Der TV-Restauranttester Daniel Bumann ist schockiert. Noch nie im Leben hat er einen solch miserablen Risotto gegessen. Er steht auf, schnappt sich den Teller mit dem grausig-gräulichen Brei und steuert energischen Schrittes die Küche an. Jetzt, denkt der Fernsehzuschauer, wird der Testesser den Koch derart zusammenstauchen, dass dieser Reiskörner nicht mehr von Maisgriess unterscheiden kann. Falsch getippt. Der Kritiker bleibt ruhig, bringt es aber gnadenlos auf den Punkt: So etwas servieren, undenkbar. Kein Wunder, kommen die Gäste nur einmal und nie wieder.

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Klar und knallhart – Bumann ist ein harter Brocken. Dennoch hält er beim Kritisieren Regeln ein. Eine der wichtigsten: Er bezieht sich stets auf einen konkreten Anlass und wählt für das, was er zu sagen hat, den passenden Rahmen. Beim Risotto-Rüffel war es ein Gespräch unter vier Augen. Schlimm und schädlich wäre es gewesen, den Koch in die Gaststube zu zitieren und ihn vor dem Servierpersonal und den Gästen fertigzumachen.

«Vor anderen kritisieren ist ein heikler Punkt», sagt Allan Guggenbühl, Leiter des Zürcher Instituts für Konfliktmanagement. Mitarbeiter fühlen sich schnell angegriffen, entblösst und gedemütigt. Was fast noch fataler ist, sie müssen um ihre Reputation fürchten. Jemanden öffentlich vorführen ist ein Unding, bekräftigt Businesscoach und Buchautor Volker Kitz. Zum einen drohe man das Gesicht zu verlieren, weil primär der Showeffekt im Vordergrund steht, zum anderen könne man so das Problem nicht lösen.

Vergleiche sind tabu

Richtig kritisieren ist eine Königsdisziplin, die längst nicht alle Vorgesetzten beherrschen. Zu den häufigsten Fehlern zählt, Kritik verallgemeinernd und vorwurfsvoll zu formulieren – etwa «Sie kommen ständig zu spät» oder «In Ihrer Abteilung läuft immer alles falsch». Das ist kontraproduktiv, weil der andere nicht weiss, auf welchen konkreten Vorfall sich die Kritik bezieht. Ausserdem beginnt er angesichts der Vorwürfe sofort, sich zu rechtfertigen.

Einen Mitarbeiter mit dem anderen vergleichen ist ebenfalls tabu, so nach dem Motto: «Frau Müller wäre das nicht passiert.» Laut Volker Kitz ist ein solcher Vergleich immer ungerecht, weil Frau Müller bestimmt andere Dinge nicht so gut kann. «Wer sich ungerecht behandelt vorkommt, ist grösstmöglich frustriert.»

Kommunikationsexperten warnen darüber hinaus davor, Probleme rein auf der sachlichen Ebene angehen zu wollen. Menschen haben auch Gefühle und Bedürfnisse (siehe Interview). Blenden wir beides aus, ist eine Lösung unmöglich. Empfohlen werden deshalb die Grundregeln der gewaltfreien Kommunikation: Beobachten, Gefühle ausdrücken, Bedürfnis mitteilen, Lösung vorschlagen. Ein konstruktives Kritikgespräch verliefe demnach nach folgendem Schema: «Sie wissen, dass mich Ihre Konzepte überzeugen. Sie trafen die letzten drei Mal aber zu spät bei mir ein. Das ärgert mich, wir kamen deshalb unter Stress und mussten Überstunden leisten. Ich möchte, dass Sie künftig pünktlich liefern. Ich schlage vor, dass wir die Abgabetermine von jetzt an schriftlich festhalten.»

Mehr über sich reden, wenn man andere rüffelt, empfiehlt Volker Kitz. Die sogenannten Ich-Botschaften seien zugegebenermassen Übungssache und erforderten Selbstbeherrschung. Es ist einfacher, seine Wut sofort abzureagieren mit wüsten Beschimpfungen oder spitzen Bemerkungen. Doch das verletzt und hinterlässt in Betrieben verbrannte Erde. Ein Grundsatz, welchen sich laut Allan Guggenbühl alle «gestressten Manager» zu Herzen nehmen sollten. Diese machten mit Ad-hoc-Entscheidungen und Zack-zack-zur-Sache-Kritik vieles kaputt. Denn eine weitere Regel lautet: Angemessen und fair kritisiert nur, wer dafür neben dem geeigneten Rahmen genügend Zeit einräumt.

Wolkiges und Weichgespültes

Ist beides gegeben, verträgt es ein offenes und ehrliches Wort, sagen Arbeitspsychologen. Allergisch hingegen reagieren Beschäftigte auf falsch verstandene Sozialkompetenz, auf Vorgesetzte, welche nur noch nett sein wollen und zu feige sind, Klartext zu sprechen. Wolkiges und Weichgespültes untergräbt die Autorität ebenso wie Einschmeicheleien und Lobhudeleien. Chefs, welche ein Kritikgespräch mit einer positiven Botschaft beginnen, sollten es ernst meinen damit und es möglichst konkret benennen, womit sie zufrieden sind. Das hat sich auch Testesser Daniel Bumann beherzigt. Er lobt nur, wenn es wirklich geschmeckt hat.

