Werner Karlen hat sein Büro an der Lindenstrasse in Kloten geräumt. Nicht alles ist weg: Im Gestell steht noch - ganz einsam - ein Siegerpokal. Aber keiner für Tennis- oder Golfturniere, sondern einer, der ihn und sein Team als «Winner des Phoenix Mecano Drachenbootrennens» auf dem Bodensee auszeichnet. «Das war eine tolle Sache und Teamarbeit war entscheidend», erzählt er begeistert.
Was er am letzten Abend bei Phoenix Mecano, dem Unternehmen, dem er sieben Jahre als Direktionspräsident vorstand, vor seinem Wechsel zu Implenia tut, sagt einiges über ihn aus: «Zusammen mit meinen engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehe ich kochen. Auf dem Menüplan steht ein Truthahnbraten. Jeder bekommt eine Aufgabe. Ich weiss noch nicht, welches kulinarische Schicksalsexperiment mich ereilt», sagt er lachend.
Dabei bräuchte er sich nicht zu fürchten: Für seine drei kleinen Kinder bereitet er nicht nur jeden Tag ein währschaftes Frühstück zu, er bekocht die Familie auch regelmässig am Wochenende. Angesprochen darauf, was denn in seinem Spezialitätenregister stehe, muss er sich keine Sekunde besinnen: Saftige Braten, Minestrone und «Cholera».
Hat man sich beim letzten Gericht verhört? «Nein, nein, das ist eine Spezialität aus dem Wallis. Eine Art Kuchen aus Gemüse, Äpfeln und Kartoffeln mit Käse überbacken. Einfach herrlich.» Ein leises Bedauern, aber auch viel Verständnis schwingt im Nachsatz mit. «Aber meine Kinder lieben halt - wie alle ihre «Gspänli» in diesem Alter - einfachere Gerichte wie Pommes frites oder Spaghetti.»
Karlen ist eine interessante Mischung aus Bergler und Weltbürger. Einmal abgesehen von seinem Dialekt, den man dank der starken Präsenz seiner Landsleute am Fernsehen ohne Dolmetscher versteht, führen auch alle anderen Spuren immer wieder zurück in seine Heimat, nach Brig. Hier war sein Vater ein «Transpörtler», hier hat er als Lastwagenfahrer sein erstes Geld verdient, hier ist er in den Bergen «herumgekraxelt» und hat das «Kollegi» besucht.
600 Meter in die Tiefe gestürzt
Später, als er darauf angesprochen wird, welchen Wunsch er sich nach seiner Traumkarriere und einem intakten Familienleben noch von einer guten Fee erfüllen lassen möchte, sagt er nachdenklich: «Ich möchte wieder einmal mit meinen Freunden ein paar Tage unbeschwert in den Walliser Bergen eine Klettertour machen.»
Dabei würden viele an seiner Stelle wahrscheinlich diesen Gedanken lieber verdrängen. Der passionierte Bergsteiger hat zwar den Mont Blanc und das Matterhorn unbeschadet bestiegen, aber auf seiner Tour durch die Bishorn-Ostwand setzte er bei dichtem Nebel die Ski auf eine Schneewächte und stürzte 600 m in die Tiefe.
Am ganzen Körper verletzt, harrte er dort sechs Stunden, die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen, in einer Gletscherspalte aus. «Aber als Optimist sagte ich mir, dass man mich bestimmt finden werde, weil ich beim Absturz Gegenstände wie etwa Rucksack, Steigeisen und Skier verloren hatte.» Der Rettungshelikopter hat ihn entdeckt. Würde er es trotz seiner Blessuren und einem Todesschrecken wieder wagen, sich mit den Tücken der Bergwelt zu messen? Er räumt ein, dass dazu auch seine Frau ihre Einwilligung geben und er sich für anspruchsvollere Touren wieder eine Routine aufbauen müsste.
Was ging ihm eigentlich damals durch den Kopf, als er sich im ewigen Eis zwischen Leben und Tod befand? Karlen schweigt eine Weile. Man könnte einen Floh husten hören. Dann sagt er langsam - sonst spricht er sehr rasch: «Ich habe mir schon vorgestellt, wie es wäre, wenn ich vor dem Jüngsten Gericht erscheinen müsste. Wahrscheinlich wäre ich nicht schnurstracks auf einem der besten Plätze gelandet», sagt er mit einer Selbstironie, die immer wieder durchschimmert. Als in einem von Jesuiten geführten «Kollegi» Erzogener sind ihm Vorstellungen von Himmel und Hölle offenbar noch immer geläufig.
