Was kann ich für Sie tun?» Urs Winkler, Geschäftsführer des christlich-humanitären Hilfswerks World Vision Schweiz, lächelt. Zuvorkommend bietet er einen Platz in seinem schlichten Büro im 4. Stock eines älteren Gebäudes im Dübendorfer Industriegebiet. Mit diesem Sitz bekennt sich die Geschäftsleitung zu Bescheidenheit und Selbstbeschränkung. «Mit einer prunkvollen Administration wären wir kaum glaubwürdig», sagt Urs Winkler, während sein Blick über die an den Wänden hängenden Fotos mit Kindern aus aller Welt schweift.

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Glaubwürdigkeit ist ihm wichtig. Sie soll Vertrauen schaffen in seine Organisation, die unkompliziert Entwicklungshilfe leistet. Die Zahlen: Bei World Vision Schweiz betreuen 70 Mitarbeitende rund 65 000 Patenschaften sowie weit mehr als 100 Entwicklungs- und humanitäre Nothilfeprojekte in über 30 Ländern. Ist Urs Winkler ein Weltverbesserer? «Nein, das bin ich nicht, aber die Vision einer Welt, die Not und Armut nicht mehr toleriert, ist mir ein grosses Anliegen», meint der 53-Jährige und lehnt sich zurück.

Der einstige Richter verfügt über ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Trotzdem war das Jusstudium damals eher eine Verlegenheitslösung, «weil man danach noch so viele berufliche Möglichkeiten hat». Urs Winkler verliess die Uni Bern bereits als Rechtsanwalt; nach vier Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Berner Justizdirektion wurde er schon mit gut 30 Jahren Gerichtspräsident in Thun.

Überraschend wurde er in Spiez in den Gemeinderat und etwas später zum Gemeindepräsidenten gewählt. Statt sich am Gericht mit schwierigen Menschen auseinanderzusetzen, durfte er sich einfacheren Aufgaben zuwenden: Schulhäuser bauen, den Tourismus fördern oder sich für kulturelle Anliegen einsetzen. «Spiez ist eine dankbare Gemeinde mit hoher Lebensqualität», sagt Winkler, der fast sein ganzes Leben in der Berner Oberländer Gemeinde am Thunersee verbracht hat.

Tiefe Wurzeln und Fernweh

Einerseits hat Winkler tiefe Wurzeln geschlagen, andererseits zog es ihn stets in die weite Welt hinaus. Seine Frau Lynette, eine Krankenschwester, lernte er auf einer Reise in den USA kennen; seine Familie spricht englisch und besucht regelmässig die mütterliche Verwandtschaft in Kalifornien. Vielleicht deswegen wurde es ihm nach zwölf Jahren in der Gemeindepolitik zu eng.

Ihm schwebte vor, seine Führungserfahrung, seine Freude an der Zusammenarbeit mit Menschen, seine juristischen und politischen Kompetenzen auf internationaler Ebene einzubringen. Er bewarb sich für die Stelle des Vizedirektors im Bundesamt für Flüchtlinge in Bern - und fällte in den folgenden drei Jahren mit 200 Mitarbeitenden 75 000 Asylentscheide.

Hat ihn dieses schwierige Amt politisch geprägt? Er erlebte, dass unzählige Menschen in die Schweiz kommen, weil sie verfolgt sind, aber auch wegen der Perspektivelosigkeit in ihren Heimatländern. Seine Aufgabe sah er darin, jedes einzelne Verfahren korrekt abzuwickeln, um jeder Person individuell gerecht zu werden. Die Problematik der häufig negativen Entscheide bewog ihn nach drei Jahren zum Ausstieg. «Ich wollte lieber die Perspektiven in den betreffenden Ländern selber verbessern», sagt Winkler. «Ich zog es vor, etwas aufzubauen, statt den Rechtsstaat zu vertreten.» Zwischen der Aufbauarbeit in der Gemeinde und jener in der Dritten Welt entdeckte Winkler zahlreiche Parallelen: Hier wie dort wird - wenn auch auf gänzlich unterschiedlichen Niveaus - eine langfristige Dorfentwicklung angestrebt.

Warum zog es den Sohn eines Lokführers in die Dritte Welt? Im Auftrag des Bundesamts für Flüchtlinge bereiste er im Jahr 2004 kriegsversehrte Gebiete in Liberia und Sierra Leone. «Monrovia, die Haupstadt von Liberia, war ein einziges Chaos», blickt er zurück. Die Spuren des Kriegs gingen ihm unter die Haut, sein Entscheid für World Vision war gefasst.

