Als sie vor einem halben Jahr ihren Job in Winterthur startete, verzichtete sie anfangs auf eine Antrittsrede. «Was hätte ich schon sagen sollen? Halleluja Brothers, etwa?», fragt Katarzyna Mazur-Hofsäss in ihrem Büro an der Grüzefeldstrasse, zuckt die Schultern und lacht. Erst einmal verordnete sie sich selbst, aufmerksam zuzuhören und den Puls zu fühlen. Schnell hat sie gemerkt, welche wichtige Rolle ihr neuer Arbeitgeber in der früheren Industriestadt Winterthur spielt.
Die einstige Sulzer Medica, die danach Centerpulse hiess, bevor sie von Zimmer übernommen wurde, ist heute an der Eulach mit 1050 Arbeitsplätzen die wichtigste industrielle Arbeitgeberin, vor Sulzer und Rieter. Das ist erstaunlich, wenn man sich daran erinnert, dass allein Sulzer zu den besten Zeiten mehr als 15000 Menschen in Winterthur Arbeit bot.
Chefs sitzen in Warsaw
Diesen Umstand betonten ihre neuen Chefs nicht explizit, sitzen sie doch weit weg von Winterthur in Warsaw. - Warsaw? Das tönt zwar wie die Hauptstadt von Polen, liegt aber im US-Bundesstaat Indiana. Dort hat der Weltmarktführer für Orthopädieprodukte seinen Hauptsitz. Aus Polen stammt dafür die neue EuropaChefin, Katarzyna Mazur-Hofsäss. Von Winterthur aus leitet sie jetzt nebst Europa das Zimmer-Geschäft in Nahost und in Afrika.
«Das ist ein Superjob», gerät Mazur-Hofsäss ins Schwärmen, wenn man sie fragt, warum sie das Angebot angenommen habe. Nebst der Europa-Verantwortung sei sie als General Manager zuständig für die Zimmer GmbH Winterthur, zugleich ein grosser Produktionsstandort. «32 Leute rapportieren in einer Matrixstruktur an mich. Sonst ist es meine Aufgabe, zu koordinieren, was ich über alles liebe», sagt sie.
Ideal findet sie die Grösse der Firma - nicht zu gross und nicht zu klein. Im Vergleich zu ihrem vorherigen Arbeitgeber Abbott mit 83 000 Angestellten ist Zimmer mit 8500 Mitarbeitern weltweit sogar klein. Für Abbott war Mazur-Hofsäss zuletzt in Wiesbaden gewesen, wo sie Vice President der europäischen Diagnostik-Sparte war.
Alles begann im Spital
Doch eine Karriere als Industriemanagerin war bei der studierten Ärztin keineswegs vorgezeichnet. Katarzyna Mazur-Hofsäss wuchs als Einzelkind in einfachen Verhältnissen in Danzig auf. Sie begann ihr Medizinstudium während des Kalten Kriegs, aber just zu jener Zeit - 1980/1981 -, als dort die Werftarbeiter streikten und der spätere polnische Staatspräsident Lech Walesa in Danzig die Gewerkschaft Solidarnosc aufzubauen begann.
Natürlich habe sie der allgegenwärtige Kampf für Freiheit und Demokratie in ihrer Stadt stark geprägt. «Es war faszinierend, an einem Ort zu sein, wo man plötzlich spürte, dass Weltgeschichte geschrieben wurde», sagt Mazur-Hofsäss. Gleichzeitig sei sie nebst idealistischen Gründen aber auch Ärztin geworden, weil dieser Beruf so ganz frei von Politik ist. Von 1987 bis 1993 praktizierte sie an der Universitätsklinik in Danzig als Fachärztin für Innere Medizin und wirkte auch als Dozentin.
Mit 30 folgte der radikale Wechsel in die Industrie. Es war die Zeit nach der Wende, als die westlichen Konzerne nach Osteuropa drängten und auf viele junge und gut Ausgebildete eine grosse Faszination ausübten. Dass Mazur-Hofsäss damals aus mehreren Angeboten jenes des Basler Pharmamultis Roche auswählte, sei ein Glücksfall gewesen, sagt sie rückblickend.
