Die Grüsse zum Jahresende gehören zu den Traditionen, die auch von Unternehmen mit geradezu verbissener Sturheit gepflegt werden - wenn auch nicht immer ersichtlich ist, weshalb überhaupt. Die fröhlichen Weihnachtsgrüsse einiger angeschlagener Firmen dürften diesmal ihre Empfänger so peinlich berührt haben wie die Scherzkarte eines Bekannten, der nach dem Versand unerwartet in die Intensivstation verlegt wurde.
Was muss denn noch passieren, damit die rotnasigen Rentiere, die grimmig-zufriedenen Schneemänner und schneebedeckten Tannen verschwinden? Die E-Card von Volvo, die den Abonnenten des Newsletters des schwedischen Autoherstellers vor Weihnachten in die Mailbox flatterte, ist eines unter vielen Beispielen, die im Meer der Weihnachtskarten schwerlich eine Sympathiewelle auszulösen vermögen.
Grundsätzlich ist am Versand von E-Cards nichts auszusetzen, im Gegenteil: Sie sind praktisch, schnell erstellt, meist in Sekunden erfasst und fast ebenso schnell beantwortet wie im Papierkorb versenkt. Entsprechend steigt ihre Beliebtheit. Sofern sich aus der grossen Zahl der Internet-Shops und Webseiten, die E-Cards anbieten, auf die Nachfrage schliessen lässt, muss diese riesig sein. Bitkom, der Deutsche Bundesverband Informationswirtschaft, Telekom und neue Medien, hat ermittelt, dass bereits 43% der Deutschen elektronische Weihnachtsgrüsse versenden - vor Jahresfrist waren es erst 33%.
Bloss das Alte in digitaler Form
Das Beklagenswerte an diesem Trend ist nur, dass die Vielfalt der technischen Möglichkeiten unbenutzt bleibt. Geschätzte 99 von 100 Absendern setzen aufs Altbewährte und versenden Jahr für Jahr die gute alte Weihnachtskarte - einfach in digitaler Form. So auch bei Volvo Schweiz, wo man laut Auskunft der CRM-Managerin Maja Kaufmann «bewusst auf Tradition setzte». Der einzige Zweck des elektronischen Grusses: «Unseren Kunden für ihre Treue Danke sagen.» Nett. Nur: War das in der gegenwärtigen Situation auch das Richtige? Stammkunden, die sich über den Hersteller ihres Autos vielleicht sorgten, dürfte beim Anblick der fröhlichen Schneemänner ein leichtes Grausen gepackt haben: Danke für die Treue? Ansonsten: Nichts? Kein Wort zur Gegenwart, keines zur Zukunft? Nicht nur Volvo, auch andere angeschlagene Unternehmen hätten im vergangenen Jahr Grund genug gehabt, sich am Ende eines schwierigen und am Anfang eines womöglich noch viel schwierigeren Jahres etwas mehr einfallen zu lassen.
Pardon - bei Volvo immerhin gab es eine Neuerung: «Diesmal wollten wir auch den interaktiven Aspekt berücksichtigen», erzählt Kaufmann (siehe Box). Mit dieser Schneemann-Kartenaktion ist man bei Volvo zufrieden. Jeder Dritte der 40000 Empfänger habe den Newsletter geöffnet und jeder Fünfte habe auch den Link zur E-Card angeklickt. Innerhalb der ersten 24 Stunden seien mehr als 1300 selbst gebastelte Schneemänner verschickt worden. Diese Zahlen entsprächen überdurchschnittlichen Werten, erklärt Kaufmann.
Kritischer beurteilt ein Fachmann die Aktion, etwa der Berner E-Business-Spezialist Pascal Sieber, der in seiner Funktion als Jury-Mitglied von «Best of Swissweb», dem Schweizer Award für Internet- und Mobile-Projekte, regelmässig Online-Marketing-Aktionen bewertet. Diplomatisch schickt er allerdings voraus, dass seine Kriterien sehr streng seien und normalerweise für Teilnehmer des Branchenwettkampfs gelten: «Wir bewerten die innovativsten, neusten und kreativsten Lösungen.»
Zu diesen gehört der Weihnachtsgruss von Volvo nachgerade nicht. Sieber vermisst dort Kreativität, Originalität, Innovation - einfach den «Wow-Effekt». Dem strengen Richter fehlt ein Zusammenhang zwischen dem Sujet - «Was hat der Schneemann mit dem Auto zu tun?» - und dem Produkt. Zur Zielgruppen-Relevanz meint er trocken: «Kleinstkinder hätten daran wohl ihre Freude.» Immerhin fügt Sieber zum Trost hinzu: «Oft ist der unmittelbare kommerzielle Erfolg des Altbekannten grösser als derjenige des Innovativen.»
Angesichts Tausender lustloser Weihnachtsgrüsse ist die Frage legitim: Wozu eine Marketing-Aktion, wenn keine Marketing-Ziele dahinter stehen? Zeit- und Kostengründe können als Entschuldigung für die Einfallslosigkeit kaum ins Feld geführt werden. Für die Volvo-E-Card etwa, informiert die bei OgilvyInteractive dafür verantwortliche Bettina Waffler, seien vom Briefing bis zum Versand nur zwei Wochen nötig gewesen, und dies trotz beträchtlichem Aufwand für den Newsletter und die Karte mit vielen Details und Features.
Was kostet eine E-Card?
Während Volvo sich über die Kosten ausschweigt, erwähnt Waffler ein Budget von 25000 Fr., bevor sie sich besinnt und gegenüber der Journalistin lieber nichts gesagt hätte. Mit gutem Grund? Wer sich in der Branche umhört, erfährt, dass eine vergleichbare E-Card bereits für wenige tausend Franken zu haben sei. Allerdings: Beratung und Newsletter sind dann nicht inbegriffen.
Wer auch Ende 2009 Kunden beglücken will, sollte die nächsten elf Monate nutzen, um für einmal etwas echt Spannendes, Überraschendes, kurz: Einmaliges auszuhecken. Sonst droht der Untergang in der Flut der nichtssagenden Weihnachtsgrüsse. Mindestens.