Eine Daueraufgabe

Entwicklungshilfe in Zeiten der Krise, in einem Umfeld inflationärer Projekte: Verliert man da nicht alle Illusionen? Erstmals wird Winkler heftig: «Überhaupt nicht. Es ist unsere Daueraufgabe, für gute Projekte in der Dritten Welt möglichst viele Mittel zu generieren.» Er habe viele Erfolgserlebnisse, etwa «wenn ich in die strahlenden Augen einer Seifenverkäuferin blicke, die dank einem Mikrokredit ein eigenes Geschäft aufgebaut hat». Und wenn sein Hilfswerk kritisiert, belächelt oder medial bekämpft wird? «Ich bin Kritik gewöhnt und lebe damit, lasse sie aber nicht abprallen, sondern nehme sie ernst.» Bei eigenen Fehlern will er sich auch entschuldigen können. Gleichzeitig kommuniziert er hartnäckig die Vorzüge von World Vision und korrigiert falsche Eindrücke. Ein Beispiel: Die TV-Werbung sei teuer, wird World Vision vorgehalten. Falsch, pariert der CEO: «Dank dem Hilfswerkrabatt von 50% bei den TV-Sendern und Sponsorbeiträgen für die Produktionskosten erzielen wir deutlich mehr Effizienz pro investierten Werbefranken als etwa mit der Printwerbung.» In den letzten fünf Jahren hat World Vision über 80% der Spenden in der Projektarbeit eingesetzt; im Aidrating 2009 über 11 Schweizer Entwicklungsorganisationen hat World Vision als transparentestes Hilfswerk abgeschlossen.

Keine Ermüdungserscheinungen

Ermüdungserscheinungen kennt der Liebhaber von Ballsportarten nicht. Im Gegenteil, er wirkt unermüdlich in seinem Bestreben, die Kluft zwischen den überreichen und den allerärmsten Ländern zu verkleinern. Sein persönliches Credo: «Bescheidenheit ist wichtig.» Den bescheidenen Lebensstil hat das jüngste von fünf Kindern einer Spiezer Bähnlerfamilie von klein auf gepflegt. «Wir haben aber auch ein paar Jahre direkt neben dem Bundeshaus gelebt, das hat mein Interesse an der Bundespolitik geweckt.»

Was ihn stark prägte: Seine Eltern wirkten in der Heilsarmee und verbanden stets die Einfachheit mit dem diakonischen Einsatz. «Ich mache heute dasselbe im internationalen Bereich», sagt Winkler. Und: «Es ist gut, wenn die christliche Nächstenliebe ganz konkrete positive Auswirkungen hat. Erfolgreiche Hilfe zur Selbsthilfe ist mein Hauptmotivationsfaktor.» Dem EVP-Politiker sind auch Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Treue wichtig. Er legt Wert darauf, in versöhnten Beziehungen zu leben, friedensstiftend zu wirken.

Ist Urs Winkler gerne Chef? «Ja, ich arbeite gerne mit Menschen zusammen.» Sein Führungsstil? Partizipativ, selbstverständlich. Was er von seinen Angestellten erwartet? «Unsere Mitarbeitenden müssen ein Herz haben für die Entwicklungszusammenarbeit, welche aus christlicher Motivation geleistet wird.»

Eine Unihockey-Familie

Winkler bekennt sich zu einem ausgeprägten Familienleben. Alle drei erwachsenen Kinder spielen Unihockey, die Tochter in der Nationalliga A, ein Sohn in der Nationalliga B. «Seit Jahren fiebere ich fast jedes Wochenende an Unihockeyspielen mit, ich kenne mittlerweile fast jede Turnhalle im Kanton Bern.» Häufig erklimmt er mit dem Velo die steilen Hänge am Thunersee, besucht mit den Söhnen einen YB-Match oder wandert mit seiner Frau in den Bergen.

Sein Weihnachtswunsch? Erst fällt ihm ein Dank ein: Als Geschäftsführer empfindet er grosse Dankbarkeit gegenüber seinen Spendern. Sein Wunsch: «Wir haben nur eine einzige Welt. Zu grosse Unterschiede beim Wohlstand erzeugen weltweit Konflikte. Ich wünsche mir, dass sich möglichst viele Menschen für eine solidarische Welt engagieren.»