 

Wie es klappt: Goldene Regeln für gutes Feedback

Zeit und Ort
Warten Sie nicht zu lange, kritisieren Sie rasch. Suchen Sie einen Ort aus, an dem Sie nicht gestört werden. Wählen Sie einen Zeitpunkt, an dem der Kritisierte nicht sowieso schon unter Druck ist.

Inhalt
Vermeiden Sie persönliche Angriffe. Zielen Sie nie auf Charaktereigenschaften, sondern nur aufs Verhalten. Beschreiben Sie den Sachverhalt. Unterlassen Sie Interpretationen und Mutmassungen.

Tragen Sie Ihre Kritik knapp vor und lassen Sie dann den Betroffenen zu Wort kommen. Fordern Sie den Mitarbeiter auf, selbst Verbesserungsvorschläge zu machen. Diskutieren Sie Lösungsalternativen jedoch erst, wenn Sie sich über die Fakten des Vorfalls einig geworden sind. Beenden Sie das Kritikgespräch positiv.

 

Allan Guggenbühl: Psychologe, Buchautor, Zürich

Warum ertragen wir Kritik schlecht?
Allan Guggenbühl:
Wir alle haben ein geschöntes Selbstbild, eine rosarot gefärbte Vorstellung von dem, wie wir sind. Das ist normal, denn es lässt uns Dinge anpacken. Wir sagen uns: Ich mach das! Ich kann das! Ich schaff das! Deshalb sind wir auf Bestätigung aus. Kritik aber kratzt am Selbstbild und führt häufig zu einem Motivationseinbruch.

Nun kann es ein Chef ja schlecht beschönigen, wenn etwas schiefläuft.
Und eben damit hat er einen undankbaren Part zu erfüllen. Führungskräfte haben die Aufgabe, unrealistische Selbstbilder zu korrigieren. Das ist eine schwierige, wenn nicht die schwierigste Aufgabe eines Vorgesetzten und bringt ihn oft in eine einsame Position. Er hat eine Gratwanderung zu bewältigen. Auch gute Mitarbeiter machen Fehler, die zur Sprache kommen müssen.

Tut Kritik immer weh?
Wenn man sie zu deutlich anbringt oder ungeschickt vorgeht, ja. Heute wählt man gerne den Begriff Feedback, es klingt netter. Leider wird dies oft falsch verstanden. Feedback sollte nicht der Vertuschung dienen und dazu führen, dass die Kritik nicht gehört wird. Kritik kann einen Konflikt auslösen, jedoch auch einen Bewusstseinsprozess und eine Verhaltensänderung.

Gibt es Chefs, die sich vor dieser schwierigen Aufgabe drücken?
Das hat schon Firmen in Schieflage gebracht – oder sogar in den Konkurs getrieben. Oft wird beteuert, es werde eine Kritikkultur gepflegt, obwohl effektiv eine Konsenskultur vorherrscht.

Harmonie führt ins Verderben?
Teams und Chefs klopfen sich gegenseitig auf die Schulter, in der Hoffnung, so Dissens aus der Welt zu schaffen. Wenn man sieht, wie sich gewisse Firmen auf Fotos präsentieren, graut einem. Es wird suggeriert, alles sei super, die Zusammenarbeit klappe bestens und man sei gleichgestellt. Die Gefahr ist, dass dann Meinungsverschiedenheiten nicht ausgetragen werden, weil sie den Teamgeist stören.

Wie kritisiert ein Vorgesetzter richtig?
Kritik führt oft zu einer Emotionalisierung des Gegenübers. Ist der andere jedoch beleidigt, gekränkt oder wütend, nimmt er nichts mehr an, er macht zu. Dann erreicht ein Chef gar nichts mehr.

Also erst einmal loben?
Ein Vorgesetzter sollte überlegen, was er am Mitarbeiter schätzt, und es mitteilen. Er sollte einleitend betonen, dass er über eine bestimmte Leistung und Handlung sprechen will und der andere nicht als Person zur Debatte steht. Der Mitarbeiter muss merken, ich werde nicht einfach fertiggemacht. Dies funktioniert aber nur, wenn man es mit der Wertschätzung ernst meint.

Und wenn nicht?
Dann sollte sich ein Vorgesetzter fragen, ob er an einem Mitarbeiter festhalten will oder nicht. Falsches Lob wird schnell erkannt und ist fast so schlimm wie menschenverachtende Kritik. Oft wird sie bewusst als Taktik eingesetzt, um jemanden zu zerstören und hinauszuekeln. Und das ist nichts anderes als Mobbing von oben.

Interview: Vera Sohmer