Sie war beim Aufbau von Roche Polen dabei und hatte die Entwicklung von anfänglich 20 bis zu 300 Mitarbeitenden erlebt, als sie nach fünf Jahren das Unternehmen wieder verliess und dem Ruf von Abbott folgte. «Wir hatten bei Roche einen tollen Chef und installierten von Grund auf alles neu, von der modernen Finanzabteilung über die diversen Business-Prozesse bis zum Marketing. Ich habe meinen MBA später in den USA gemacht. Bei allem Respekt, für das, was ich dort lernte, das Beste waren die praktischen Erfahrungen in den Jahren bei Roche», erinnert sich die heute 47-Jährige.
Inspirierende Chefin
Ihr Hintergrund als Ärztin bringe ihr heute viel, ist die zweifache Mutter überzeugt. «Man kann kein guter Arzt sein, wenn man nicht gut zuhören kann und lernt zu fokussieren. Zudem muss man als Arzt sehr gut mit Stress umgehen können. In einer Nachtschicht warten alle auf deine Entscheidungen in schwierigen Momenten. Unter Extrembedingungen zu führen, das lernt man definitiv im Spital. Kommt hinzu, dass die Klinikmedizin ausgesprochen prozessorientiert ist.»
Ihr Ziel in Winterthur ist es jetzt, ein noch attraktiverer Arbeitgeber zu werden. Sie glaubt persönlich von sich, eine inspirierende Chefin zu sein. Den «Status quo» zu halten, sei gar nicht ihr Ding. Es könne alles immer noch besser sein. Als ihre wichtigste Aufgabe sieht sie denn auch die Rekrutierung der besten Leute, was sie sehr genau nimmt. Lieber wartet sie länger, statt jemanden anzustellen, von dem sie nicht 100%tig überzeugt ist.
Bei neuen Leuten interessiert es sie in erster Linie, was jemand tatsächlich gemacht habe und nicht, was er künftig zu tun gedenke. «Du bist, was du gemacht hast und nicht, welche Ideale du hast», lautet ihr nüchternes Credo.
Wütend macht sie, wenn nicht gewissenhaft und sorgfältig gearbeitet und nicht ans Wohl des Gesamtunternehmens gedacht wird und wenn persönliche Animositäten in den Vordergrund rücken. Katarzyna Mazur-Hofsäss bezeichnet sich als erfolgsorientiert und nennt den geschäftlichen Erfolg den schönsten Moment als Vorgesetzte.
Fragt man sie, ob ihr Frauenförderung ein besonderes Anliegen ist, antwortet sie mit Nein. Sie wolle die besten Leute, und sie lege natürlich Wert auf gemischte Teams. Sie halte es da mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die einmal auf eine Geschlechterfrage antwortete: «Keine Ahnung. Ich war noch nie ein Mann.»
Kunstbeflissen und gesellig
Nebst dem Managementjob bleibt ihr nicht viel Zeit, denn sie arbeite zu viel, sagt Mazur-Hofsäss, um lachend beizufügen: «Hoffentlich liest meine Mutter dieses Interview nicht.» Die Freiheit als Ärztin, das habe ihr schon sehr gefallen, gesteht sie. Als TopManagerin habe man zwar einen tollen Job, aber frei sei man definitiv nicht.
Und was sie ebenfalls nicht mag, ist das Reisen. Flugzeuge, Taxis, Hotel- und Sitzungszimmer seien das Einzige, was man in den Ländern überhaupt zu sehen bekomme. Doch das Reisen sei die einzige Möglichkeit, mit den Kunden und Mitarbeitern direkt zu kommunizieren.
Mazur-Hofsäss liebt klassische Musik und Bücher, und sie ist begeistert von den hochkarätigen Winterthurer Kunstmuseen. Sie ist gerne in Gesellschaft und unter Freunden. Vor allem aber ist sie angesichts ihrer Grossfamilie auch ein Familienmensch. Ihr zweiter Mann hat drei erwachsene Kinder, die ihrerseits bereits Kinder haben. Sie ist also sozusagen schon Grossmutter.
Wohnung mit Hausgeist
Ihre eigenen Kinder seien gerade in besonderen Lebensphasen, erzählt Katarzyna Mazur. Die Tochter ist 18 und hat mit dem Studium begonnen. Der Sohn wird 24 und hat soeben seinen ersten Job angetreten. Ende August erfolgte der Umzug von Wiesbaden in die Schweiz. In Embrach hat die Familie eine Wohnung bezogen in einem uralten, sanft renovierten Haus inklusive Hausgeist, wie Katarzyna Mazur-Hofsäss felsenfest überzeugt ist.