Es sind nur drei Bilder, und sie fassen mein Problem ganz gut zusammen. In der Regel ist das iPhone das letzte, was ich abends in der Hand habe und das erste, auf das ich nach dem Aufwachen schaue. Während der Kaffee durchläuft, schaue ich aufs iPhone, beim Zähneputzen auch. Und auf dem Weg zur U-Bahn vermeide ich es immer wieder nur durch ein Manöver im letzten Moment, nicht in jemanden hineinzurennen, der wie ich gerade auf seinen Bildschirm starrt.
In der U-Bahn lese ich Artikel auf dem iPhone, steige ich aus und habe wieder Netz, gucke ich schnell nach neuen Nachrichten auf Whatsapp oder Facebook. Und das waren nur die ersten 50 Minuten meines Tages.
Auf zum gesünderen, besseren, iPhone-freien Ich
Dass das nicht gesund ist, weiss ich. Dass ich das ändern sollte, auch. Aber wie für die meisten ist es auch für mich die bequemste, weil immer verfügbare Übersprungshandlung. Beim Friseur vertreibt es die Zeit, bis man an der Reihe ist, auf der Party überbrückt es die Leere, bis die Freunde ankommen. Das ständige Klingeln und Vibrieren in der Tasche unterbricht mich in allem, was ich tue: Selbst bei spannenden Filmen gucke ich zwischendurch kurz auf den Bildschirm.
Warum? Keine Ahnung. Es gibt ganze Studien, die belegen, dass der ständige Griff zum Smartphone zu psychischen Erkrankungen wie Angststörungen oder grösserer Unzufriedenheit und Stress führen kann. Beunruhigende Aussichten.
Das Problem: Wie oft ich am Tag wirklich auf mein iPhone gucke, kann ich nur schwer einschätzen, was ich wie ändern kann also auch. Zumindest bislang. Jetzt starte ich den digitalen Entzug, ausgerechnet mit einer Smartphone-App. Genauer: Mit zweien. «Moment» und «Checky» gehören zur Familie der Tracking-Apps, mit denen wir unsere Schritte, unsere Kalorien und unseren Schlaf überwachen und die im Idealfall zu einem gesünderen, besseren Ich führen. In diesem Fall heisst das: Einem Ich, das mehr Zeit bei sich und weniger am iPhone verbringt.
Ich habe das Gefühl, Kevin versteht mich
Einmal installiert zählt «Moment» im Hintergrund die Minuten, die man am iPhone verbringt und merkt sich erbarmungslos jedes Mal, da man es in die Hand nimmt. Erreicht man bestimmte Marken, blinkt Moment mahnend auf dem Display auf: «Sie haben heute bereits 15 Minuten an ihrem iPhone verbracht», heisst es bei mir schon um 10 Uhr morgens.
Kevin Holesh, Programmierer aus Pittsburgh, hatte die Idee für die App, als das iPhone begann, an seiner Ehe zu nagen. Er und seine Frau hätten immer mehr Abende damit verbracht, auf ihre Displays zu starren, statt in die Augen des Anderen, erzählt er. «Ich wollte einfach mehr im Moment leben», so Holesh. Ich habe das Gefühl, Kevin versteht mich.
Smartphone Nutzung auswerten
Und zumindest auf dem Papier scheint die App, die seit Juni verfügbar ist, ihren Dienst zu tun. «Moment»-Nutzer würden ihr Smartphone schon nach wenigen Wochen statt 71 Minuten nur noch 45 Minuten nutzen, sagt der Programmierer. Hunderttausende habe Moment bereits aus den engen Fesseln ihres iPhones befreit. Am Ende des ersten Tages liest sich meine Bilanz niederschmetternd: 77 Minuten, 79 Mal in die Hand genommen. Damit lande ich über dem Durchschnitt. Gut, dass ich endlich eingreife.
Auch Checky zeigt mir an, wie oft ich zum iPhone greife und wie sich das über die Tage entwickelt. Auf einer Karte kann ich sehen, wo ich das am häufigsten tue: In der Wohnung, im Büro und an der einen U-Bahn-Haltestelle, an der ich auf dem Weg dazwischen Empfang habe. Wie viele Minuten meines Tages ich damit am Ende mit Blick nach unten verbringe, verschweigt mir Checky leider. Dennoch: Mehr als 250.000 Downloads geben mir zumindest das wohlige Gefühl, das sonst nur Gruppentherapien verschaffen: Ich bin mit meinem Problem und dem Wunsch nach mehr Realität als Virtualität nicht allein.
Gelangweiltes Scrollen oder wichtige E-Mail?
Ob mir das Wissen um Minuten und Übersprungshandlungen bei meinem Entzug helfen, ist schwer zu sagen. Dass ich heute 77 Mal auf mein iPhone geguckt habe, beeindruckt und beschämt mich gleichermassen. Denn es führt mir die Sekundenbruchteile vor Augen, in denen ich andere Dinge unterbrochen habe, um etwas nachzugucken, was meist wahrscheinlich hätte warten können. Dass mir Moment vorhält, wie viele Minuten meines Tages mein Smartphone wegnagt, zeigt mir deutlich, wie viel Zeit ich tatsächlich einsparen könnte, wenn ich das iPhone einfach mal liegen lassen würde.
Was mir die Apps leider nicht verraten: Wo fange ich an zu sparen? Weder Moment noch Checky können zwischen den wichtigen und den unwichtigen Griffen zum Smartphone unterscheiden. Ist es eine E-Mail, die nicht warten kann? Oder einfach nur gelangweiltes Wischen durch Bilder auf Instagram? Und zumindest in der Testphase greife ich allein deshalb öfter zum iPhone, um zu gucken, wie oft ich zum iPhone gegriffen habe.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Bold Economy – das umfassende Nachrichtenportal zur digitalen Revolution.