E s gibt Fragen, die einen Menschen sein Leben lang begleiten. Jene nach familiären Verbandelungen beispielsweise, oder, in diesem Fall, ganz explizit. Bei Daniel Grieder, dem Europachef des US-amerikanischen Modelabels Tommy Hilfiger, klingt es beim Händeschütteln denn auch meistens so: «Grieder? Jä was! Sie sind aber nicht per Zufall ein Spross vom Seiden-Grieder am Paradeplatz?»
Daniel Grieder, (47), sieht sich an diesem Morgen also zum x-ten Mal in seinem Leben damit konfrontiert, dass man ihn quasi fremdadoptiert haben will. Er lächelt milde und schüttelt leicht den Kopf: Nein, mit den «Sidigen» habe er nichts zu tun. «Allerdings hat der Umstand der gemeinsamen Namensführung durchaus mit dazu beigetragen, dass ich jetzt genau hier bin, wo ich heute stehe - hier, in der Modewelt.»
Grieder steht inmitten von Hosen. Hemden. Blusen. Blousons. Nicht achtlos zu Boden geworfen wie in manch einem der vielen Kleidergeschäfte an der Zürcher Bahnhofstrasse, wenn Horden wilder Teenies wieder abgezogen sind, liegen diese da - nein, hier wartet, katalogmässig ausgelegt und fein drapiert, die nächste Kollektion auf die Einkäufer der grossen Häuser. Es herrscht ein Kommen und Gehen im grossen Showroom vor den Toren Zürichs. Daunen, Wolle, Wintermützen: Während sich der Normalbürger nach blühenden Bäumen und kurzen Hosen sehnt, denken Grieder und seine Crew schon wieder an welke Blätter und dicke Jacken.
Verkehrte Welt also in einer schwierigen Zeit. Niemand weiss momentan, ob er - um es der Branche angemessen auszudrücken - in einem Jahr mit abgesägten Hosen dastehen wird. Grieder hebt die Brauen: «Es gibt keinen in der Branche, der die Verunsicherung auf Kundenseite letztlich nicht spüren wird. Das gute Geschäft bis und mit vergangene Weihnachten allerdings stimmt mich doch auch optimistisch - wenn Preis und Leistung stimmen, wird das von der Kundschaft gerade in schwierigen Zeiten honoriert.»
Logisch, schreibt der Hilfiger-Manager seiner Marke dieses Attribut ganz speziell und mit einem Ausrufezeichen versehen zu. Was uns zur Frage bringt: Wann stimmt eigentlich das Preis-Leistungs-Verhältnis? Grieder überlegt nicht lange. «Wenn Ihnen ein Kleidungsstück gefällt, wenn Sie es gerne und oft tragen, wenn Sie aber auch gleichzeitig nicht immer daran denken müssen, was es gekostet hat.» Der Wohlfühlfaktor ist demnach entscheidend. Ansichtssache also. Händlerphilosophie auch.
Seife aus Brasilien importiert
Keine 14 Jahre alt war Daniel Grieder, als er sein Faible fürs «Business» entdeckt hat. Als Sohn eines Kaufmannes bis zu einem gewissen Mass erblich vorbelastet, schickte der Sekundarschüler sich in den 70er-Jahren an, mit dem Verkauf von Seife das Sackgeld aufzubessern. Nicht irgendeine Seife notabene, sondern eine Art Wunderwaffe - so jedenfalls hatte ihm sein Lieferant versichert. «Die Seife importierte ich aus Brasilien. Und dort erzählte man sich, dass sie bei häufiger Anwendung kahlen Affen neues Haar spriessen liess.» Grieder muss schmunzeln, erinnert er sich an diese Episode; so weit vom Affen sei der Mensch ja nun auch wieder nicht entfernt, als dass es bei ihm nicht auch funktionieren könnte. Er zwinkert und streicht sich durch das akkurat gestutzte Haar. Das Pflegeprodukt aus dem fernen Südamerika jedenfalls sei weggegangen wie warme Weggli. Ob aufgrund der marketingmässig aufgepeppten Lobpreisung oder des guten Duftes respektive der Reinigungswirkung wegen - who cares?
