Schon lange bevor er den Auftrag in der Tasche hatte, schuf Martin Herrenknecht Fakten. Er kaufte Grundstücke in der Region, denn hier sollten später die Hallen für sein Projekt stehen. Im Jahr 1995 eröffnete er ein Büro in Andermatt UR. Er liess keinen Zweifel daran, dass es seine Firma sein werde, die den Gotthard-Basistunnel bohrt. So kam es dann auch. Die Herrenknecht AG erhielt den Job. Nach acht Jahren des Ausharrens durfte er 2002 den Go-Knopf der Tunnelbohrmaschine «Gabi 1» drücken lassen.
Um den langen Atem, den sein Vorhaben brauchte, macht Unternehmer Herrenknecht nicht viel Aufhebens. Jahrzehnte sind das Mass seines Denkens, nicht Quartale. Mit dieser Haltung machte er sein Geschäft gross. Vor nur 35 Jahren als Garagenfirma mit kaum mehr als einem Plan im Kopf gestartet, ist er heute Weltmarktführer. Ganz gleich, ob es sich um 350 Kilometer U-Bahn-Tunnels in China, einen Strassentunnel in Kuala Lumpur oder den neuen Autobahntunnel zwischen Bologna und Florenz handelt, stets steht «Herrenknecht» auf den Tunnelbohrmaschinen.
Universo? Sicpa? – Nie gehört!
Sein Erfolg ist eine Paradoxie. Im Tunnelbohrgeschäft kommt kaum ein Auftraggeber in der Welt ohne Martin Herrenknecht aus. Doch ausser den paar Insidern kennt die Firma keiner. Selbst wenn ausführlich vom Gotthardprojekt die Rede ist, werden «Gabi 1» und «Gabi 2» allenfalls in der Fussnote erwähnt. Das Unternehmen führt, auch von seiner Grösse her, ein eher verstecktes Dasein. Mehr als 2500 Mitarbeiter braucht die Firma nicht, um den ganzen Weltmarkt zu versorgen. Ihr Geschäft ist bedeutend kleiner als jenes von globalen Industriegiganten wie Liebherr, Schindler oder ABB.
Diesen Status teilt Herrenknecht mit anderen Unternehmen. Sie sind unternehmerische Oberklasse und die Nummer eins in der Welt – aber beim breiten Publikum erntet die Frage nach dem Firmennamen nur ein Kopfschütteln. «Universo? Sicpa? Haag-Streit? Nie gehört», lautet die gängige Reaktion. Dabei gehören alle drei zur Speerspitze der Schweizer Wirtschaft – diese Unternehmen beherrschen die Weltmärkte für Zeiger von Armbanduhren, Druckfarben für Geldscheine und Untersuchungsgeräte für Augenarztpraxen.
Ungewöhnliches Verhalten
Sie sind Mitglieder im exklusiven Klub der sogenannten Hidden Champions, von denen es weltweit gut 2700 Unternehmen gibt. Diese Nummer-eins-Firmen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie viele Dinge anders machen, als es gängige Praxis in der Konzernwirtschaft ist. Das zeigen einige hervorstechende Merkmale. Hidden Champions sind ausserordentlich treu zu ihren Mitarbeitern, ihre Chefs amtieren Jahrzehnte, und diese Firmen machen fast alles selbst. Das ist ungewöhnliches Verhalten in einer Business-Welt, die von Hire and Fire, einem schnell drehenden Jobkarussell auch an den Firmenspitzen und einer grassierenden Outsourcing-Manie befallen ist.
Ein Beispiel für all diese Tugenden liefert die Jakob Müller AG in Frick AG. «Kontinuität in der Führung» steht hier nicht als Imperativ in der Firmenbroschüre, sie wird einfach gelebt. «In 125 Jahren Firmengeschichte haben wir jetzt den fünften Chef», berichtet Robert Reimann, Marketingchef bei der Müller AG. Da Chef Nummer fünf gerade erst seinen Job begonnen hat, macht das eine Amtszeit von im Schnitt 30 Jahren.
Wer bringt so etwas noch? Der typische Konzern sicher nicht – hier ist die Personaldrehtüre Alltag, ein CEO hält sich gerade mal sieben Jahre, so eine Studie der Unternehmensberatung Booz & Co. Bei Hidden Champions wie der Müller AG dagegen gehört die stabile Spitze zum System, nicht als provinzielle Folklore, sondern als wohlüberlegte Strategie. «Unser Chef hat eine starke, persönlich geprägte Beziehung zu unseren Kunden. Die schätzen diese Treue sehr», so Reimann.
Das 1000-Mitarbeiter-Unternehmen stellt Maschinen her, womit Schmaltextilien produziert werden, etwa Gurte, Geschenkbänder oder Textiletiketten. In ihrem Geschäft ist die Müller AG Weltmarktführer, eine Position, die es zu verteidigen gilt, zum Beispiel mit überragender Qualität. «Eine gebrauchte, 10 Jahre alte Maschine von uns funktioniert besser als eine neue aus China», so Müller-Manager Reimann. «Mit unseren Maschinen können die Kunden am meisten Geld verdienen.»
