Seit einiger Zeit tritt Apple-Chef Tim Cook häufiger mit Entschuldigungen an die Öffentlichkeit als mit Innovationen. So verbuchte Apple kürzlich den grössten Gewinnrückgang der vergangenen zehn Jahre. Vieles spricht dafür, dass der Konzern von Samsung abgehängt wird. Die Samsung-Käufer stehen Schlange für das Smartphone Galaxy S4, das Unternehmen macht Rekordgewinne.

Apple gilt als exemplarisch für eine Reihe führender Unternehmen, die feststellen müssen, dass ihr bewährtes Rezept immer weniger funktioniert, während die einst belächelten Konkurrenten vorpreschen. Der Pionier von einst könnte sich damit bald in die Runde jener Champions einreihen, die nach jahrelangen Grosserfolgen träge und taub geworden sind. So war Sony der Schöpfer der kommerziell erfolgreichsten Transistorradios und galt als Synonym für Qualität in der Unterhaltungselektronik. Dann stufte im letzten Herbst die Ratingagentur Finch die Kreditwürdigkeit des japanischen Elektronikkonzerns auf Ramschniveau herab. Sony hat längst den Anschluss an die Rivalen Apple und Samsung verloren.

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Blättern in den Fotoalben des Erfolgs

Grundsätzlich seien die Marktführer von gestern nie diejenigen von morgen, sagt der Bonner Strategieberater Hermann Simon. Der Mechanismus sei stets derselbe: «Ein neuer Wettbewerber tritt auf, benutzt ungewöhnliche Methoden, die zunächst oft belächelt werden, und zerstört so, erst langsam, dann schneller, das Geschäft des Etablierten.»

Das Problem sei, sagt Harvard-Professor Clayton Christensen, dass die Konzerne zu lange bei ihren alten Geschäftsmodellen blieben. «Statt in ihre Zukunft zu investieren und sich selbst neu zu erfinden, verteidigen sie das, was sie erschaffen haben, hängen zu lange ihren Erinnerungen nach, blättern zu ausgiebig in den Fotoalben ihres eigenen Erfolgs.» So verpassen sie das, was der Harvard-Professor eine «disruptive Technologie» nennt, eine unerwartete Innovation, die Bestehendes ganz verdrängt.

Dabei scheitern Firmen laut Christensen nicht an ihrem schlechten, sondern am guten Management. Sie konzentrierten sich immer auf jenen Bereich, der ihnen Erfolg brachte. So werden sie zu hoch effektiven, aber letztlich unflexiblen Organisationen. Derlei Unternehmen nennt der Strategieexperte Jens-Uwe Meyer «Innosaurier». Diese sind innerhalb ihres Wirkungshorizonts hoch innovativ, verpassen aber existenziell wichtige und radikale Innovationen.

Tatsächlich gebe es einen engen Zusammenhang zwischen früherem Erfolg und Blindheit gegenüber dem Wandel, sagt Peter Metzinger, Strategieberater und Geschäftsführer business campaigning Switzerland in Zürich. «Verpasst es ein Unternehmen, seine Strategie regelmässig zu hinterfragen, beginnt ein Teufelskreislauf. Der Markt ändert sich, der Gewinn gerät unter Druck.» Eine natürliche Reaktion bestehe darin, alles, was bisher funktioniert habe, zu verstärken und keine Risiken einzugehen. Doch wenn die Probleme in einem sich wandelnden Umfeld liegen, nützt dies nichts, sagt Metzinger. Derzeit stehen in der Schweiz nicht nur Privatbanken und Pharmafirmen, sondern auch Verleger und Technologieunternehmen wie Logitech vor diesem Problem. Neben den externen Mechanismen stellt Simon bei Marktführern eine grosse Arroganz und Bequemlichkeit fest. «Ich bin immer wieder erstaunt, welch falschen Stolz Mitarbeiter in der Erfolgsphase eines Unternehmens entwickeln.» Übertriebene Selbstsicherheit und Trägheit seien weitere Sargnägel.

Im Hinblick auf Apple warnen die Experten allerdings vor verfrühten Todesurteilen. «Innovationen bei Apple haben von der Idee bis zur Markeinführung immer mehrere Jahre gebraucht», sagt Metzinger. So sei es möglich, dass der Konzern tatsächlich keine Innovation in Arbeit habe oder aber an etwas derart radikal Neuem arbeite, dass sich während einer längeren Zeit sämtliche Ressourcen darauf ausrichteten. Zudem habe sich Apple, einst ein reiner Computerhersteller, schon einmal ganz neu erfunden.

Es gibt durchaus Totgesagte, die ein zweites Mal aufblühen. So war der Computerpionier IBM 1990 in der Krise und stieg durch eine radikale Neuausrichtung auf Services wieder auf. Diesen Wandel trieb vor allem der Manager Lou Gerstner voran.

Auch die Schweiz hat prominente Fälle von Unternehmen zu bieten, die aus dem Dämmerschlaf zu neuem Leben erwachten. So wurde im Jahr 1967 die Quarzuhr erfunden, die in der heimischen Uhrenbranche allerdings kaum auf Resonanz stiess. Während Japan die Idee aufnahm und in der Folge vom Siegeszug der neuen Technologie profitierte, darbte die Schweizer Uhrenindustrie. Doch im Mai 1980 entwarfen zwei junge Ingenieure Pläne für eine Ur-Swatch. Nicolas G. Hayek erkannte das Potenzial dieser Neuerung und brachte die Swatch 1983 auf den Markt. Es wurde eine langjährige Erfolgsgeschichte.

