Franz Bucher blickt auf eine erfolgreiche Karriere zurück, die nur eine Richtung kannte, nach oben. Eine Krankheit bringt die Wende. Bucher hat genug von den internationalen Managementfunktionen und beschliesst mit 39 Jahren einen beruflichen «Rückzieher». Er tritt eine Stelle mit weniger Führungsverantwortung und Reisetätigkeit an. «Beruflich gesehen ein Rückschritt – aber gemessen an der Lebensqualität ein riesiger Fortschritt», sagt Bucher. Das MBA gönnt er sich als persönliche Weiterbildung – um bald darauf selbst zum Chef seiner neuen Firma aufzusteigen. Dabei will er seine neu gewonnene Lebensqualität nicht verlieren.
So wie Bucher denken viele Manager. Dies zumindest ergab eine anonymisierte Befragung von rund 600 Alumni von MBA-Lehrgängen in der Schweiz, grösstenteils Männer zwischen 28 und 70 Jahren. Die Erhebung wurde im Juni 2011 am Departement Management, Technologie und Ökonomie der ETH Zürich durchgeführt und kürzlich publiziert.
Widerspruch zur Praxis
Die Alumni wurden unter anderem zu Faktoren des beruflichen Erfolgs befragt. Dabei räumte eine grosse Mehrheit der «Zufriedenheit bei der Arbeit» die grösste Bedeutung ein. Das Salär folgte erst im Mittelfeld unter den vorgeschlagenen Erfolgskriterien. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zur nach wie vor verbreiteten Praxis vieler Unternehmen, primär auf finanzielle Anreize und hierarchische Stellung als Anreize zu setzen. Zudem haftet MBA-Absolventen oft der Ruf an, vorab Geld und Status im Auge zu haben. Hat nun dieses gängige Manager-Vorurteil ausgedient? Und was bedeutet dies für die Firmen?
Die Alumni wählten bei der Online-Umfrage zehn häufig verwendete Kriterien zur Messung des beruflichen Erfolgs aus wie Zufriedenheit bei der Arbeit, Work-Life-Balance oder Salär. Daraufhin wurden die Befragten gebeten, die Kriterien nach ihrer Wichtigkeit zu sortieren. Das mit Abstand als am wichtigsten eingestufte Erfolgskriterium war die berufliche Zufriedenheit. 31 Prozent der Teilnehmenden nannten diese Kategorie zuerst, gefolgt von Work-Life-Balance (19 Prozent) und beruflichen Herausforderungen (13 Prozent).
Bemerkenswert sind die weniger häufig genannten Erfolgsfaktoren. Nur 1 Prozent der Befragten bezeichnete das «Salär» als zentrales Kriterium. Der Organisationspsychologe und Koordinator der Studie, Martin Gubler, zeigt sich überrascht, dass das «Salär» und die «hierarchische Stellung» eine derart untergeordnete Rolle spielen. In einer parallel durchgeführten qualitativen Studie, in der ein Teil der Alumni persönlich befragt wurde, bestätigte sich allerdings dieses Bild.
Gleichwohl ist sich der Forscher bewusst, dass bei den Resultaten eine gewisse Verzerrung möglich ist. Wegen des Phänomens der «sozialen Erwünschtheit» antworten die Probanden gerne so, wie es aufgrund sozialer Normen erwünscht ist. Dies würde bedeuten, dass Geld als Motivationsquelle als unedel erachtet und dadurch als weniger wichtig dargestellt wird.
Gubler sieht seine Ergebnisse aber auch durch andere Untersuchungen bestätigt, wonach mit «Geld und Titeln» allein die Motivation der Mitarbeitenden nicht erhalten werden könne. Die Interviews in der Studie zeigten, dass vor allem eine als fair und angemessen empfundene Entlöhnung wichtig ist und nichtmaterielle Erfolgskriterien eine zentrale Rolle spielen.
Dem stimmt Margit Osterloh zu, Professorin an der Warwick Business School und emeritierte Professorin der Universität Zürich. Um den Effekt der sozialen Erwünschtheit auszuschalten, müsste man ihrer Ansicht nach nicht nur die Meinung der Alumni erfragen, sondern ihr tatsächliches Verhalten beobachten. Welche Jobs haben sie wirklich gewählt? Jene mit dem höheren Salär oder jene, welche eine grössere Arbeitszufriedenheit versprechen?
Die ökonomische Glücksforschung zeigt nämlich, dass die meisten Menschen den Nutzen von Geld überschätzen und jenen sozialer Faktoren vergleichsweise unterschätzen. Dennoch sei das Ergebnis interessant, so Osterloh. Es zeige, dass die Alumni wüssten, dass Geld keineswegs der wichtigste Faktor im Arbeitsleben sei.
Traditionelle Anreizsysteme verpuffen
Die Befragungsergebnisse haben Folgen für die gängige Personalpolitik in vielen Firmen. Sie stehen im Widerspruch zur hohen Bewertung von Salär und hierarchischer Stellung. Gäben Mitarbeitende statt einer Salärerhöhung beispielsweise einer grösseren zeitlichen Flexibilität den Vorzug, würden die traditionellen Anreizsysteme über Geld und Stellung teilweise ungenutzt verpuffen.
Deshalb appelliert Organisationspsychologe Gubler an die Firmen, mehr Mut zu zeigen und darauf zu vertrauen, dass nichtfinanzielle Anreize von den Mitarbeitenden geschätzt würden, wenn die Rahmenbedingungen stimmten. Er ist überzeugt, dass sich Unternehmen mit breiter angelegten Anreizsystemen auf dem Markt profilieren könnten.
Ein Unternehmen, das nicht primär auf ein finanzielles Anreizsystem setzt, ist beispielsweise der Versicherer Axa Winterthur. Er positioniert sich als familienfreundliches Unternehmen und erhielt dafür die Auszeichnung «Familie UND Beruf». «Kultur und Massnahmen müssen aufeinander abgestimmt sein», erläutert Yvonne Seitz, verantwortlich für Diversity und Family Care bei Axa Winterthur.
Der Versicherer kommt den Mitarbeitern mit verschiedenen Arbeitszeitmodellen wie Telearbeit, Home Office, Jobsharing und vor allem Teilzeitarbeit entgegen und führt eine eigene Krippe. Wichtig bei solchen Massnahmen sei, dass alle Mitarbeitenden profitieren könnten, nicht nur Mütter und Väter, sagt Seitz. Dies soll die Motivation aller Mitarbeitenden erhöhen und damit auch die Leistung.