Aber solche Statements sind kein amerikanisch angehauchtes Marketing-Blabla. Alle Unternehmen aus der Hidden-Champions-Liga nehmen ihren Anspruch sehr ernst. Das zeigen andere Äusserungen, die alle so klingen wie die von Reimann. «Führerschaft bedeutet, dass man die Norm für andere wird. Wir setzen den Massstab im Weltmarkt», lässt die Sick AG hören, Weltmarktführerin für Industriesensoren.
Bei der weltweiten Nummer eins für selbstaufrollende Hundeleinen, der deutschen Flexi-Bogdahn International, hat die Ansage denselben Ton. «Wir werden nur eins machen, aber das machen wir spitze», heisst es von Manfred Bogdahn, dem Rollleinen-Erfinder und Geschäftsführer des Unternehmens, das seit der Gründung im Jahr 1973 nur im Hochlohnland Deutschland fertigt.
Weltklasse dank Fokussierung
Das ist grosses Denken. Es spiegelt die Strategie dieser Unternehmen. Hidden Champions wollen die Besten sein in ihrer Nische. Sie konzentrieren sich gnadenlos meist auf ein einziges Geschäft: DT Swiss auf hochwertige Speichen für Veloräder, Lantal auf Bezüge für Flugzeugsitze, Teufelberger auf Faserseile. In diesem, aber nur in diesem Bereich geben die Weltmarktführer alles. «Nur mit Fokussierung wird man Weltklasse», beschreibt Hermann Simon die Praxis. Er erforscht die Weltmarktführer seit Mitte der 1990er- Jahre, prägte den Begriff der «Hidden Champions» und legte in diesem Herbst seine dritte grosse Studie zum Thema vor (siehe Kasten).
Die Champions meiden ein Risiko, das für diversifizierte Grosskonzerne immer wieder teuer wird. «Sie verzetteln sich nicht. Sie widerstehen dem Alles-für-jeden-Syndrom. Sie machen nur das, was sie überragend gut können», sagt Simon, der an der Universität Mainz, der Harvard Business School und der London Business School lehrte und heute Geschäftsleitungsvorsitzender der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners ist. Aufträge, die über die Kernkompetenz hinaus reichen, lehnen die Champions lieber ab, als eine Leistung zu bieten, die zweitklassig ist.
Erfolgsformel
Das sieht aber auch nach Risiko aus. Viele der Champions sind Einprodukt- und Einmarkt-Unternehmen. Was aber tun sie, wenn sie auf ihrem Heimatmarkt die gesamte Nachfrage abgedeckt haben? Die Firma Victorinox wäre allein mit dem Schweizer Markt schnell an Grenzen gestossen. Aber ein typischer Champion-Unternehmer wartet nicht, bis die Nachfrage gesättigt ist – er schafft neue Optionen, überträgt die bewährte Kernkompetenz auf neue Märkte.
Die Erfolgsformel, die auch Carl Elsener, Firmenchef und Urenkel des Gründers, anwendet, lautet: Aufbrechen nach Globalia. Der Mittelständler aus Ibach SZ, der den Grossteil seiner Mitarbeiter in der Heimat beschäftigt, ist mittlerweile in 120 Ländern aktiv. Keine Metropole in der Welt, wo die Taschenmesser mit dem Schweizerkreuz nicht zu bekommen wären. Das «Swiss made» ist das Signal der Alleinstellung, mit Läden der Marke und lebenslanger Garantie wird die Konkurrenz auf Abstand gehalten.
So machen es auch die anderen. Die Schweiz bietet den Weltmarktführern zwar die Heimatbasis, ist aber als Absatzmarkt inzwischen oft unbedeutend. Exportquoten von 70 bis 90 Prozent des Umsatzes sind die Regel. «Die Globalisierung ist und bleibt ein enormer Wachstumstreiber. Wer auf das internationale Geschäft setzt, hat genügend Raum für Expansion», sagt Hermann Simon. «Auf dem Weltmarkt werden auch Einproduktunternehmen gross.»
Steckbrief Hidden Champions: 110 Weltmarktführer in der Schweiz
Merkmale
Der Steckbrief der Hidden Champions umfasst laut Simon-Kucher & Partners folgende Merkmale:
- Ein Hidden-Champion-Unternehmen gehört zu den Top drei in der Welt – oder es ist die Nummer eins auf seinem Kontinent.
- Mittelständische Grösse und geringer Bekanntheitsgrad beim Publikum.
- Hauptsitz überdurchschnittlich häufig in der Provinz ausserhalb der Metropolen.
Mitteleuropa
Nirgendwo in der Welt siedeln die Hidden Champions so dicht wie im deutschsprachigen Europa. In der Schweiz kommen auf eine Million Einwohner 14 Weltmarktführer, in Deutschland und Österreich sind es ebenso viele. Zum Vergleich: Auf gerade einmal einen Weltmarktführer pro Million Einwohner bringen es Frankreich, Grossbritannien und die USA. 56 Prozent aller Hidden Champions haben ihren Firmensitz im deutschsprachigen Raum, das sind 1533 von ingesamt 2734 mittelständischen Weltmarktführern, die Studienautor Simon zählte. In der Schweiz gibt es 110 Hidden Champions.
Quelle: Simon-Kucher & Partners, 2012 Seit diesem Herbst ist die neue Studie verfügbar: Hermann Simon, «Hidden Champions – Aufbruch nach Globalia: Die Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer» (447 Seiten, Campus, 59 Franken). Die Vorgängerstudien zum Thema erschienen in den Jahren 1996 und 2007.