Lenin & Stalin. Hinter vorgehaltener Hand nennen Zürcher Rechtsanwälte von Lenz & Staehelin ihre Kanzlei gerne nach den beiden frühen Führern der Sowjetunion. Grund dafür ist die Gewinnverteilung unter den Partnern der Kanzlei, also den Eigentümern. Denn unabhängig davon, ob ein Partner in einem Jahr viele oder nur wenige Aufträge an Land gezogen, und egal, ob er viel oder wenig gearbeitet hat: Am Ende erhält jeder denselben Gewinnanteil.
Zum Partner ernannt zu werden, öffnet also das Tor zum reichhaltigen Manna. Dieses will kaum einer unter zu vielen aufteilen. Darum erstaunt es nicht, dass bei Lenz & Staehelin nur wenige der angestellten Anwälte – der Associates – in den Stand eines Partners berufen werden.
Für Rechtsanwälte ist die Promotion zum Partner einer Kanzlei wie ein Ritterschlag. Nicht nur viel Prestige ist damit verbunden; auch finanziell stehen Partner in der Regel viel besser da als die einfachen, angestellten Anwälte. Das Einkommen eines Partners bei spezialisierten Wirtschaftskanzleien verdoppelt sich schnell auf über 500000 Franken. Doch was früher klares Ziel junger Nachwuchsanwälte war, ist zunehmend schwierig zu erreichen. Die fetten Jahre sind vorbei, auch in der Anwaltschaft. Die Nachwirkungen der Finanzkrise drücken auf die Honorare, gerade bei Wirtschaftskanzleien. Zu viele Mit-Partner an der Kanzleispitze würden den eigenen Bonus schmälern. Kein Wunder, dass die Anzahl der Partner-Beförderungen auf dem Anwaltsplatz Zürich stagniert. Die Tendenz zeigt sogar nach unten. Junge Anwälte müssen sich neue Karriereziele überlegen.
Beförderung ist unsicher
Die wohl bekannteste Wirtschaftskanzlei der Schweiz sind die Homburger Rechtsanwälte mit Sitz im Prime Tower in Zürich, dem höchsten Gebäude der Schweiz. Wer bei Homburger hoch hinauswill, muss erst lange untendurch. Früher, sagt einer, der dort tätig war, musste ein junger Anwalt drei Jahre lang in der Kanzlei arbeiten. «Dann erhielt er den Bescheid, ob er ein Kandidat sei für die Partnerschaft.» Nach weiteren zwei, drei Jahren war es dann tatsächlich so weit. «Heute aber», sagt der Ehemalige, «muss ein Anwalt fünf bis sieben Jahre lang für Homburger arbeiten, um überhaupt den Vorschlag zu erhalten.» Und ob er dann auch tatsächlich befördert werde, sei unsicher. Ein Kanzleimitglied von Homburger sagt, im Durchschnitt sei ein Anwalt 25 Jahre lang Partner. Beförderungen erfolgten im Sinne einer «Ablösungsquote». Solange also keiner der Partner in Pension geht, ist es für die Jüngeren schwierig, überhaupt in den Stand ernannt zu werden.
Im laufenden Jahr haben die Homburger Rechtsanwälte keinen einzigen neuen Partner ernannt. Auch bei der Kanzlei Niederer, Kraft & Frey gab es dieses Jahr keine Beförderungen. Bei Vischer Anwälte erfolgte der letzte Ritterschlag vor zwei Jahren.
Für den St. Galler Rechtsanwalt und Universitätsprofessor Leo Staub sind diese Zahlen keine Überraschung. Der Dozent für Legal Management sagt: «Diese Tendenz entspricht einem internationalen Trend.» Er erläutert dies an der Formel zur Einkommensberechnung für Partner. Deren Einkommen entspreche der Multiplikation von Marge, von durchschnittlichem Stundensatz, von der Anzahl abgerechneter Stunden sowie dem Verhältnis zwischen Anzahl Partner und Anzahl angestellter Rechtsanwälte. Staub sagt: «Wenn nun die Honorare unter Druck geraten, ist der grösste Hebel, um das Einkommen zu steigern oder zumindst zu sichern, mehr Associates pro Partner zu beschäftigen.» Eine Anwältin, welche wie andere Auskunftspersonen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt hierzu: «Man braucht Leute, die zudienen.» Es liegt also im Eigeninteresse der Partner, die Anzahl ihresgleichen in einer Kanzlei tief zu halten.
Wie gross die Abhängigkeit von möglichst vielen Zudienern ist, hängt letztlich vom Partnervertrag ab. Dieser bestimmt die Gewinnverteilung und gilt als grösstes Geheimnis einer Anwaltskanzlei. Geregelt ist dort, welche Faktoren mit welchem Gewicht berücksichtigt werden, um die Gewinnanteile zu berechnen.
Die Modelle der Partnerverträge unterscheiden sich wesentlich. Während bei Lenz & Staehelin der Gewinn gleichmässig auf die Partner verteilt wird, gilt bei Niederer, Kraft & Frey das Gegenteil. Dort arbeitet jeder Partner auf eigene Rechnung. Keiner partizipiert am Erfolg der anderen – eine Unkostengemeinschaft also oder, wie es einer nennt, eine reine «Toilettengemeinschaft». Andere Kanzleien haben einen Mix der beiden Modelle.
