Herr Dobelli, Sie warnen vor Gadgets, zweifeln am Smart Home, selbst E-Mails sind Ihnen ein Gräuel. Ihre Buchmanuskripte schreiben Sie auf der Schreibmaschine?
Rolf Dobelli*: Nein, aber ich habe nur einen einzigen Laptop und einen einzigen Hotspot. Keine Flut an Gadgets und schon gar kein vernetztes Zuhause.

Sie verweigern sich der Effizienz?
Im Gegenteil. Ivan Illich nennt es Counterproductivity, Antiproduktivität. Viele stürzen sich auf jede neue Technologie, auf das neueste Gadget, auf jede neue App, sind damit aber weniger effizient.

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Mit Mailen auch nicht?
Bei einer Vollkostenrechnung muss man auch den Zeitaufwand für Software-Updates, für die Finanzierung der Investitionen, für die Entsorgung von Spam in Rechnung stellen. Zudem muss man sich täglich durch eine Flut von unwichtigen Mails kämpfen, das kostet auch Zeit.

Sie verzichten also lieber?
Ohne E-Mail geht es ja leider nicht mehr. Das ist der Technikzwang. Ich verzichte nicht auf neue Technologien, aber ich wähle sehr gezielt aus und wäge Vor- und Nachteile ab. Und zwar nach Vollkostenrechnung. Aber richtig ist: Ich setze der Hektik der digitalen Welt eine moderne Art des Stoizismus entgegen.

Geht diese Rechnung für Manager auf?
Sicher. Gerade sie sagen ja immer, sie hätten keine Zeit. Oft wäre Nachdenken produktiver, als Tweets und Facebook-Posts zu verfassen.

Auf welche Effizienzsteigerung setzen Sie?
Ich orientiere mich gerne an der 5-Sekunden-Regel. Diesen Hinweis hab ich von Charlie Munger, dem Geschäftspartner von Warren Buffett. Er entscheidet in 5 Sekunden – in 99 Prozent der Fälle lautet die Antwort: nein.

Wer kann in 5 Sekunden wichtige Entscheide treffen?
Jeder. Die Standardantwort ist nein, dann überlege ich kurz, ob ich davon abweichen soll. Dafür ist die Hürde schon sehr hoch.

Einen Entscheid über den Kauf von Nestlé-Aktien kann man in 5 Sekunden treffen?
Nein, das geht nicht. Bei der 5-Sekunden-Regel geht es um Anfragen an Zeit, Anwesenheit oder Aufmerksamkeit. Beispiel: Eine Einladung zu einem sogenannten Netzwerk-Event. Mehr als 5 Sekunden schenke ich dem Ansinnen nicht und in der Regel lautet die Antwort: nein. Zur Nestlé-Aktie. Hier gilt, was man in den USA über IBM sagte: Nobody gets fired for buying IBM. Nestlé ist ein sicherer, aber todlangweiliger Wert, systematisch überbewertet, weil so gross, und damit zwangsläufig in allen Depots vertreten. Kein Fall für einen privaten Value-Investor. Viele Investoren orientieren sich an irrelevanten News, das sieht man schon daran, dass der Kurs ausschlägt, wenn Nestlé-CEO Mark Schneider irgendwo einen angeblich bedeutungsvollen Satz sagt. Das spiegelt das Verhalten von unqualifizierten Investoren wider. Sie lesen keine Bilanzen, keine Erfolgsrechnungen, stattdessen orientieren sie sich an Emotionen und am Umfeld.

Buchautor Dobelli als Anlageberater?
Nein. Mir ist zwar ein Anlageberater zugeteilt, aber der hat schon lange keine Freude mehr an mir. Ich mache mittlerweile höchstens drei Trades pro Jahr – eben weil ich die Positionen extrem langfristig halte. Wenn man einen Fulltime-Job hat, kann man gar keine andere Strategie fahren als ETF oder Value-Investing. Die Zeit für die Beschäftigung mit den Märkten fehlt.

Sie wettern auch gegen das Konkurrenzdenken und gegen den Neid der Manager. Sind diese nicht Leistungstreiber?
Ich wettere nicht und ich habe nichts gegen Konkurrenz, im Gegenteil. Ich halte aber Neid für die schlimmste Eigenschaft. Er ist eine moderne Seuche. Noch nie in der Geschichte der Menschheit haben sich mehr Menschen mit mehr Menschen verglichen.

