Ich bin ein Täter. Wer mal neben mir gearbeitet hat, weiss das. Ein Kollege, der einst sechs Monate neben mir sass, kann das bestätigen. Jeden Morgen hat er versucht, Zeitungen, Websites und Nachrichtenagenturen zu lesen. Jeden Morgen hab ich ihm erzählt, was mir gerade Unglaubliches auf dem Weg zur Arbeit passiert ist. Und wenn nicht ihm, dann über seinen Kopf hinweg der Kollegin gegenüber.

So wie meinem Kollegen geht es täglich tausenden Arbeitnehmern. Es geht dabei nicht um die klassischen grossen Büro-Themen wie Mobbing, Burnout oder Liebe unter Kollegen, die in einem beruflichen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Es geht um die kleinen nervigen Momente im Büro, die Kollegen trotzdem in den Wahnsinn treiben können.

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Drei-Stufen-Plan

Aber was tut so einer wie mein Kollege, wenn all die Bemühungen um eine effiziente Arbeitsatmosphäre von einem wie mir kaputtgemacht werden?

«Es gibt keinen generellen Verhaltenskodex für unsere Mehrpersonenbüros», erklärt dazu Monika Hügin Kölliker, HRBeraterin bei dem Versicherer Helvetia.

«Die beiden Pfeiler unseres Miteinander sind respektvoller Umgang und ehrliche Kommunikation.» Auf den Alltag im Büro übersetzt, bedeutet das so viel wie: Man muss sich Mühe geben – darf aber auch nicht davor zurückschrecken, die Dinge beim Namen zu nennen, wenn es mal nicht funktioniert. Der Fahrplan von Hügin Köllikers Problembewältigung sieht in etwa so aus: Die Situation beiläufig, aber möglichst unter vier Augen ansprechen. Wenn das nicht hilft, die Angelegenheit mit dem Teamleiter besprechen. Keine Besserung? Dann ist das wohl schon ein Fall für die Personalabteilung. Hier nochmal Köllikers Punkte im einzelnen:

1. Ansprechen:
«Wie Sie einen nervigen Kollegen ansprechen», erklärt Hügin Kölliker, «hängt auch davon ab, wie gut Sie ihn oder sie kennen. In jedem Fall sollten Sie den Betroffenen zur Seite nehmen – zum Beispiel zusammen eine Kaffeepause machen.» Aber auch die Wortwahl, so Hügin Kölliker, spiele eine entscheidende Rolle: «Beginnen Sie am besten mit einer Ich-Botschaft. Wenn jemand beispielsweise beim Lesen von Emails summt, wäre das: ‹Ich fühle mich in meiner Konzentration gestört, weil mich dein Summen ablenkt.›» Bei aller Diplomatie müssen Sie das Problem aber auch klar ansprechen, rät Hügin Kölliker: «Könntest du bitte etwas leiser sein?» darf nicht vergessen werden, auch wenn es unangenehm ist. Wichtig dabei, so die Personalexpertin, dass Sie beginnen, die eigenen Empfindungen in den Raum zu stellen.

2. Melden:
Petzen à la «Der stört!» sollte man selbst bei schweren Störungen nicht. Viel mehr könnte man die Chefin zur Vermittlung einschalten, wenn die ersten eigenen Versuche gescheitert sind. Stellen Sie dabei aber klar, dass der Chef eine Vermittlerrolle übernimmt, und nicht nur hinzugeholt wird, um dem eigenen Anliegen mehr Autorität zu verleihen.

3. HR anrufen:
Wenn auch der Chef das Problem nicht zu lösen vermag, kann er die Personalabteilung einschalten. «Wir können Führungskräfte bei der Lösung des Problems beraten, unterstützen und sie dadurch befähigen, das Problem zu lösen», erklärt Hügin Kölliker. Wenn auch das nicht funktioniert, ist es die Aufgabe der Personalabteilung, alle, die mittlerweile in den Streit hineingezogen wurden, an einen runden Tisch zu bitten. «Im Gespräch können dann die Betroffenen angeleitet werden, zu verstehen, wie die jeweils anderen die Situation erleben. Dabei wäre es auch sinnvoll, neue Regeln für die Zusammenarbeit zu diskutieren und zu vereinbaren.» Ob man diesen Weg geht, sollte man sich «dem Friede zuliebe» aber gut überlegen. Manchmal reicht es auch, sowas ganz locker im Vorbeigehen mal zu erwähnen, statt die Betroffenen ins Büro zu bitten und das Gespräch mit «Guten Morgen, setzen Sie sich doch. Können Sie sich vorstellen, warum ich Sie zu mir gebeten habe?» zu beginnen. Als «Management by walking around» wird diese Beiläufigkeits-Methode genannt.

«Aber laut ist nicht immer schlecht und leise nicht immer gut.» Viel Anregung entstehe auch erst durch laute Gespräche im Büro, so der Mediensprecher der St. Galler Kantonalbank Simon Netzle. Mitarbeiter würden dabei eine Mithörkompetenz entwickeln, die gewisse Routinesitzungen überflüssig machen kann.

