Sie kämpfen mit dem Internationalen Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder (ICMEC) gegen Kinderpornografie und Kinderhandel. Öffentlich haben Sie darüber nie geredet. Weshalb?
Franz Humer*: Ich wollte mich nie ins Zentrum rücken, auch bei Roche nicht. Mir ging es stets um die Sache. Personenkult ist mir fremd.
Sie präsidieren eine globale Organisation,
die etwas bewirken will. Da schadet Publizität nicht.
Ich weiss nicht, ob Publizität unserer Arbeit viel bringt. Und als ehemaliger Manager eines Pharmakonzerns bin ich nicht zwangsläufig der gesamten Menschheit sympathisch (lacht). Es sind die Experten in den Polizeikorps, die an der Front die Arbeit leisten. Ihnen gehört das Lob.
Wie sind Sie aufs Thema gekommen? Sie haben sich im Berufsleben mit Diagnostik, Immunologie und Krebsforschung beschäftigt.
Tue ich noch heute. Zur Arbeit bei ICMEC kam ich über meine Tochter. Sie lebt in den USA und hat sich dort mit der Bekämpfung von Kinderpornografie auseinandergesetzt. Ich selber hab vor etwas über zehn Jahren Behörden in Washington besucht. Es war für mich niederschmetternd zu sehen, was sich da im Dunkeln abspielt. Mir war rasch klar: Dagegen will ich etwas tun.
Sie sind pensioniert. Andere Rentner stehen mit bunten Hosen auf dem Golfplatz.
Ich könnte mich im Sessel zurücklehnen und sagen: Was kümmert mich das Böse, ich geniess das Leben. Nur: Das ist für mich keine Option, ich will mich einbringen – auch bei einem Thema, das nicht angenehm, ja abstossend ist. Wer beschäftigt sich schon gerne mit Produktionsprozessen von Kinderpornografie oder mit Kleinkindern, die wie Ausschussware weltweit verhökert werden?
Was treibt Sie an?
Ungerechtigkeit, Missbrauch. Es ist auch eine intellektuelle Herausforderung, mit meinen Mitteln und meinen globalen Kontakten möglichst viel Wirkung zu erzielen. Wir haben bedeutende Fortschritte gemacht. Bis vor ein paar Jahren konnte man per Klick die Vergewaltigung eines wahlweise drei- oder fünfjährigen Buben oder Mädchens bestellen und zum abgemachten Zeitpunkt wurde das Verbrechen live auf den Bildschirm geliefert. Bezahlt hat man mit Kreditkarte, strafbar wars nicht. Wir haben mitgeholfen, dies zu ändern.
Wie?
Die Handlungen wurden in Russland oder China vollzogen, die zahlende Kundschaft sass in der Schweiz oder in den USA. Wir bildeten die Financial Coalition Against Child Pornography, eine Kooperation von Banken, Kreditkartenfirmen, Technologiekonzernen, Behörden – mit dem Ergebnis, dass nicht mehr mit Kreditkarten bezahlt werden kann.
In vielen Ländern ist der sexuelle Missbrauch
von Kleinkindern tabuisiert oder geduldet.
Was tun?
Heute macht man sich in vielen Ländern strafbar, wenn man pornografisches Material mit Kindern kauft oder runterlädt. Die ICMEC trug mit Lobbying bei nationalen Behörden, im Europa-Parlament in Brüssel, im US-Parlament in Washington und bei Interpol zu einer Praxisänderung bei. In den letzten zehn Jahren wurden in fast 130 Ländern Gesetze eingeführt oder verschärft.
*Der Österreicher Franz Humer war von 1998 bis 2008 CEO und von 2001 bis 2014 Verwaltungsratspräsident des Pharmakonzerns Roche. Heute widmet sich der 71-Jährige jenen Dingen, die seine Neugierde wecken. Dafür pendelt er zwischen Zürich, Basel, London, Los Angeles sowie New York und engagiert sich in Healthcare-Startups, in der Krebsforschung, in Cybersecurity – und für den Schutz von Kindern.
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