Zwar gehörte die Universität St. Gallen schon vor 40 Jahren zu den führenden Ausbildungsstätten für angehende Wirtschaftsführer. Aber dass Studierende international reputierte Referenten im Alleingang an ihre Hochschule holen wollten, war ein kühnes Unterfangen: Da gab es zunächst kein Startkapital, keine Sponsoren und kein Vitamin B. Erschwerend kam hinzu, dass die Studenten damals lieber auf der Strasse protestierten. Zwar nicht jene von St. Gallen: «Bei uns wird gebüffelt und nicht randaliert, weil unsere Absolventen wissen, dass die Volkswirtschaft nicht durch Streiks angekurbelt wird», sagte Rolf Dubs, ein Supporter der ersten Stunde - doch das Image färbte ab.

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Wolfgang Schürer und Professor Francesco Kneschaurek denken an die Geburtsstunde des St. Gallen Symposiums zurück: «Kneschi», so nennen ihn die Studenten, lud zu einem Bratwurstessen ein. Er liess es sich aber nicht nehmen, nebenbei die Tagesschau einzuschalten. Gezeigt wurden Studenten, die Steine schleuderten und in Hörsälen urinierten. «Wir fanden das sinnlos und überlegten, ob es nicht andere Möglichkeiten gebe, um den Dialog mit dem Establishment zu suchen», blendet Schürer in jene Zeit zurück. Die Gründer des International Students Committee, ISC, noch heute Organisator des Grossanlasses mit 1000 Gästen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, liessen sich durch nichts von ihrer Idee abbringen. Im Gegensatz zum WEF, bei dem die Stargäste mit grosszügigen Honoraren und Zusatzanreizen angelockt werden, betraten die ISC-Pioniere buchstäblich mit leeren Händen die Bel-Etagen der grossen Namen, um sie zum Dialog einzuladen.

Und sie kamen alle

Was folgte, war beinharte Knochenarbeit. Das ISC-Hauptquartier war ein windiges Büro. Die erste Naturalspende bestand aus 1000 l Heizöl der Firma Osterwalder. «Was? Die Studenten wollen mit uns ohne geballte Fäuste reden?», bekamen die Pioniere des Symposiums zu hören. Und das einzige Argument auf der Referentensuche bestand darin, dass man den Big Shots sagte: «Wenn Sie zum Angebot, mit uns Studenten zu sprechen, Nein sagen, sagen Sie Nein zu einer Idee.» Und sie kamen alle nach St. Gallen: Von Joe Ackermann, Peter Brabeck, Günter Grass, Jacques Delors, Alex Krauer, Christine Lagarde über Kurt Biedenkopf, Nicolas Hayek, Bénédict Hentsch, Vaclav Klaus, Helmut Kohl, Mohammed Khatami, Vladimir Kusnezow bis hin zu Edzard Reuter oder Otto Schily. Seither haben mehrere Hundert Persönlichkeiten aus aller Welt am St. Gallen Symposium teilgenommen. Die entsprechenden Unterlagen füllen dicke Ordner, die im geräumigen Zimmer in einer alten Jugendstilvilla stehen. Hier wird auch an diesem frühen Morgen getagt und durchgeackert, was noch zu tun bleibt. «Die Vorbereitungen für das nächste Symposium beginnen jeweilen bereits, wenn der letzte Gast das aktuelle Symposium verlassen hat», sagen Maximilian Jellinek und Can Schnigula von der ISC-Leitung. Die zwei Dutzend Mitglieder des Studentenkomitees sind für verschiedene Ressorts verantwortlich, rapportieren und ziehen eine vorläufige Bilanz. Die Sitzung ist eine Mischung aus Disziplin und Lockerheit, die nur in Gebilden mit flachen Hierarchien möglich ist, deren Beteiligte sich zuvor über die Ziele geeinigt haben. Sie alle nehmen aus ihrer Arbeit etwas mit, das man nicht im Hörsaal lernen kann, wie es Peter Gerkens formuliert.

Multi-Talente gefragt

Dem harten Kern stehen 300 Freiwillige zur Seite; sie müssen instruiert und mit ihren Aufgaben vertraut gemacht werden. Auch das ist ein USP dieser auf der Welt einmaligen Veranstaltung: Die Gäste werden von Studenten chauffiert, betreut, bedient und finden in ihnen jederzeit dialogfreudige Gesprächspartner. «Mich fasziniert, dass diese jungen Leute alle diese Rollen gleichzeitig mustergültig beherrschen», sagte Nestlé-Ehrenpräsident Helmut Maucher. Wie das zustande kommt, erfährt nur, wer hinter die Kulissen schaut. «Nach aussen muss alles perfekt sein, daran arbeiten wir täglich. Dabei hilft, dass uns immer auch ein Entscheidungsspielraum bleibt», sagt Dominique Biedermann. Der Student spricht damit an, was zu den modernen Führungsgrundsätzen gehört. «Nur, dass ISCler diese umsetzen lernen, bevor die graue Theorie ihren Enthusiasmus erstickt», sagt Christian Raubach, ehemaliges Komiteemitglied und heute Partner bei der Privatbank Wegelin. «Im ISC habe ich einen richtigen Leistungsschub erlebt», fasst er zusammen. Auch die heutigen ISCler sehen es so. «Wir müssen uns um 1000 Kleinigkeiten kümmern, da lernt man, Schwerpunkte zu setzen und das Ganze nicht aus den Augen zu verlieren», sagt Sarah Vettiger. Garry Spanz kümmert sich um einen noch zeitgemässeren IT-Auftritt. Auch gilt es, noch rund 1 Mio Tagungsunterlagen zu kopieren. «Zehn Stunden pro Tag sind normal», sagt Christian Rundquist. Obwohl das seit Monaten so geht, gähnt kein einziger während der Sitzung, die regelmässig zu unchristlich früher Zeit einberufen wird. Noch liegt vieles vor den ISC-Recken, die sich ein erfolgreiches Symposium auf die Fahne geschrieben haben. Es wäre das erste Mal in all den 40 Jahren, wenn es diesmal nicht klappen würde.