Wenn Sie wüssten, wie viele dramatisch ungebildete Manager ich schon getroffen habe ?», sagt einer, der seit Jahren mit Kadern aller Stufen zu tun hat. Er würde es gerne auch noch ein paar weitere Jahre tun - deshalb bleibt er lieber ungenannt. «Diese Leute funktionieren bloss, weil sie Informationen aufbereitet bekommen, die anderen vorenthalten werden. Aber den Erfolg schreiben sie sich selber zu.»

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Eine Untersuchung aus den USA stützt den Befund. Das «Wall Street Journal» hat 1100 frischgebackene amerikanische Manager nach ihrer Selbsteinschätzung gefragt und kommt zum Schluss, dass Selbstzweifel selten sind. Die meisten Führungskräfte überschätzen ihre Fähigkeiten zu delegieren und zu coachen massiv; auf der anderen Seite konnten keine Arbeitsbereiche ermittelt werden, in denen die Führungskräfte ihre Fähigkeiten unterschätzten. So haben 72 Prozent der antwortenden Führungskräfte nie an ihrer Fähigkeit gezweifelt, andere führen zu können. 24 Prozent zweifeln manchmal, und nur 4 Prozent oft.

Eine Studie von Norbert Semmer vom Institut für Arbeitspsychologie der Uni Bern hat schon vor ein paar Jahren dasselbe Phänomen gezeigt: Auf die Frage, wie sie selbst ihre Führungsleistung einschätzen würden, sagten stolze 80 Prozent der befragten Manager, sie gehörten zu den besten 20 Prozent. Heisst das, unsere Firmen und Konzerne werden von einer Horde überheblicher Narzissten geführt, jeder der Mittelpunkt des Universums, der Stein der Weisen, das Ei des Kolumbus in heiliger Dreifaltigkeit und in Personalunion?

Eine exklusive Blitzumfrage der «Handelszeitung» bei den Mitgliedern der Schweizer Kader Organisation (SKO) zeigt ein anderes Bild: Fast 60 Prozent der Manager haben im ersten Jahr auf dem neuen Posten ihre Führungsfähigkeit zumindest manchmal in Frage gestellt. Und knapp die Hälfte, exakt 46,4 Prozent, hat im ersten Jahr «manchmal» Angst vor der Herausforderung gehabt. Das hat bei 20 Prozent der 153 Antwortenden dazu geführt, dass sie «oft» oder «manchmal» sogar bedauert haben, befördert worden zu sein.

Ist das nun ein Beleg für das vielzitierte Peter-Prinzip, welches besagt, in einer Hierarchie werde jeder Beschäftigte so lange befördert, bis er die Stufe seiner Unfähigkeit erreicht habe - und bei manchen ist das halt schon auf der ersten Karrieren- sprosse der Fall? «Keinesfalls», sagt Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich. «Viel bedenklicher wäre es, wenn Manager, die neu anfangen, keine Selbstzweifel hätten. Das ist doch normal: Jeder, der neu anfängt, ist erst mal überfordert.»

Das heisst: Wer an sich zweifelt, überschätzt sich weniger. «Ich stelle keine Tendenz einer allgemeinen Selbstüberschätzung im mittleren und unteren Management fest», sagt auch Norbert Thom, Professor an der Uni Bern und Leiter des Instituts für Organisation und Personal.

Also allgemeine Entwarnung? Mitnichten: «Denn zuoberst sieht die Sache anders aus - da gibt es durchaus Leute, die halten sich für die Summe des Organigramms.» Diese Selbstüberhöhung bei manchen Top-Kadern äussert sich nach Thom vor allem in den massiv überzogenen Salären. «Der Gesamterfolg des Unternehmes wird zu fest einer einzelnen Person zugeschrieben.» Dabei sei es unmöglich, dass ein einzelner Mensch eine Uni, ein Spital, einen Konzern verstehe - «das funktioniert alles nur, weil auf jeder Stufe Verantwortliche sitzen, die ihre Verantwortung auch pflichtbewusst wahrnehmen - das ist niemals eine Einzelleistung, wie sie zum Beispiel ein Roger Federer erbringt».

Den Zusammenhang verloren

Der dieser Tage scheidende Direktor der Executive MBA an der HSG, Jürg Manella, bestätigt den Befund: «Die wenigsten Manager sind fähig, die wachsende Komplexität zu managen. Sie sind überfordert. Und je weiter oben sie sind, desto schwieriger wird es.» Sie wüssten viel von den Details, aber wenig von den Zusammenhängen, weiss der Psychologe. Was notgedrungen dazu führt, dass jeder nur noch seinen Bereich optimiere und die Auswirkungen seines Tuns nicht mehr beurteilen könne.

