Drei Jahre noch, dann wird Swisscom-Chef Carsten Schloter 50 Jahre alt sein. Ists dann vorbei mit der Dynamik? Und Oswald Grübel ist dann sogar schon 70. Alt - älter - am ältesten? Falsch. Die Steigerung des Alters geht folgendermassen: Älter (55/60 bis 70 Jahre) - alt (70-75) - betagt (über 75) - hochbetagt (über 80). Woraus folgt: Wer älter ist, ist noch lange nicht alt. Und alles, was vorher ist, gehört noch zur Lebensphase Jugend- oder zumindest Erwachsenenalter. Ein kleiner Trost für alle die heute gern «50+-Generation» Genannten, die das Gefühl nicht loswerden, ab 50 müsste das Totenglöcklein lauter werden.

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Seminare und Tagungen sonder Zahl sowie das allgegenwärtige Marketing für «aktive Senioren ab 50» verstärken dieses Gefühl noch. Dabei ist in der Altersforschung die Chronologie eigentlich klar: Die 50er werden in der Literatur gerne als Zeit der Reife bezeichnet. «In den 50ern ist der Arbeitnehmer voll arbeits- und leistungsfähig. Er verfügt über menschliche Reife und Gelassenheit», schreibt beispielsweise Norbert Herrmann in seinem Buch «Erfolgspotenzial älterer Mitarbeiter».

Die «magische Grenze»

Sozialpolitisch beginnt das «Alter» mit der Pensionierung, also im Moment mit 65 Jahren - ein Relikt der Sozialgesetzgebung des letzten deutschen Kaisers aus dem Jahre 1918. Damals wurden die wenigsten Menschen 65, und die, die es wurden, lebten im Durchschnitt nur noch wenige Jahre. Heute liegt die mittlere Lebenserwartung für Männer bei über 80, bei Frauen bei 84. Tendenz steigend.

Woher kommt er also, dieser Alterswahn, heute, da die Menschen immer älter werden und dabei so aktiv leben wie nie zuvor? Wer lässt die Leute vor ihrer Zeit altern, obwohl ein Drittel der Beschäftigten über 50 Jahre alt ist - und in dieser Altersklasse die Arbeitslosigkeit sogar unterdurchschnittlich ausfällt?

Führung dank Kraft

Der Psychologe, Coach und Spezialist für berufliche Neuorientierung Toni Nadig glaubt, dass sowohl in der öffentlichen als auch in der subjektiven Wahrnehmung das Alter 50, oder bei vielen gar schon 45, eine «magische Grenze» darstelle: Mit 45 herrsche oft schon Panik bei Stellenverlust aufgrund des «Jugendlichkeitswahns in vielen Firmen», wie er sagt.

Und damit beginne eine negative Spirale aus Vorurteilen und sich selbst erfüllender Prophezeihung. «Doch wer so denkt, findet auch nichts mehr.» Ähnlich wie die berühmte Frau, die nach dem 30. Geburtstag Torschlusspanik bekomme. Für Nadig ist klar: «Wenn man es nicht zum Thema macht, ist es auch kein Thema. Die Frage lautet: Was hat man aus sich gemacht in den Jahren. Mit 45 kann einer topfit oder total verfettet sein.»

An der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern ist nun unter Norbert Thom eine Masterarbeit zum Thema Leistungsfähigkeit älterer Führungskräfte entstanden. Die Autorin Graziella Tromp nähert sich dem Thema theoretisch sowie empirisch durch Befragung einer Vielzahl von Spezialisten. Auffällig dabei ist, dass die «Führungskraft» darin zumeist nicht anhand ihres chronologischen Alters bewertet wird, sondern anhand der Art und Weise, wie sie ihre Aufgaben - noch - zu erfüllen vermag. Denn «die Tätigkeit der Führungskraft ist von langen Präsenzzeiten und oft auch vielen Ortswechseln über Zeitzonen hinweg geprägt. Durch den konstanten Leistungs- und Zeitdruck entstehen sowohl psychische als auch physische Belastungen», registriert die Autorin.

Also ist nicht unbedingt das Alter, sondern sind vielmehr die Konstitution sowie die Dauer einer Tätigkeit das Problem? Denn auch jüngere Führungskräfte können ihre Kräfte überschätzen. Auch ein 30-Jähriger kann bereits zehn Jahre Erfahrung mitbringen und ist in einem ganz jungen Team bereits eine «ältere Führungskraft», die durchaus gesundheitliche und/ oder psychische Verschleisserscheinungen aufweisen kann, während ein 20 Jahre älteres Kadermitglied die Belastungen locker wegsteckt - je nach Verfassung.

Renato Merz, früher Personalchef der ABB Schweiz, hat beobachtet, dass es 20-Jährige gibt, welche bereits den «Rückwärtsgang» eingeschaltet hätten, während Führungskräfte in Top-Positionen altersunabhängig betrachtet meist in hervorragender körperlicher Verfassung seien - unter anderem, weil sie permanent der treibenden Kraft der Mitarbeitenden ausgesetzt seien. Energie entsteht durch Reibung.

In der Tat verfügen lang erfahrene Führungskräfte meist über eine ganze Palette von Vorteilen gegenüber Jüngeren (siehe Kasten unten). Sind die Älteren also gar die Besseren? Kaum - es könne nicht generell gesagt werden, dass ältere Führungskräfte leistungsfähiger, effizienter oder wirkungsvoller seien, weiss Christoph Kappeler, Psychoanalytiker und Unternehmensberater.

Alles ist wichtiger als die Jahre

Möglich - glaubt hingegen Urs Tannò, geschäftsführener Leiter Top Fifty-Personalvermittlung: Die wichtigsten Entscheidungspositionen seien in der Regel mit älteren Führungskräften besetzt, weil unter dem 50. Lebensjahr kaum jemand genügend Lebens- und Berufserfahrung für eine solche Aufgabe vorweisen könne.

Aus diesen widersprüchlichen Erfahrungen folgt wohl, dass es nicht primär das Alter ist, das eine Führungskraft gut oder schlecht sein lässt. Es sei nicht erwiesen, dass das Alter der entscheidende Faktor sei, um Führungskräfte zu beurteilen, weiss auch François Höpflinger, Titularprofessor für Soziologie an der Universität Zürich und anerkannter Altersforscher.

Viel wichtiger scheine die Langjährigkeit, das heisst, wie viel Erfahrung jemand in seiner Position oder seinem Gebiet mitbringe. Bis zur Gruppe der 80-Jährigen seien Geschlecht, soziale Position, Weiterbildung und der Lebensstil relevanter als das chronologische Alter, wird Höpflinger in der genannten Studie zitiert.

Das heisst wohl: Die Diskussion um Alter oder Nicht-Alter müsste von 50+ auf die Generation 80+ verschoben werden. Denn auch das Alter beginnt im Kopf.