Was kann man dagegen tun?
Man kann diese Gefühle ausschalten, auch dank einer modernen stoischen Haltung. Da gibts drei simple Grundsätze: Man darf sich nicht vergleichen mit Leuten, die gleich alt sind, denselben Job machen und in der Nachbarschaft leben. Wer sich nicht daran hält, wird an toxischen Emotionen leiden. Hinzu kommt die Fokussierungsillusion: Man vergleicht sich ja stets in einer einzigen Dimension – sei es Geld, Erfolg, Schönheit, Automarke, Anzahl gut geratener Kinder. Dabei vergisst man, dass es hundert andere Dimensionen gibt, die auch in die Qualität des Lebens einfliessen. In anderen Worten, wir überschätzen systematisch die Wichtigkeit dieser einen Dimension, in der wir unsere Vergleiche anstellen.

Was wäre vernünftiger?
Man muss sich als eigene Identität sehen, als seine eigene kleine Branche sozusagen. Besonders anfällig ist man übrigens, wenn jemand im Umfeld besonders schnell reich wird. Doch man muss wissen: Es gibt immer jemanden, der noch schneller reich wird.

Das tut weh...
Viel besser ist diese Haltung: Hinter dem Vermögenszuwachs liegt der reine Zufall. Diese Einsicht hilft über jeden Neid hinweg. Wenn jemand im Lotto 1 Million gewinnt, dann weiss jeder, dass er oder sie einfach Glück hatte. Neid kommt da ganz selten auf. Wenn man aber glaubt, das Ergebnis des anderen habe mit Leistung zu tun, dann schon. Doch wenn man Leistung auf die Grundfaktoren reduziert – Gene, Herkunft, Persönlichkeit und so weiter – ist man wieder beim Zufallsglück.

Topmanager haben ein Ego.
Kürzlich hielt ich einen Vortrag und fragte, wer vor zwanzig Jahren Konzernchef von Siemens war …

Heinrich von Pierer.
In der Runde erinnerte sich keiner. Was ich diesen Herren begreiflich machen wollte: Selbst als noch so brillanter CEO eines noch so bedeutenden Weltkonzerns wird man von der Bildfläche verschwinden, und zwar schneller als man denkt. So wird es auch mir als kleinem Autor gehen. Ego ist stets falsch am Platz. Bescheidenheit ist die einzig rationale Haltung.

Kann man das üben?
Indem man sich den Worst Case vor Augen hält. Ja, ich kann den Job verlieren, aber ich werde es unbeschadet überleben. Es ist nicht schlimm, wenn man eines oder beide Autos verkaufen muss. Das Glücksgefühl ist auch nicht abhängig von der Nettowohnfläche. Die Glücksforschung zeigt weiter: Geld macht bis zu einem bestimmten Punkt glücklicher, dann greift der abnehmende Grenznutzen. Hingegen zeigt die Forschung, dass ein Mehr an Freizeit ein enormer Glückstreiber ist. Ein CEO verdient zwar viel, steht dafür unter Dauerdruck, ist oft fremdbestimmt. Am Schluss resultiert netto ein Glücksverlust.

Die jüngere Managergeneration ist entspannter?
Da bin ich nicht sicher. Social Media, speziell Facebook, laden geradezu zum Vergleichen ein. Diese Hypercomperability via alle möglichen Scores und mit der ganzen Welt ist sehr anstrengend. Dabei sind die noch so spontan daherkommenden Posts und Schnappschüsse hoch inszeniert und sorgfältig ausgewählt. Da findet jeder einen Bekannten, dem es besser geht. Nein, Facebook ist eine riesige Neidmaschine.

*Rolf Dobelli (51) ist Autor und Kurator der World Minds, eine invitation-only community für führende Köpfer aus Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur. Er studierte Betriebswirtschaft an der Uni St. Gallen, promovierte in Philosophie und war Finanzchef einer Swissair-Tochterfirma, sowie Mitgründer des Verlags Get Abtract. Dobelli schreibt Romane und Sachbücher. Sein jüngstes Buch «Die Kunst des guten Lebens» bietet 52 Tipps für den Alltag.