Der Brief liegt geöffnet auf dem Tisch. Toni Manhart* hat nicht mit seiner Kündigung gerechnet. Nun steht er am Fenster seines Büros, das er mit seinem Kollegen jahrelang geteilt hat. Auf seinem furchigen Gesicht zeichnet sich der Frust ab. Manhart bat lediglich um Versetzung in einen anderen Raum, weil es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit seinem Arbeitskollegen kam. Doch die Anfrage bei seinem empfindlichen Chef wirkte anders als geplant. Der Vorgesetzte war froh, endlich einen Grund zu haben, Manhart loszuwerden.

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Viel tun kann der Entlassene nicht. Der Kündigungsschutz ist in der Schweiz noch immer schwach. «Eigentlich sind alle Gründe für eine Kündigung zugelassen», sagt Gabriela Riemer-Kafka, Professorin für Sozialversicherungs - und Arbeitsrecht an der Universität Luzern. Ungültig sind Entlassungen ausschliesslich, wenn sie innerhalb von Sperrfristen wie Krankheit, Mutterschaft und Militär erfolgen (siehe Kasten). Wenn also ein Chef seinem Mitarbeiter kündigen will, fällt ihm immer ein Grund ein: Eine Restrukturierung, verminderte Leistungsfähigkeit oder eine persönliche Unverträglichkeit.

Hanna Gubler* erlebte genau das. Als sie nach einem schweren Autounfall im Spital lag, schickte ihr der Chef am ersten Tag Schokolade und Blumen. Am zweiten folgte eine SMS: «Gute Besserung! Nun noch was anderes. Wir haben dir gekündigt.» Der Grund: Keiner. Als Gubler mit einem Anwalt beim Chef aufkreuzte, fand dieser plötzlich doch noch zwei Gründe, weshalb sie den Hut nehmen muss: Sie sei im Team unbeliebt und ihre Leistung stimme nicht. Gubler gab auf und musste die Kündigung akzeptieren.

«Kreative Kündigungsgründe»

Mit findigen Tricks Mitarbeiter loswerden, das kann man in Deutschland gar schon in Seminaren erlernen. Das Reportagemagazin «Panorama» des Fernsehsenders ARD recherchierte mit versteckter Kamera und setzte sich kürzlich in eine Veranstaltung zum Thema «So gestalten Sie kreative Kündigungsgründe». Anwälte für Arbeitsrecht dozierten vor Kaderleuten über «Kündigung langjähriger Mitarbeiter». Im Seminar fielen Zitate wie: «Behaupten Sie einfach, jemand habe gesehen, wie Ihr Mitarbeiter der Frau des Chefs an den Hintern gegriffen habe.» Und: «Im Zweifel hat man es halt falsch gedeutet.» Als die Reporter nachfragten, wiegelten die Dozenten ab.

Riemer-Kafka findet solche Seminare sehr fragwürdig. Sie hofft, dass diese Art von Weiterbildung die Schweiz nie erreichen wird. Doch verbieten könne man sie nicht. «Man muss sich immer bewusst sein, dass zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Interessengegensatz besteht und der Arbeitgeber in erster Linie den Erfolg seines Betriebs im Auge hat.»

Heikel kann es für Arbeitgeber nur werden, wenn sie ihre Pflichten nicht wahrnehmen. «Der Arbeitgeber hat beispielsweise für die Gesundheit und für eine gute Arbeitsatmosphäre besorgt zu sein», sagt Riemer-Kafka. Auch bei Mobbing, sexueller Belästigung und Diskriminierung muss der Vorgesetzte Massnahmen ergreifen, um seine Mitarbeiter zu schützen. So will es Artikel 336 des Obligationenrechts, der die missbräuchliche Kündigung sowie Aspekte der Fürsorgepflicht regelt.

Unter Beweispflicht

Aber wenn der Chef selbst Täter ist und einen Kündigungsgrund erfindet? Charles Donkor, Partner bei PricewaterhouseCoopers, rät, als Mitarbeiter den Sachverhalt eines Konflikts genau zu dokumentieren. «Die minutiöse Sammlung von Mails und Gesprächsnotizen kann für die Beweisführung eine grosse Hilfe sein, wenn es zu einer missbräuchlichen Kündigung kommt. Denn meist ist der Mitarbeiter unter Beweispflicht.»

Doch selbst bei einem Nachweis des Missbrauchs hat der Mitarbeiter seinen Job verloren. «Missbräuchliche Kündigungen sind gültig. Eigentlich müssten sie, weil sie gegen Treu und Glauben und somit gegen das Gesetz verstossen, nichtig sein», sagt Riemer-Kafka. Weil das Arbeitsverhältnis sehr persönlich ist und die betriebliche Flexibilität für den Arbeitgeber vorteilhaft, wird die Kündigungsfreiheit hochgehalten. Mehr als eine Entschädigung gibt es nicht.

Kürzlich schickte der Bundesrat eine OR-Teilrevision in die Vernehmlassung, welche die maximale Entschädigung von sechs auf zwölf Monatslöhne erhöhen will. Vor allzu grossen Erwartungen warnt aber Donkor: «Auch wenn die Revision in Kraft treten sollte, werden missbräuchliche Kündigungen nicht aussterben.» Zudem könne auch mit einer sauberen Beweisführung ein Missbrauch nicht immer nachgewiesen werden. Im Fall von Toni Manhart entschied das Bundesgericht, die Kündigung sei missbräuchlich. Denn er hatte ausschliesslich Forderungen gestellt, zu denen er berechtigt war. Er erhielt eine Entschädigung von 13 000 Franken.
* Namen geändert

Kündigungsschutz

  • 1. Persönliche Eigenschaften des Arbeitnehmers (Alter, Zivilstand, belanglose Vorstrafen).
  • 2. Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag (Rachekündigungen).
  • 3. Ausübung verfassungsmässiger Rechte (insbesondere Koalitionsrecht).
  • 4. Zugehörigkeit zu einem Betriebsrat, Stiftungsrat oder Ähnliches.
  • 5. Militärdienstpflichterfüllung.
  • 6. Gewerkschaftszugehörigkeit.