Kürzere Marktführerschaften

Derweil fällt es vielen Unternehmern schwer, sich zu wandeln. Albrecht Enders, Professor für Strategie und Innovation am IMD Lausanne, nennt als Beispiel Langenscheidt, den einstigen Marktführer bei Wörterbüchern. Zwar gab es bereits 1995 Konkurrenz durch den Online-Übersetzungsdienst Leo, doch die Firma scheute sich gegenüber ihren Buchhändlern vor radikalen Veränderungen. Die Folge ist, dass Langenscheidt bis heute kein Geschäftsmodell für das Internet gefunden hat. Eine solch lange Reaktionszeit kann sich kein Unternehmen leisten. Professor Simon erwartet, «dass die Zeitspannen von Marktführerschaften kürzer werden».

Die Aufgabe, neue funktionierende Geschäftsmodelle zu schaffen, wird anspruchsvoller. Egal wie erfolgreich – alle Firmen können überholt werden, Samsung genau so wie Nokia und Apple. «Es ist ein Rattenrennen. Immer mehr Märkte zei-gen die klassischen Charakteristika von Modemärkten», sagt Simon. Zwar strotzt Samsung derzeit vor Kraft. Doch vielleicht tüfteln schon längst ein paar Kreative an Produkten, welche die Smartphones in wenigen Jahren zur Ramschware machen.

 

Interview mit Albrecht Enders, Professor für Strategie und Innovation, IMD Lausanne

Was läuft genau ab, wenn höchst erfolgreiche Unternehmen den Anschluss verpassen und Trends verschlafen?
Albrecht Enders:
Hoch erfolgreiche und hoch innovative Firmen wie damals Kodak oder Langenscheidt treffen einen Kundennutzen haargenau und sind gleichzeitig hocheffizient. Daher werden sie Marktführer. Doch plötzlich treten neue Akteure aus einem externen Umfeld auf den Plan und stellen deren traditionelles Modell auf den Kopf. Nun reicht es nicht, wenn sie bloss ihre angestammte Tätigkeit besser beherrschen.

Warum fällt es vielen Unternehmen so schwer, adäquat auf diese externen Herausforderungen zu reagieren?
Sie stehen vor mehreren Problemen. Sie sehen die Veränderungen nicht kommen. Oder ihre Forschungsabteilung sieht die Neuerungen, erachtet sie aber als irrelevant für ihr Kerngeschäft. Denn diese disruptiven Technologien fangen am tieferen Ende des Marktes an. Oder sie haben zahlreiche kurzfristige Probleme und priorisieren daher diese Langfristprobleme nicht. Oder sie verfügen nicht über die Kompetenzen, um die neuen Technologien so umzusetzen, wie es der Markt erfordert.

Fehlt die Risikobereitschaft?
Ja, die Stakeholder sowie Investoren oder Händler wollen Kontinuität und keine Experimente, daher drängen sie Firmen in eine bestimmte Richtung. Die Firmen haben zudem Angst vor Selbstkannibalisierung: Verlassen sie ihre Erfolgssparte zu früh, vergeben sie Jahre des Erfolgs. Bereiten sie sich aber lange vor, kann es schnell zu spät sein. Dieser Balanceakt ist heikel. Sie müssen in die neuen Geschäftsbereiche wechseln, solange das alte Modell noch funktioniert.

Geht es nur einzelnen Firmen so oder aber ganzen Branchen?
Viele Firmen haben die Tendenz, rechts und links auf ihre Mitbewerber zu schauen, welche den gleichen Mindset haben, und sie zu kopieren. Doch indem sie auf etablierte Wettbewerber starren, verpassen sie Innovation. Dadurch gehen nicht nur einzelne Firmen, sondern ganze Branchen unter.

Wie können Unternehmen diesen Mechanismus verhindern?
Sie müssen ihren Vergleichsrahmen erweitern, denn der radikale Wandel kommt von aussen. Sie sollen Leute aus neuen Industrien holen, um eine interne Expertise aufzubauen. So holte Nestlé nach dem Skandal mit Kitkat einen Experten für Social Media ins Haus. Diese Experten sollen separate Einheiten schaffen, diese wie kleine Pflanzen pflegen und solange dem Rentabilitätsdruck entziehen, bis sie genügend gross sind, um integriert zu werden. Als Alternative können die Firmen redimensionieren oder eine beständigere Nische anpeilen.

Braucht eine Führungsriege nicht fast hellseherische Fähigkeiten, um Marktentwicklungen zu antizipieren?
In Konzernen analysieren Hunderte Leute die aktuellen Trends. Oft ist jedoch die Top-Ebene wenig geeignet, da sie bloss im alten Geschäftsmodell erfolgreich ist. Dabei ist es ihre zentrale Aufgabe, nicht einfach Angestammtes besser zu machen, sondern sich rechtzeitig für neue Bereiche zu entscheiden.