Der Trend der abnehmenden Partnerernennungen gilt breitflächig und unabhängig vom Modell. Ausnahmen sind die Grosskanzleien Walder Wyss, Bär & Karrer sowie Schellenberg Wittmer. Manuel Liatowitsch von Schellenberg Wittmer sagt: «Wir sind in den letzten zehn Jahren stark gewachsen und so konnten wir auch die Partnerschaft laufend ergänzen.»
Bei vielen anderen sind die Boomjahre gestoppt. Vor allem die beiden Kanzleien Bär & Karrer sowie Lenz & Staehelin holten jahrelang dank Fusionen und Übernahmen viele Aufträge an Bord und verbuchten entsprechend grosse Wachstumsraten. Mit Rolf Watter und Rudolf Tschäni haben beide Kanzleien je einen Mann an Bord, die beide als M&A-Experten gelten. Beide waren 1998 am Zusammenschluss von Bankverein und Bankgesellschaft zur UBS beteiligt. Es war die erste grosse Fusion der Schweizer Wirtschaftsgeschichte.
Alle gegen alle
Nachdem die Kanzleien in den 1990er- Jahren stark gewachsen sind, scheint der Markt mittlerweile gesättigt, grosse Transaktionen sind seltener. Entsprechend sinkt die Nachfrage nach anwaltlicher Expertise auf diesem Gebiet. Zudem machen Beratungsunternehmen wie Ernst & Young oder PwC den Anwälten den Markt zunehmend streitig.
Doch eigentlich geht es um alle gegen alle. Auch unter den Kanzleien ist der Wettbewerb härter geworden. Zwar konnten die Schweizer Anwälte weitgehend verhindern, dass ausländische Grosskanzleien aus England oder den USA in der Schweiz wirklich Fuss fassen konnten. Dafür bekämpfen sie sich umso mehr im limitierten Heimmarkt.
Oben stehen die sogenannten HighEnd-Kanzleien. Sie bieten massgeschneiderte Lösungen an und sind selbst in Rechtsgebieten tätig, die noch im Fluss sind. Zu diesen Kanzleien zählen Homburger, Bär & Karrer sowie Lenz & Staehelin. Sie alle spüren den Druck der sogenannten Legal-Housekeeping-Kanzleien, die in das höchste Segment drängen. Legal-Housekeeping-Kanzleien können für Unternehmen 90 Prozent der anfallenden Rechtsfragen lösen, definiert ein Branchenkenner das Segment. Zu ihnen zählen Wirtschaftskanzleien wie Schellenberg Wittmer; Niederer, Kraft & Frey; Walder Wyss; Meyerlustenberger Lachenal; Wenger Plattner; Baker & McKenzie. Diese wiederum stehen unter Druck der sogenannten Commodity Legal Service Providers. Das sind Kanzleien, die Rechtsdienste weitgehend automatisieren – dabei geht es mehr um Masse als um Komplexität. Der Druck von unten drückt die Honorare.
Konkurrenz erwächst den Kanzleien schliesslich auch von ihren Kunden. Unternehmen bauen ihre Rechtsabteilungen mit hochkarätigen Juristen aus. Dies spart manchen Gang zum teuren Anwalt. In einem multinationalen Unternehmen beispielsweise kümmern sich die hausinternen Anwälte um Arbeitsbewilligungen für ausländische Kollegen. Vor zehn Jahren noch war dies ein Millionenauftrag für eine Kanzlei.
Anwaltschaft: Zahl der Juristen steigt stetig
Jurastudium
Die Studierenden der Schweizer Universitäten entscheiden sich zunehmend für die Rechtswissenschaften. Das Jurastudium verzeichnete in den letzten 23 Jahren ein Wachstum von über 50 Prozent von rund 10 000 (1990) Immatrikulierten auf 15 340 (2013). Während Frauen bis 2001 in der Minderheit waren, machen sie inzwischen deutlich mehr als die Hälfte der Jurastudenten aus. 16 Prozent sind Ausländer. Jurastudenten machen rund 11 Prozent aller Studenten aus. Allerdings hat die Anzahl Studienanfänger im aktuellen akademischen Jahr zum ersten Mal abgenommen und liegt unter dem Niveau der Jahre 2010/2011.
Frauen
Diese sind noch in der Minderheit im Schweizerischen Anwaltsverband (SA V). Dieser verzeichnet einen stetigen Mitgliederzuwachs. Anfang 2013 waren über 9000 Anwälte eingetragen, ein Viertel davon Frauen. 2003 waren es erst 7000 Mitglieder.
Zürich
Insgesamt ist der Mitgliederbestand in zehn Jahren um über 24 Prozent angewachsen. Mit 2904 Anwälten arbeitet fast ein Drittel des Schweizer Berufsstandes im Kanton Zürich. In Genf, dem Kanton mit der zweitgrössten Anzahl von Anwälten, sind 1111 SA V-Mitglieder registriert. 730 Berufskollegen üben ihre Tätigkeit im Kanton Tessin aus.
1 Kommentar
Die Tatsache, dass die Beförderung zum Partner in Anwaltskanzleien heutzutage seltener erfolgt, zeigt, wie sich die Anwaltsbranche entwickelt und verändert hat. Top Anwälte sollten sich selbständig machen. Nur so kann man gewinnen, stark werden und sich gegen die grossen Kanzleien durchsetzen! Die Anwaltskanzlei Wittibschlager wurde als kleine Advokatur von der Bilanz ausgezeichnet.
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Darum habe ich mich selbstständig gemacht und in kurzerhand Zeit viel Erfolg erzielt:
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