CS setzt auf Bürorauschen

In einigen Büros sei diese Mithörkompetenz auch ganz klar Teil der Arbeit, so Netzle. «Für längere konzentrierte Arbeiten an einem Konzept braucht es eher absolute Ruhe ‹im stillen Kämmerlein›, während in der Handelsabteilung, wo der Informationsaustausch zwingend ist, etwas Betrieb fast zwingend nötig ist: Die Mitarbeiter dort haben den Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg im Auge, meistens läuft ein Fernseher und hin und wieder schnappt man auf, zu welchen Sätzen der Kollege gerade kauft oder verkauft», erklärt der Mediensprecher. Wer sich davon gestört fühlt, ist in der Handelsabteilung wohl am falschen Ort.

Die Suche nach dem richten Ort ist dann auch das Stichwort im Umgang der Credit Suisse mit dem Thema Arbeitsatmosphäre. Im Uetlihof 2, dem Büroturm der Bank, kann dieser Ort der Arbeit vor allem jeden Morgen neu gewählt werden. Dort sehen einige der Arbeitsplätze eher aus wie Schreibtische in einem Bürodschungel aus grünem Teppichfussboden und Zimmerpflanzen. Das Prinzip hier lautet «Amazonas – ohne Mücken». Wer sich da von einem Arbeitskollegen genervt fühlt, kann sich mit seinem Laptop einfach auf eine andere Büro-Lichtung setzen. «Smart Working» nennt die Credit Suisse ihr Konzept, das sie neben der Schweiz bereits in Singapur und New York verwendet. Die Arbeitsfläche im Uetlihof ist in verschiedene Bereiche eingeteilt, beispielsweise für Kollaborationen von grösseren Gruppen, kleinere Gruppen, konzentriertes Arbeiten oder vertrauliche Gespräche. Jeder kann sich also das suchen, was zu seiner derzeitigen Aufgabe am besten passt, so die Idee. Mitarbeiter und Manager müssen vor ihrem Umzug in den Uetlihof allerdings extra für diese neue Arbeitsumgebung geschult werden. Und auch dann bedeutet das nicht automatisch mehr Produktivität. «Bezüglich Produktivitätssteigerung lässt sich der Erfolg nur bedingt messen», erklärt Ingo Frädrich, der sich für die Credit Suisse um Arbeitsplatzgestaltung kümmert und an der Planung des Uetlihofs beteiligt war.

Im Uetlihof werden vor allem IT-Leute untergebracht und sollen dort kreativ arbeiten können. Laut einer Umfrage der Credit Suisse gehen bisher 30 Prozent der Manager davon aus, dass die Produktivität ihrer Teams gestiegen ist. 60 Prozent glauben, sie sei unverändert. Ein Ausgangspunkt für die «Smart Working»-Initiative und somit für den Uetlihof sei eine 2010 geführte Umfrage unter 15  000 Mitarbeitern weltweit gewesen, so Frädrich. «Störungen» hätten sich dabei als eines der Kernthemen bei der Arbeit in Mehrpersonenbüros herausgestellt. Um dem Lärm beizukommen, verwendet die Credit Suisse mittlerweile selbst Geräusch: Die Trennwände zwischen den einzelnen Arbeitsplätzen schwingen unmerklich und erzeugen dadurch sogenanntes «weisses Rauschen» – ein Geräusch auf allen hörbaren Frequenzen. Dieses Hintergrundgeräusch klingt ein bisschen nach einem Wasserfall und überdeckt somit andere Geräusche – wird aber selbst vom menschlichen Gehirn ähnlich leicht herausgefiltert wie Regentropfen auf dem Fenster.

Meinem Kollegen hätte wohl auch der Uetlihof nicht gegen mich als nerviges Gegenüber geholfen. Da wir zusammen an einem Projekt gearbeitet haben, hätten wir in Hörweite sitzen müssen. Ich hätte dann eben etwas lauter sprechen müssen, um dieses Rauschen zu übertönen.

Tipps gegen nervige Kollegen

Schnell handeln
Werden Sie schnell aktiv, sonst gewöhnt sich Ihr Gegenüber daran, dass Sie seinen Lärmpegel ertragen.

Technik nutzen
Trennwände, die ein beruhigendes Rauschen erzeugen, sind nur eine Möglichkeit moderner Büroarchitektur. 

Ich-Botschaft
Verallgemeinern Sie Ihr Problem nicht in Botschaften wie: «Alle im Büro sind genervt von deinem Stuhlwippen.» Formulieren Sie Ich-Botschaften.

Sich selbst prüfen Haben
Sie so viel Stress zu Hause, dass Sie sich das Büro als Ruheoase wünschen? Dann liegt das Problem bei Ihnen. Achten Sie darauf, dass sie nicht gestresst zur Arbeit kommen.