Im vergangenen Dezember haben Sie Ihren hoch dotierten Posten als Chef der Produktentwicklung bei Twitter nach nicht einmal acht Monaten aufgegeben – nachdem man Ihnen ein paar Wochen davor einige Kompetenzen entzogen hatte. Was machen Sie jetzt?
Daniel Graf*: Anfang des Jahres entschied ich, eine Pause einzulegen. Ich fing mehrere fantastische Projekte an, das wichtigste war natürlich meine Hochzeit im Mai. Ich bin sehr aktiv als Berater von Startups und Angel-Investor, treffe viele Wagniskapitalgeber. Und ich begann auch, mich mit neuen Technologiebereichen zu beschäftigen.
Sie haben sich vor allem mit Entwicklungen rund um Google Maps, Online-Video und mit internetfähigen Fernsehern einen Namen gemacht. Ihre Ideen waren der Zeit oft weit voraus. Welche Bereiche interessieren Sie heute?
Insbesondere digitale Gesundheit sowie Landwirtschaft und Food-Technologie – Felder, in denen mit Technologie viel bewegt werden kann und viel Spannendes entwickelt wird. Eines meiner Investments ist Mavrx. Das Unternehmen macht mit Flugzeugen, Satelliten und Drohnen Fotos riesiger Anbauflächen, analysiert sie und liefert Bauern und landwirtschaftlichen Genossenschaften Informationen zu Dingen wie Vegetationsperioden oder Arbeitsabläufen oder dazu, welche Äcker mehr Aufmerksamkeit oder Dünger benötigen.
Würden Sie in einem solchen Unternehmen auch arbeiten wollen?
Seit Juli juckt es mich wieder in den Fingern, wieder voll im Einsatz zu sein. Entschieden habe ich mich aber noch nicht - ich schaue mir alles an. Momentan geschieht so viel Spannendes im digitalen Bereich, vor allem, wenn man es mit dem Jahr 2000 vergleicht. Damals wurde alles gehypt, dabei waren die meisten Unternehmen Schall und Rauch und bestanden aus nicht viel mehr als Powerpoint-Präsentationen. Viele der in jüngster Zeit gegründeten Startups sind richtige Unternehmen, die aufgebaut werden.
Wird man Sie demnächst bei einem der vielen mit Milliarden bewerteten Startups, einem sogenannten Unicorn, antreffen?
Ich diskutiere mit mehreren Unternehmen über einen Wiedereinstieg und habe schon mehrere Angebote bekommen. Angenommen habe ich aber noch nichts. Ich schaue mir alles an, von kleinen Startups über Unicorns bis hin zu börsennotierten Unternehmen. Ich habe mir auch kurzzeitig überlegt, ob ich Venture Capitalist werden soll, aber ich will Produkte erschaffen. Das Wichtigste für mich ist, mit einem guten Team zusammenzuarbeiten, ausserdem muss das Produkt das Potenzial haben, positive Auswirkungen auf die Welt zu haben. Und dann gibt es immer auch die Option, nochmals selber eine Firma zu gründen.
Sie gründeten 2005 hier in San Francisco Ihr Video-Startup KyteTV, das Sie 2011 verkauften. Wenn Sie wieder gründen würden, könnten Sie sich vorstellen, es in der Schweiz zu tun?
Mein Zuhause ist hier.
Risikokapital für ein Startup würden Sie auch in der Schweiz bekommen.
Geld ist in der Schweiz natürlich vorhanden. Aber man braucht das ganze Silicon-Valley-Ökosystem, das sich schwer kopieren lässt: Neben Kapital die Leute, die Ressourcen, die Infrastruktur von den Bankern bis hin zu den Anwälten, das ganze Drumherum. Das gibt es in diesem Ausmass wirklich nur hier.
Nochmals zu Twitter. Der Kurznachrichtendienst schaffte es, Sie von Google wegzulocken, wo Sie sehr erfolgreich waren. Das galt als grosser Coup. Sie fingen unter dem mittlerweile abgetretenen CEO Dick Costolo an, knapp acht Monate später kündigten Sie bereits wieder. Was ist passiert?
Lassen Sie mich erst was zu Google sagen: Die Zeit dort war phänomenal. Ich war ab 2012 für Google Maps für Android und iOS und für die lokale Suche verantwortlich, bei der Nutzer nach Dingen in ihrer Nähe suchen. Zwei Produkte mit monatlich je mehr als eine Milliarde Nutzer – davon gibt es nur wenige. Wir entwickelten Google Maps für das iPhone, starteten die App am 12.12.2012 und hatten innerhalb der ersten 48 Stunden mehr als zehn Millionen Downloads. Das war der erfolgreichste App-Launch der Geschichte.
Also gab es wenig Grund, zu einem von Wachstumsproblemen und ständigen Personalwechseln geplagten Unternehmen zu gehen, wo die zerstrittenen Gründer sich dem Vernehmen nach dauernd einmischten?
Für mich waren zwei Gründe entscheidend. Zum einen wollte ich mit dem damaligen COO Ali Rowghani arbeiten …
… der davor Twitter-Finanzchef und vor Twitter Finanzchef und Chefstratege beim Trickfilmstudio Pixar war.
Ich lernte Ali während des Recruiting-Prozesses kennen. Ich war sehr beeindruckt von ihm, er inspirierte mich. Der zweite Grund war, dass Twitter eine neue grosse Herausforderung war. Der Dienst ist aus meiner Sicht wichtig für unsere Gesellschaft, ist aber viel zu kompliziert und hat sich in den vergangenen Jahren kaum verändert. Das zu ändern, reizte mich.
Und was lief dann schief?
Mir wurde quasi versprochen, dass ich der letzte Neuzugang sein würde. Zwei Wochen nach meinem Start war der Senior Vice-President Engineering nicht mehr dort, zwei Wochen später war Ali weg – einer der Hauptgründe, warum ich mich überhaupt für Twitter entschieden hatte. Irgendwann kommt man dann an den Punkt, wo man morgens ziemlich freudlos an die Arbeit geht. Nach einem halben Jahr wusste ich, dass das nicht das Richtige für mich ist. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.
*Der Schweizer Daniel Graf hatte im Silicon Valley den On-Demand-Video-Pionier KyteTV entwickelt und 2011 erfolgreich verkauft, bevor er bei Google anheuerte. Dort verantwortete er Google Maps für Android und iOS und die ortsbezogenen Suche. 2014 wechselte er als Vice-President of Product zum Kurznachrichtendienst Twitter, den Posten verliess er allerdings nach gut sieben Monaten wieder.
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