Im Gotham Club – einem exklusiven Männer-Club im Stadion der San Francisco Giants – trafen sich im Dezember letzten Jahres rund 100 Frauen aus der Investmentbanking-Welt zum Dinner. Der jährliche Abend für Managerinnen wurde vor zehn Jahren von Stephanie Cohen initiiert – damals eine aufstrebende Bankerin bei Goldman Sachs. Die anfangs kleine Veranstaltung war ihre Antwort auf das Männer-Netzwerk, das lange Zeit das Geschäft mit Fusionen und Unternehmensübernahmen dominierte.
In den vergangenen zehn Jahren hat die 41-Jährige einen rasanten Aufstieg bei Goldman Sachs hingelegt. Nun wurde sie ins begehrteste Entscheidungsgremium der Bank berufen. Sie ist eine von vier Neuzugängen im Führungskomitee, doch ihre Beförderung sticht am meisten ins Auge – nicht nur, weil das Direktorium hauptsächlich aus Männern besteht.
Cohen ist jetzt das jüngste Mitglied und trägt zudem den seltenen Zusatz «ex officio», zu deutsch «von Amts wegen». Damit soll wohl vermieden werden, andere Top-Manager der Bank zu verärgern, die bereits viel länger, aber ohne Erfolg, versucht haben, in das Gremium zu kommen. Denn sie ist etwa zehn Jahre jünger als der Durchschnitt der männlichen Mitglieder der Konzernleitung – vor vier Jahren war sie bereits Partner geworden.
Seit Anfang des Jahres ist Cohen ausserdem Chief Strategy Officer – ein wichtiger Posten bei Goldman Sachs. Mit ihrem Team schaut sie sich an, welche neuen Geschäftsfelder und Akquisitionen die Bank verfolgen soll.
Blankfein-Nachfolger
Mitte Juli gab Goldman bekannt, dass David Solomon auf Lloyd Blankfein als CEO folgen wird. Dass Cohens Beförderung in den Top-Ausschuss nur wenige Tage später erfolgte, spricht dafür, dass sie das Vertrauen des neuen Chefs geniesst. Sie wird eine von sieben Frauen in dem 33 Mitglieder umfassenden Gremium sein. Bei Goldman Sachs fragen sich nun viele, ob sie Chancen hat, noch weiter aufzusteigen.
«Viele Investmentbanker haben die Aufmerksamkeitsspanne einer Fliege», sagt Stephen DeFalco, vormals CEO von Crane & Co., bevor Goldman Sachs den Verkauf des US-Unternehmens unterstützte. «Aber sie hat es wirklich drauf. Sie hat sich tief in die Materie eingearbeitet und war sehr überzeugend.» Der Verkauf dieser Firma war eines der letzten Transaktionen, an denen sie arbeitete, bevor sie in die Chefetage wechselte.
Cohen ist ein Goldman-Sachs-Gewächs: Sie startete ihre Karriere in der Bank 1999 als Analystin, arbeitete in New York und San Francisco. Im Gegensatz zu Händlern, die bereits in sehr jungem Alter bei Wall-Street- Firmen aufsteigen können, verfolgte Cohen die Karriere eines typischen Bankers und wurde 2008 Managing Director. Zu den wichtigsten Transaktionen in dieser Zeit zählt die Rückzahlung eines Darlehens des Autobauers Chrysler an die US-Regierung. Während dieser Zeit arbeitete Cohen eng mit dem verstorbenen Ex-CEO der Fiat-Chrysler-Gruppe, Sergio Marchionne, zusammen.
Erste Investmentbank-Chefin
Sollte Cohens Arbeit als Chief Strategy Officer erfolgreich sein, könnte sie bei Goldman Geschichte schreiben: Einige in der Bank halten sie für eine Kandidatin, als erste Frau das Investmentbanking zu leiten – das rentabelste Geschäft der Bank.
Die amerikanischen Grossbanken versuchen in jüngster Zeit, für mehr Diversität in Führungspositionen zu sorgen. Von einer Frau an der Spitze sind sie allerdings noch weit entfernt. Anders in Australien, wo die Macquarie-Bank gerade mit Shemara Wikramanayake die erste Frau als CEO berufen hat.
(mlo, mit Material von Bloomberg)