Eine grosse Schönheit ihrer Generation, war und ist Inge Rodenstock eine auffällige Erscheinung. Zeit ihres Lebens hatte sie den Mut wie auch die Figur, die neueste (idealerweise Pariser) Mode zu tragen. Schon in ihrer schwäbischen Heimat fiel das auf; später in München wusste man es noch besser zu schätzen.
Dies war jedoch nur ein oberflächliches Zeichen ihres früh trainierten Auges, nicht zuletzt durch einen Salzburger Sommerkurs bei Oskar Kokoschka. Schon als blutjunge Kunststudentin musste sie lernen, dass sie Talent hatte, aber ihr künstlerisches Vermögen nicht ganz so gross war wie ihre Fähigkeit, die Kunst anderer zu erkennen, zu verstehen – und damit zunehmend sicher zu beurteilen. Familiär vorbelastet war sie nicht; ihre Eltern sammelten «überhaupt gar nicht», wie sie sich erinnert.
Als schwäbische Unternehmerfamilie hatte man sich daheim eher gewünscht, dass die Tochter Volkswirtschaft studierte. Hierfür zog sie nach München, um dort aber heimlich die Kunstakademie zu absolvieren. Als der Vater das herausfand, flog sie zu Hause raus; erst später konnte ihre Schwester im familiären Konflikt vermitteln. So besuchte sie erst die Münchner, dann die Düsseldorfer Akademie – «wo ich in der Klasse von K. O. Götz unter anderen mit Gerhard Richter die Schulbank drückte!».
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Früh zeigte sich neben dem guten Auge ihre überragende Netzwerk-Fähigkeit. «Es ist immer interessant, mit Künstlern befreundet zu sein, weil man mit denen nicht nur über deren eigene, sondern über alle Kunst sprechen kann» – diese Erfahrung hat früh ihren Umgang mit anderen Kunstinteressierten geprägt. Bis heute ist Inge Rodenstock ausserordentlich grosszügig, ihre Verbindungen zu teilen, und hat dadurch nicht nur ein beeindruckendes Netzwerk, sondern auch dauerhafte Freundschaften geschaffen.
Von einigen dieser Freunde hat sie viel gelernt, andere haben von ihrem Geschmack und zunehmend von ihrer Erfahrung profitiert. Sei es durch persönliche Ratschläge, sei es durch von ihr gestaltete Buchillustrationen, sei es durch ihre langjährige Kunstkolumne in der «Wirtschaftswoche». Das Kunstinteresse führte sie auf Reisen: Ausstellungen, Kunstmessen und -auktionen, nach Venedig oder Kassel. «Ab der zweiten Documenta habe ich jede gesehen.» Mit einem Fontana hat sie 1965 angefangen zu sammeln; prägend war für sie die Freundschaft mit Wolfgang Hahn, damals Kurator am Wallraf-Richartz-Museum in Köln.
Immer noch begeistert von seinem herausragenden Auge erinnert sich die Sammlerin vor allem an eine epochale New-York-Reise, die sie nicht nur in zahllose Künstlerateliers führte, sondern auch mit dem Sammler und Museumsstifter Peter Ludwig zusammenbrachte. So wie sie in Düsseldorf mit Alfred Schmela um die Häuser zog und dabei schon sehr früh Joseph Beuys kennenlernte. «Beuys war ein überraschend netter Mensch, der mich auch zu Hause besucht hat.»
«Immer nur aus Freude gekauft»
In dieser Zeit traf sie ihren Mann Rolf Rodenstock, der das Familienunternehmen zu einer Weltfirma für Brillen und optische Geräte entwickelt hatte und 1978 Präsident des Bundes der Deutschen Industrie (BDI) werden sollte. Eine nicht unkomplizierte Beziehung: Protokoll und Personenschutz waren Beschwernisse, bedeuteten aber auch Status und Genuss. Erst mit der Anerkennung der Künstler über die Jahre hatte er die Sammelleidenschaft seiner Frau zu akzeptieren gelernt, auch der Anstieg der Preise erleichterte ihm diesen Schritt – obgleich Inge Rodenstock jegliche Investment-Gedanken Zeit ihres Lebens fremd waren. «Anfangs hat sich mein Mann nicht besonders für Kunst interessiert, ja geradezu geschimpft, dass ich dafür Geld ausgegeben habe», erinnert sie sich.