Seit letztem Dezember lenkt der in den USA geborene und in Schaffhausen aufgewachsene Grieder die Europa-Geschäfte von Tommy Hilfiger. Unter der Woche lebt und arbeitet der zweifache Vater in Amsterdam, am Wochenende gehts jeweils zurück nach Horgen zur Familie. Die Reiserei sei für ihn kein Stress, sagt er, im Gegenteil, auf den Flügen könne er wunderbar abschalten, lesen oder etwas Geschäftliches erledigen. Eine Zäsur des erdgebundenen Arbeitspensums in 5000 m Höhe.
Über 2000 Personen unterstehen ihm, mit 30 davon hat er direkt im täglichen Geschäft zu tun. Was er an seiner Arbeit ganz besonders schätzt: Die Materie Mode, den Umgang mit den Menschen und die Internationalität seines Teams. 30 Nationen seien darin vertreten und ebensoviele Eigenheiten und Mentalitäten. «Gerade die Schweizer und die Holländer sind sich ziemlich ähnlich - und doch unterscheiden sie sich in manchem stark.
Wieder muss Grieder schmunzeln. Als Schweizer müsse er sich eben häufig selber bremsen; «vieles geht mir halt viel zu langsam». Andererseits imponiere ihm die offene Art der Menschen in seiner zweiten Heimat Amsterdam. «Die Köpfe sind offen und kreativ, die Gesellschaft ist tolerant und multikulturell, für mich ist Holland das Amerika von Europa», sagt Grieder, der mit einer Holländerin verheiratet ist, und leitet damit über zur von ihm repräsentierten Marke, die mit GAP und Ralph Lauren den «American way of life» am typischsten in die europäischen Boutiquen und Kleiderläden gebracht hat. Bei Hilfiger heisst dieser Stil «Classic American Cool» - die damit verknüpfte Botschaft lautet «Young at Heart».
Grieder passt dieser Stil wie angegossen. Das Hemd maritim blau-weiss gestreift, den Anzug schmal geschnitten, schreitet er krawattenlos und zielstrebig durch den Showroom. Der Mann ist ein idealer Werbeträger für seine Marke. Grieder zupft sein Einstecktuch zurecht, eine gepflegte Marotte, die ihn seit Jahren schon begleitet. Darauf angesprochen meint er, Mode habe ihn halt immer schon interessiert.
«Über Stil kann man streiten»
Seine Affinität zu Kleidern führt der 47-Jährige zum einen eben auf seine bloss namentliche Verwandtschaft mit der Seiden-Dynastie vom Paradeplatz zurück. Zum anderen sei eine der zwei älteren Schwestern im Textilbereich tätig, und dort habe er sich in jungen Jahren die ersten Einblicke in die Materie verschaffen können.
Nach der Schule absolvierte Grieder eine kaufmännische Ausbildung, importierte nebenbei Autos aus Deutschland, besuchte die HWV und gründete im Anschluss daran seine erste eigene Firma, die mit Lederwaren handelte. Ab 1997 war er als Sales Agent für Tommy Hilfiger tätig.
Der Rundgang durch den Showroom, die Stippvisite in die Modezukunft neigt sich ihrem Ende zu. Daniel Grieder pflückt hier ein Jackett vom Bügel, zieht dort eine Hose aus dem Regal, und sagt: «Klar, über Stil kann man sich immer streiten. Wie man sich kleidet, das sei auch jedem Einzelnen selber überlassen. Aber sauber und gepflegt sollte es sein, das verlangt allein schon der Respekt vor dem Gegenüber.» Den Schweizern stellt er im Allgemeinen ein gutes Zeugnis aus, was das modische Auftreten in der Öffentlichkeit anbelangt. «Man getraut sich immer mehr», sagt er und meint damit Farben, Schnitte, Materialien, die vor allem in der Garderobe der Herren Einzug halten.
Persönlich hält es der ehemalige Vize-Schweizermeister im Rudern wie mit dem Essen: «Einfach muss es sein, aber gut.» Was ihm allerdings nie, nie, nie im Leben unterkäme: «Weisse Tennissocken, das geht einfach nicht, auch nicht in der heutigen Zeit.» Die heutige Zeit: Es wird gespart. Auch oder vor allem bei den Kleidern. Qualität hin oder her.
Noch einmal signalisiert der Europa-Chef von Tommy Hilfiger Zuversicht, dass mit viel Effort auch diese Hürde genommen werden kann. «Ich glaube», betont er beim Abschied, «dass wir die richtigen Schuhe tragen, um diesen Dschungel erfolgreich zu durchqueren.»