Müsste da nicht die Ausbildung einschreiten? Das tue sie auch, sagt der St. Galler Experte Manella, «aber nicht jeder Top-Manager kommt aus der Betriebswirtschaft - da gibt es Ingenieure, Juristen und viele andere, die von General Management keine Ahnung haben».

Keine Ahnung zu haben führt nicht automatisch zur Selbstüberschätzung. Man kann sich ja auch schlau machen, updaten, sein Fachwissen bei Kollegen, Coaches, Konkurrenten auf den neusten Stand bringen. Doch das braucht Mut. Und es «braucht eine gewisse Selbstsicherheit, damit man Unsicherheiten und Grenzen der eigenen Kompetenz zugeben kann», weiss Gudela Grote.

Doch mit jeder Stufe wächst das Vertrauen in sich selbst, die Zweifel werden geringer, das Salär steigt und damit auch die Erwartungen von aussen. Wenn einem etwas zugetraut wird, traut man sich auch - nach dieser Methode werden schon Kleinkinder gefördert.

Und irgendwann in dieser Entwicklungsspirale will niemand mehr etwas von Inkompetenz wissen. Ein Chef ist ein Chef. Und von dem verlangen Mitarbeitende, Medien, Kunden, Aktionäre und die Öffentlichkeit vor allem Verantwortlichkeit, klare Ziele und Erfolg. Was nichts anderes heisst, als dass Chefs in eine Sicherheit gezwungen werden, die sie gar nicht haben. Gudela Grote: «Das erzeugt einen Riesendruck. Die Frage ist nun, wie sie damit umgehen können.»

Kaschieren oder wachsen

Die Möglichkeiten, die es da dann noch gibt: Entweder die eigenen Schwächen verstecken, kaschieren, übertünchen - oder an ihnen wachsen. Viele scheitern dabei an den extrem hohen Erwartungen - den internen und den externen. Die Folge: Jeder fünfte Manager muss seinen Chefsessel räumen. «Führen ist nicht einfach und wird nicht einfacher werden», bringt es Gudela Grote auf den Punkt.



«Man sieht die Grenzen weniger»

Gerhard Dammann, Ärztlicher Direktor und Spitaldirektor der Psychiatrischen Dienste Thurgau; Autor von «Narzissten, Egomanen, Psychopathen in der Führungsetage».
 

 

Überschätzen sich die heutigen Top-Manager generell?

Gerhard Dammann: Natürlich überschätzt sich nicht jeder. Aber das Sich-überschätzen gehört zu den Eigenschaften des Narzissmus - man sieht seine eigenen Grenzen weniger.

Eher als früher?

Dammann: Möglicherweise ist es tatsächlich so, dass die Gruppe der Top-Manager, die solche Persönlichkeitszüge aufweist, im Vergleich zu früheren Jahrzehnten eher zugenommen hat.

Wie ist es dazu gekommen?

Dammann: Mehrere Faktoren könnten dabei eine Rolle spielen: Grössere Beschleunigung in der Gesellschaft, die nachhaltiger Entwicklung weniger Raum gibt; einseitige Profitorientierung als Ideal der Wirtschaft, wie sie in manchen MBA-Lehrgängen gelehrt wurde; die Motivation bei der Berufs- oder Studienwahl; der globalisierte Wettbewerb und die Lohnentwicklung.

Wie zeigt es sich gegen aussen?

Dammann: In den Riesenabfindungen, der mangelnden Übernahme von Verantwortung bei Managementfehlern, der Möglichkeit der Gewinnorientierung, ohne dass wirkliche wirtschaftliche Werte geschaffen werden.

Gesunder Ehrgeiz oder krankhafter Geltungswahn - wo liegt die Grenze?

Dammann: Die Grenzen sind tatsächlich fliessend. Aber der gesunde Ehrgeiz hat immer in erster Linie die Sache selbst im Auge, also das Unternehmen, das Projekt und eben nicht nur die Bewunderung oder Anerkennung für das eigene Selbst.

 

Es sind doch gerade Eigenschaften wie Emotionslosigkeit, Ehrgeiz, Härte, die zu Erfolg und Führerschaft disponieren, die auch dem Geist der Wirtschaft entsprechen, wie Sie selbst sagen. Diese gilt es doch zu fördern, oder?

Dammann: Ja, aber nur, wenn sie nicht mit Rücksichtslosigkeit, Egoismus und Unverträglichkeit anderen gegenüber gepaart sind.

 

Beim Thema Führung wird einseitig auf Stärken, Potenziale und Ressourcen abgezielt. Kritische oder gar pathologische Aspekte werden weitgehend ausgeklammert. Was läuft bei der Kaderselektion schief?

Dammann: Ich plädiere dafür, dass beim Assessment stärker mögliche «Schattenseiten» und damit verbundene Risiken - aber eben auch Chancen - beachtet und reflektiert werden, damit produktive von destruktiven Narzissten unterschieden werden können.