Das gilt auch für das «Beinahe-Ultimatum», das ihm damals drohte. Er hatte sich, zusammen mit seiner Clique, heute nennt sich das Peer-Group, allerhand zuschulden kommen lassen. Mit dem Auto zur Schule fahren und Lektionen schwänzen sind nur ein paar kleine «Müsterli». Jedenfalls stand sein Verbleiben an der ehrenwerten Schule auf der Kippe, was er dank guter Noten umschiffte. «Aber das Beste kommt erst noch: Heute ist der Sohn jenes Prorektors, der uns in die Schranken wies und für uns sogar eine Art Feindbild war, der Mann meiner Schwester.»
Karlen kann erfrischend lachen, wenn er solche Geschichten erzählt. Das gilt auch für die Schilderungen seiner anderen Passion. Er liebt es, an alten Motorrädern herumzutüfteln. Nur schon die Beschaffung von Ersatzteilen für seine alte Ducati oder die BMW ist für ihn eine Art Nervenkitzel. Ein Blick in seine Garage muss aufschlussreich sein. «Meine Kinder verschleppen oft meine Werkzeuge, weil sie ihre Velos auch schon selber reparieren und mir immer helfen wollen. Aber ich finde es gut, wenn sie sehen, was man mit Geduld und Durchhaltewillen erreichen kann.»Durchhaltewillen, diesen Begriff verwendet Karlen auch, wenn er auf seine erste Vollzeitstelle zu sprechen kommt. Seinen Anfangsjob hate er jedoch bei ABB, wo er gleichzeitig die Dissertation schrieb. Er schildert, wie hart und lehrreich seine McKinsey-Jahre waren. «In den Projektteams wurde oft bis lange nach Mitternacht gearbeitet, wohl wissend, dass ein Einsatz am nächsten Morgen um 8 Uhr erwartet wurde.»
Dabei konnten er und seine Kollegen offenbar viel über sich selbst lachen im Stil des Bonmots von Peter Ustinov, der einmal sagte: «Der wahre Humor weiss ganz genau, dass es im Grunde gar nichts zu lachen gibt.»
Etwas, das sich anfassen lässt
Karlen betont mehrmals, dass er die McKinsey-Zeit nicht missen möchte. Dass er trotzdem zu Phoenix Mecano gewechselt hat, hängt mit einem Phänomen zusammen, das er als Sohn eines Transportunternehmers erfahren hat. «Ich liebe es, eine Arbeit zu verrichten, von der am Ende mehr übrig bleibt als ein Haufen Papiere und Dossiers - etwas, das sich anfassen lässt und physisch da ist.» Er schildert etwa, wie er damals mit dem Lastwagen auf Baustellen gefahren ist und Abbruchmaterial herumgeführt hat. Auch die Aufgabe bei Phoenix Mecano hat ihm Spass gemacht. Es ging - beispielsweise um Gehäuse für Elektronik, elektrotechnische Komponenten und um Antriebstechnik.
Als durch puren Zufall die Frage an ihn herangetragen wurde, ob er CEO bei Implenia werden wolle, hatte er einen schwerwiegenden Entscheid zu fällen: Benedikt Goldkamp, der Sohn des Phoenix-Mecano-Firmengründers und ehemaliger Weggefährte bei McKinsey, hatte damals den passionierten Segler, der schon das Kap Horn umschiffte, zu sich an Bord geholt, um das Unternehmen in einer schwierigen Zeit in ruhigere Gewässer zu leiten. Was den beiden auch gelungen ist. Jetzt, nach sieben Jahren, bot sich Karlen eine einmalige Chance, dorthin zurückzukehren, wo er sich auch wohl fühlt: In eine Welt des Bauens, Konstruierens, Planens, in der die Früchte der Arbeit buchstäblich greifbar werden.
Diese Woche hiess es nun für Karlen «vorwärts» bei Implenia. Die Vorfreude auf die neue Aufgabe steht ihm ins Gesicht geschrieben. Und wenn es strub zu und her gehen sollte, muss er sich nur verhalten wie im Drachenbootrennen: «Seine Rudermannschaft immer im Takt halten, motivieren und bis zum Zielstrich nicht aufgeben.»