Dieser Mann erinnert einen irgendwie an Jamie Oliver, den britsichen Wahnsinnskoch, der einen ganz kribblig macht, wenn man ihm nur fünf Minuten zuschaut. Martin Kull kommt aus einer Sitzung, die er aber schon zweimal unterbrechen musste, um zu telefonieren, wobei jedes Mal die Hoffnung genährt wird, mit dem Gespräch könne losgelegt werden.
Martin Kull kocht zwar nicht wie Jamie. «Das übernimmt meine Frau, niemand kann das so gut wie sie», sagt er lachend. Wenn er darauf angesprochen wird, ob er eigentlich noch etwas anderes als Grossprojekte entwickeln, planen und deren Finanzierung realisieren könne, dann fällt ihm spontan Skifahren ein. Wie langweilig, bekommt er zu hören, und ist nicht beleidigt. Auf die Frage, wieso er eigentlich einen so kommunen Sport betreibt, sagt er: «Ich gehöre nicht zu denen, die nur bei schönem Wetter Skifahren. Ich liebe es, um die Ohren zu frieren, das fordert.» Und dann die Surprise: Wohin verreist er denn in seiner Frühjahrs- und Herbstferien? «Mit der Familie nach Dubai, dort bevorzuge ich die grosse Hitze.» Dieser Mann scheint Extreme zu lieben.
Weitsicht und Verständnis
Visitenkarten von HRS finden sich in der ganzen Schweiz, aber Prunkstücke sind und bleiben das Home of FIFA in Zürich, die AFG-Arena in St. Gallen, die Bauten, insbesondere die künstliche Wolke an der Expo 2002 in Neuenburg oder das Dock B im Flughafen Zürich, das Postbriefzentrum in Mülligen, die PostFinance-Arena in Bern, der Neubau des 5-Sterne- Suitenbaus der Grand Resorts Bad Ragaz, das Zuger Kantonsspital in Baar oder das eigenwillige Mutterhaus von Strellson in Kreuzlingen. Die Liste könnte problemlos noch um viele Referenzen ergänzt werden.
Gebäude, welche die HRS konzipiert und realisiert, sind von einer subtilen Architektur, die durch ihren gekonnten Dialog mit ihrer Umgebung auffallen. Es sind Objekte, die dem Zeitgeist entsprechen und sich an die Bedürfnisse der Nutzer anpassen, und zwar auch dann, wenn sich diese im Laufe der Zeit verändern.
Immer öfter müssen Bauten konzipiert oder renoviert werden, die sich nicht nur als Gesamtkunstwerk verstehen und schön dastehen, sondern auch in einem Bezug zu den heutigen Gegebenheiten stehen. «Weitsicht und ein Verstehen der Bedürfnisse heute, morgen und übermorgen ist unabdingbar beim Bauen. Speziell bei Bauten, die Teile einer Städteplanung sind. Ein hoher Anspruch an alle Beteiligten - vom Projektentwickler, Investor bis hin zum Architekten. Und um dem zu genügen, bedarf es einer perfekten Zusammenarbeit. Jedes erfolgreiche Projekt ist das Resultat einer guten Teamarbeit», so Kull.
Wieso die Umfirmierung?
HRS präsentiert sich seit April 2009 mit neuem Namen HRS Real Estate AG. Wieso eigentlich? Der Name HRS Hauser Rutishauser Suter AG ist doch in der ganzen Schweiz - zumindest in der Bau- und Nebenbaubranche sowie in Investorenkreisen - bestens bekannt. «Stimmt schon», sagt Kull, erläutert dann aber, dass das Unternehmen zwar nach wie vor mit Gesamtdienstleistungen im Bau verquickt wird. Zum einen ging es darum, einen international verständlichen Firmennamen zu finden, zum andern sollte damit auch zum Ausdruck kommen, dass «wir unsere Kunden als engagierte Projektentwickler, Total- und Generalunternehmer oder Generalplaner von der ersten Idee über die Finanzierung bis zur Inbetriebnahme begleiten».
«Wir sind eine der letzten schweizerischen, inhabergeführten und national erfolgreich tätigen Unternehmungen. Der Kunde erwartet von uns Innovation, höchste Qualität, Tempo, Kostenbewusstsein, zielorientiertes und überlegtes Handeln und Wirken.»