Dabei hat Inge Rodenstock noch nicht einmal viel Geld für ihre Kunstwerke ausgeben müssen. Sie erinnert sich, wie sie das Gemälde von Cy Twombly für 2000 D-Mark erwerben konnte. Oder, «als es kaum Interesse dafür gab», die Anthropometrie von Yves Klein. Auch «The Ages» von Agnes Martin, erworben vom Düsseldorfer Galeristen Hans Mayer, war ein Kauf auf dem Primärmarkt. Vor allem zu Beginn war ihre Sammlung in höchstem Masse zeitgenössisch.
Erst später begann sie, auf Auktionen zu kaufen. «Ich habe etliches ersteigert und war für Jahrzehnte Zaungast der grossen New Yorker Abendauktionen, um zu verstehen, was die Menschen gerade interessiert», erinnert sich die Sammlerin; «in den letzten dreissig Jahren wurde die auf Auktionen gehandelte Kunst immer jünger.» Sie sieht sich hier als Vorläuferin, die sich nie um Dos and Don’ts scherte – «mir ging es immer nur um die Qualität des Werkes».
Jeff Koons' Hund
Die Geschwindigkeit des Auktionsvorganges entspricht ohnehin ihrem Wesen, sie liebt die schnelle Entscheidung aus dem Bauch heraus. Die war auch nötig beim Erwerb ihres Lieblingsstücks, einer geschnitzten Hundeskulptur aus Holz von Jeff Koons. Sie hatte den Künstler in New York kennengelernt. Begeistert von ihm und seinem Werk, wollte sie unbedingt eine seiner Arbeiten. Als sie dann den lebensgrossen «Bob-Tail» in der Berliner Galerie Max Hetzler sah, war es um sie geschehen. «Ich habe gar nicht erst versucht, den Preis zu verhandeln, was ich sonst immer tue», erinnert sich Inge Rodenstock. «Wenn ich etwas haben will, dann will ich das!» Den Charakter des Hundes als Selbstporträt des Künstlers findet sie regelmässig bestätigt, wenn sie den Künstler trifft: «Er fragt mich immer: ‹And how is Jeff?›»
Auf die Frage nach Lücken fällt ihr nur Roy Lichtenstein ein. Sein «Drowning Girl» von 1963 ist eines ihrer Liebligsbilder im New Yorker Museum of Modern Art. Leider waren derartige Lichtenstein-Werke schon damals für sie unerschwinglich. «Aber zu gerne wüsste ich, wer dieser Brad wohl ist, den die Untergehende nicht um Hilfe rufen will!» Mit dieser Lücke kann sie leben, Inge Rodenstock sieht Sammlungen ohnehin nur als Hafen auf Zeit. Zwar begeistert sich ihr Sohn sehr für Kunst und auch für das Sammeln, hat aber einen «ganz anderen Geschmack», was die Mutter durchaus gesund findet. Ein eigenes Museum interessiert sie nicht. Sie führt ein offenes Haus, ihre Sammlung ist in gewissem, von ihr kontrolliertem Masse ohnehin zugänglich.
Privatmuseen könnten langfristig schon aus Kostengründen nicht funktionieren, findet die Sammlerin. «Und ausserdem, da kommen dann doch auch Leute, die man gar nicht sehen will.» Und so wird Inge Rodenstock nicht als Museumsgründerin, sondern als grosse Kunstkennerin in Erinnerung bleiben – und als grosse Gastgeberin. Denn im Unterschied zu den meisten Damen der Kunstwelt hat sie ihre süddeutsche Lebenslust nie verloren und geniesst jedes Glas guten Weines oder auch Schnapses, kocht und bewirtet mit Bravour.
Das Lieblingsstück ihrer Partyvergangenheit? Ganz klar das Fest, das sie für Andy Warhol gegeben hat, als er 1977 zum Bemalen des BMW Art Car nach München kam. «Freunde haben lang geplante Reisen abgesagt, um dabei sein zu können», erinnert sie sich. In ihrem damals neuen Haus tanzten die Gäste auf den Tischen – ein Hauch vom Studio 54 in München-Grünwald...
Bisher in der Serie «Mein Lieblingsstück» erschienen: