Das Gespräch mit Fritz Zurbrügg erinnert an den Smalltalk anlässlich eines luftig-leichten Sommer-Apéros auf einer Altstadtterrasse. Dies obwohl es im «Bernerhof» stattfindet, dem edlen Sitz der Eidgenössischen Finanzverwaltung.
Liegt es daran, dass der Direktor es sich auf dem Ledersofa bequem macht und die Besucherin dazu einlädt, es ihm gleichzutun? Strahlt der 50-jährige Ökonom eine gewisse Unverbindlichkeit aus? Oder ist es vielmehr die Mehrsprachigkeit des Direktors, die seinem Schweizerdeutsch die Süsse eines amerikanischen Schokolade-Bagels, die Würze einer italienischen Pastasauce und die Spritzigkeit eines französischen Weissweins verleiht? Und warum überhaupt waren erste Kontakte mit Medienschaffenden erst nach 100 Tagen erlaubt, wenn Fritz Zurbrügg doch ebenso wenig neu ist im «Bernerhof» wie die Stuckaturen an der Decke?
Als Zurbrügg zum Nachfolger des rührigen Peter Siegenthaler gewählt wurde, war er bereits Direktionsmitglied und als Vizedirektor für Finanzplanung, Budget und Staatsrechnung sowie für den Finanzausgleich zwischen Bund und Kantonen verantwortlich. Eine wichtige Scharnierfunktion, wie Zurbrügg erklärt: «Je ein Drittel unseres Staatshaushalts wird von Bund, Kantonen und Gemeinden erbracht.»
In den Jahren davor engagierte sich Fritz Zurbrügg zweimal im Ausland für die Sache der Schweiz. Der gebürtige Frutiger fühlte sich dabei wohl wie ein Fisch in der Kander: 1992 bis 1994 arbeitete er als Ökonom beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington. Anschliessend betreute er in Bundesbern vier Jahre lang die für den IWF und internationale Finanzierungsfragen zuständige Sektion. Doch schon 1998 bis 2006 war er als Senior Adviser und Exekutivdirektor im Schweizer Büro beim IWF in Washington tätig.
«Der Währungsfonds bot mir einen faszinierenden Job», erzählt er mit leuchtenden Augen. «1300 gescheite Ökonomen vieler Länder sitzen unter demselben Dach und suchen gemeinsam nach optimalen wirtschaftspolitischen Lösungen für alle Mitgliedländer.»
Alles wird von uns analysiert
Und wie erklärt Zurbrügg einem Teenager, was er heute macht? Er lacht entspannt, denn Kindern komplizierte Sachverhalte einfach zu erklären, das hat er mit seinen drei Söhnen jahrelang trainiert: «Alle Geschäfte, die im Bundesrat diskutiert werden und die finanzielle Auswirkungen haben, werden von unserer Verwaltungseinheit analysiert. Wir schauen also, ob sich ein Vorhaben finanzpolitisch verantworten lässt und ob es vernünftig umsetzbar ist.»
Er sehe «in alles hinein», was auf Bundesebene gedacht, beschlossen und realisiert werde, erklärt Zurbrügg. «Wenn das keine spannende Aufgabe ist!» Täglich Finanzpolitik mitzubestimmen und mitzuerleben und dabei alle Anspruchsgruppen inklusive Steuerzahler möglichst zufriedenzustellen, sei «erstaunlich sexy».
Sein Vorgänger Peter Siegenthaler war zwar auch gern Direktor der Finanzverwaltung, doch im Nachhinein bezeichnet er sein Amt, das durch eine Reorganisation unlängst sogar in seiner Bedeutung zurückgestuft wurde , als «Sisyphus-Aufgabe» mit zwar hohem Adrenalincharakter, aber leider auch viel negativen Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Politik.
Wie schätzt der neue Chef, der am liebsten «e chli umelueget», wie andere Länder und wie die Kantone ihre Finanzhaushalte organisieren, seine Aufgabe nach 100 Tagen ein? «Man muss sich halt bewusst sein, dass sich einerseits ein Thementeppich übers Jahr legt und andererseits das Jahr von der Bundeshaus-Agenda geprägt wird. Kaum haben die beiden eidgenössischen Räte das Budget des kommenden Jahres verabschiedet, steht bereits der Abschluss des aktuellen Jahres vor der Tür.» So seien neben Februar und März die Ferienmonate Juli und August die strengste Zeit der Bundes-Ökonomen.
