in sozialen Netzwerken teilen.) Ein wenig merkwürdig ist es zunächst schon, meiner «Writing in the Rain»-Sound-Kreation zu lauschen, während ein kurzer Blick aus dem Fenster verrät, dass es draussen weder regnet noch blitzt oder donnert. Im Gegenteil: Es ist helllichter Tag und Sonnenschein.

Aber gut, es gibt ja fast nichts, an das man sich nicht gewöhnen könnte. Und so geniesse ich schon bald das Laubgeflüster in meinen Ohren – ein weiterer Favorit –, das sämtliche Bürogeräusche und mit ihnen auch die Kollegen aus meiner Wahrnehmung verschwinden lässt. Sie sind zwar immer noch da, aber mit Hilfe meiner eigens kreierten Geräuschkulisse nicht mehr im Vordergrund. Eine nette Abwechslung ist das in jedem Fall. Aber arbeite ich deswegen auch konzenrierter und kreativer?

Rauschen gegen Tinnitus

Ich persönlich konnte diesbezüglich noch keine Unterschiede feststellen. Und es ist schwer vorstellbar, dass alle Geräusche zu kreativen Ergüssen führen. So finden sich unter den auswählbaren Sounds auch «Störgeräusche», die mit den Buchstaben «W», «P» und «B» gekennzeichnet sind. Nur dank der vorher erwähnten Studie weiss ich, dass es sich dabei um sogenannten «white», «pink» und «brown noise» handelt– um ein künstliches Rauschen, das Hintergrund- und Umgebungsgeräusche unterdrücken soll.

Nach Stefano Merlo, Gründer und Geschäftsführer von «Noisli», können diese Geräusche sowohl beim Lernen als auch beim Schlafen helfen. «Weisses und rosa Rauschen haben höhere Frequenzen, während das braune Rauschen tiefer und etwas angenehmer ist. Alle drei Sounds können auch dabei helfen, einen Tinnitus zu übertönen oder die Privatsphäre zu verstärken», so Merlo weiter. Nun gut, so ausgestöpselt von der akustischen Welt fühlt man sich in der Tat ein wenig mehr auf sich zurückgeworfen. Als Nicht-Tinnitus-Patient fürchte ich dagegen, von diesem Rauschen eher einen Tinnitus zu bekommen, als irgendwelche positiven Effekte zu spüren.

«Noisli», gibt es für das iPhone und iPad und kostet 1,99 Euro. Die Webversion ist gratis und enthält zusätzlich einen Texteditor.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf Bold Economy – das umfassende Nachrichtenportal zur digitalen Revolution.