Wurzeln in Siegershausen
Kull hält kurz inne und schaut einen Moment aus dem Fenster. Dort ist ein Projekt zu sehen, das heute schon als eine Art Gesamtkunstwerk gilt: Das Rathaus von St. Gallen. Einst eine gewagte Investition, weil dieses Hochhaus, eines der wenigen in der Ostschweizer Metropole, als Glanzstück der Architektur in die Baugeschichte hätte eingehen sollen.
Dann blätterten die golden wirkenden Fenster und Fassaden ab, ein Feuer im Parkhaus zerstörte später praktisch die gesamte Infrastruktur. Heute gehört das von HRS total sanierte Gebäude zu den Wahrzeichen der Stadt - anthrazitfarben, unübersehbar und dezent in das historisch gewachsene Bild zwischen den beiden Hügeln, dem Freuden- und Rosenberg, eingefügt.Wie wächst einer auf, der heute an der Spitze eines der erfolgreichsten Unternehmen in der Generalunternehmerbranche steht, das - trotz der schwierigen Wirtschaftslage - über volle Auftragsbücher verfügt? In «Siegershausen», einem kleinen Kaff auf dem thurgauischen Seerücken, finden wir Martin Kulls Wurzeln: Einen Bauernhof. «Meine Freizeit bestand darin, dass ich im Familienbetrieb mithelfen musste, heuen und melken, die Hausaufgaben wurden so nebenbei oder gar nicht erledigt. Die einzigen Vergnügungen bestanden aus Dorffesten, Reit- oder Grümpelturnieren, an denen ich mich regelmässig verwundete.»
Wollte der Vater nicht, dass sein Sohn als Landwirt arbeitete? «Wir waren drei Kinder. Keines wurde gezwungen, den Hof zu übernehmen. Vielleicht ein wichtiger Hinweis für viele, die sich mit Nachfolgeproblemen herumschlagen. Man muss den Kindern die Freiheit lassen, sich dem zuzuwenden, was ihnen Spass macht.»
Und das waren für Kull die Zahlen. «Ich sah alles, was ich wahrnahm, und das gilt noch heute, in Form von Zahlen.» Der erste Griff bei einem verlockenden Projekt oder irgendwelchen Visionen von designbegeisterten Architekten geht bei ihm zur Rechenmaschine. «Mit dem Rechner beginnt alles», sagt er und legt Hand an das immer gegenwärtige Gerät, akkurat platziert wie die beiden Handys, die er während des Gesprächs geschickt orchestriert. Eine Entschuldigung für Gesprächsunterbrüche zu erwarten ist müssig - der Mann ist buchstäblich unter Starkstrom.
«Bodeneben» geerdet
«Ich rechne rückwärts», sagt er. Dabei blickt er gleichzeitig vorwärts. Er beginnt bei den Zahlen, nicht bei Schönwetter-Prognosen für ein interessantes Projekt. Das hat sich über alle die Jahre bewährt und ihn schon ausgezeichnet, als er vor mehr als 20 Jahren bei HRS einstieg. Dabei half ihm, dass er seiner gesunden Jugend wegen - «bodeneben» - geerdet ist. Nach seiner Lehre als Tiefbauzeichner hat er die Ausbildung zum Bauingenieur abgeschlossen - und das Diplom mit der Bestnote erhalten. Ganz so nebenbei, hat er sich einen Teil des Studiengeldes mit Berechnungen von Bauprojekten für Dritte verdient.
Er arbeite mit Herzblut, das bringe ihn zu Höchstleistungen. So beschleunigte er bei HRS den 2004 eingeleiteten MBO, in einer Zeit, in der dieser Schritt für viele zu riskant erschien. Das Ziel, dieses Unternehmen gewissermassen in dritter «Generation» zu führen, wurde erreicht. Heute ist er CEO, Mitinhaber sowie Delegierter und Vizepräsident des Verwaltungsrates von HRS Real Estate AG. Und erfolgreich.
Eigentlich muss er sich manchmal ein bisschen wundern: Seine noch schulpflichtigen Kinder sind - das ist ein gutes Zeichen - voll von seinem feu sacré angesteckt und wollen in den Ferien oft gelungene HRS-Bauten besichtigen. Ob er sie später auch einmal frei entscheiden lässt, welche Laufbahn sie einschlagen?