Da Fritz Zurbrügg sich darauf konzentriert, «eine gute Finanzpolitik zu machen» und die Rechenarbeit seinen «hoch motivierten 200 Mitarbeitenden» überlassen kann, hat er sich Anfang Juli nach Sardinien abgesetzt, wo er und seine Familie ein klassisch sardinisches Haus besitzen. Gefreut hat er sich wie ein Kind auf lang ersehnte Schulferien. Wieder ist sie zu spüren, diese Sehnsucht nach dem Ausland, dem Anderssein, der Offenheit anderen Kulturen gegenüber.
Warum, Herr Zurbrügg, sind Sie als begeisterter Auslandschweizer überhaupt in die Schweiz zurückgekehrt? «Beim Währungsfonds hatte ich eine beratende Funktion.» Er sei aber auch am «nitty-gritty» der Finanzpolitik interessiert, erklärt Zurbrügg seinen Charakter: Er sei ein praktisch veranlagter Typ mit einer starken Basisverhaftung, der gern zum Kern vorstosse und zur Sache komme. «So habe ich meinen Jobwunsch auch Bundesrat Merz erklärt», ergänzt er seine Begründung. «Ich möchte eine Situation nicht nur analysieren, sondern mich konkret für ihre Umsetzung engagieren.»
Zudem vermisse er das Reisen nicht: «Seit 9/11 ist das Fliegen beschwerlich geworden.» Es sei wirklich nur der stimulierende Austausch mit ausländischen Ökonomen, der ihm manchmal fehle. Dieses Gefühl werde aber längst wettgemacht durch die Happiness seiner Kinder: Sie genössen es, sich - anders als im weitläufigen Washington - in Bern frei bewegen zu dürfen. «Geht es meiner Familie gut, geht es auch mir gut», betont Zurbrügg.
Fast wär er Veterinär geworden
Welchen Berufswunsch hatte eigentlich der junge Fritz? Nun verschenkt er einmal mehr sein charmantes Lächeln und erzählt, er habe mal Veterinär werden wollen. Doch das Sezieren eingelegter Körperteile von Tieren trieb ihm diesen Berufswunsch rasch aus. «Stattdessen gönnte ich mir nach dem Abitur eine Denkpause in Form eines Road-Trips durch die USA.» Schon seine Eltern seien nonstop von einem Land ins andere gezügelt, daher stamme wohl auch sein Nomaden-Gen.
Er habe mehrere englischsprachige Schulen sowie die Schweizer Schule in Rom besucht, erinnert sich Zurbrügg, Schweizerdeutsch habe er erst spät gelernt. Dies erklärt wohl auch, warum Zurbrüggs Dialekt nicht authentisch klingt für Menschen, die mit dem Bauch und mit den Ohren hören. Mit seiner Frau, einer Architektin mit südlichem Temperament, spricht er Italienisch, mit den Kindern Englisch. Zum Glück sind Zahlen sprach- und wertneutral!
Im Übrigen sei er ein Teamplayer. Das deckt sich mit den Aussagen von Weggefährten, die finden, Zurbrügg sei weder speziell aufgefallen noch habe er sich mutig exponiert. Seine Gruppenfixiertheit geht so weit, dass er nichts isst, wenn er keine Tischgesellschaft hat. «Allein essen zu gehen ist ein No-go für mich», gesteht der Tennis- und Squash-Spieler. Lieber spaziere ich mit einem Sandwich in der Hand durch eine Stadt.»
Und wie verbringt er seine freie Zeit in Bern? Wieder schmunzelt er selbstironisch: «Ich besitze weder ein Fitness-Abo noch eine Sauna oder ein Schiff. Es genügt mir, in der Aare zu schwimmen und danach im Garten zu chillen.» Das besagte Haus mit Garten steht übrigens in Bremgarten.
Sein Vorgänger Siegenthaler musste mit der Swissair- und der UBS-Krise eine Aufgabe bewältigen, die ihn fast ins Burnout befördert hätte. Wie robust wäre Fritz Zurbrügg in der Not? «Keine Ahnung», sagt dieser, «bis jetzt schlafe ich gut.» Welches ist der Zeithorizont des neuen Finanzchefs? Er überlegt kurz und spricht dann von einem Minimum von vier bis fünf Jahren, «sonst lohnt sich die ganze Investition für beide Parteien nicht.» Kummer bereite ihm diese Frage nicht, «denn bis jetzt war ich immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort».