Reto Francioni (55) scheut das Rampenlicht wie kein anderer Chef eines deutschen Konzerns. Öffentliche Auftritte bestreitet er nur ungern und extrem selten. Der Aargauer, der seit 2005 der Deutschen Börse vorsteht, präferiert eher die ruhige Gangart. Seine unaufgeregte Art provoziert daher in Frankfurt Kritik. Fehlende Konzepte und Visionen werden ihm nachgesagt. Die Deutsche Börse arbeite immer noch in einer Struktur, die Francionis Vorgänger Werner Seifert vor mehr als zehn Jahren entwarf. Dabei hatte Francioni manches versucht, um den Konzern nach vorne zu treiben – vergeblich. Die Fusion mit der Vierländerbörse Euronext floppte, und nach dem Kauf der US-Optionsbörse ISE mussten mehr als 800 Millionen Euro abgeschrieben werden.
Daher waren viele überrascht, als der promovierte Jurist die Fusion mit der US-Börse NYSE ankündigte. Für Francioni jedenfalls lohnt es sich allemal. Zuletzt verdiente er 2,5 Millionen Euro, als Chairman der Megabörse kann er das Tagesgeschäft einem Amerikaner überlassen – und dennoch rund 500 000 Franken Salär beziehen. Die Deutschen sollen laut Fusionsvertrag nur kurzfristig eine Sitzmehrheit erhalten, langfristig droht die US-Dominanz. Denn ab 2016 ist die Machtverteilung offen: Francioni ist dann 61 – und reif für die Pension.
Die Freunde
Verlässliche Freunde sind Schweizer: Francioni kann auf Josef Ackermann zählen, den Deutsche-Bank-Chef. Beide gehörten lange zum Schweizer Heimwehclub (SHC), der mangels Nachwuchs aber leidet. Engen Kontakt hält er mit den Frankfurter Bankenchefs, seinen wichtigsten Kunden. Das Netzwerk Reto Francionis bröckelt: Der Hedge-Fund-Manager Christopher Hohn, der ihn zur Deutschen Börse holte, verliert in der Finanzwelt an Einfluss. Verlässliche Kollegen sind Rainer Roubal, der frühere Chef der Frankfurter Kursmakler und noch immer graue Eminenz am Finanzplatz, sowie Roland Koch, der frühere Ministerpräsident des Bundeslandes Hessen. Seit Kochs Wechsel zum Baukonzern Bilfinger Berger ist Francionis Draht in die Politik abgerissen. Kochs Nachfolger Volker Bouffier kennt Francioni kaum. Einer seiner engen Wegbegleiter im Hintergrund, der schillernde Spindoktor Norbert Essing, ist inzwischen eine Last: Gegen den PR-Berater ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der Nötigung. Essing soll einen früheren Klienten mit einem anonym versendeten Fax als Pädophilen verleumdet haben. Er wolle seinen Berater nicht vorverurteilen, verteidigte Francioni das Mandat an der letzten Generalversammlung gegen Proteste.
Die Gegner
Lange galten der frühere Börsenchef Werner Seifert und Francioni als schlagkräftiges Tandem: Von 1993 bis 1999 zogen die beiden an einem Strick. Seifert war Chef und Francioni zuletzt sein Vize. Beim Versuch, das Unternehmen mit der London Stock Exchange zu verschmelzen, überwarfen sie sich. «Francioni war Seifert zu langsam, zu behäbig», sagt ein Verhandlungsteilnehmer. Die Freundschaft gibt es nicht mehr. Und die Beziehung zum Zürcher Anwalt Peter Nobel, der als Baumeister der erfolgreichen Derivatebörse Eurex gilt, ist nur noch «ein ganz normales Arbeitsverhältnis», wie der Jurist sagt. Nobel kämpfte damals gegen Francionis Interessen. Und die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth ist empört, weil Francioni erst IT-Arbeitsplätze nach Tschechien verschob und dann den Konzernsitz in den Vorort Eschborn verlegte. So entgeht der Stadt Frankfurt nun jährlich ein zweistelliger Millionenbetrag an Steuereinnahmen.
Die Schweizer Connection
Francioni baut in der Schweiz auf sein militärisches Netzwerk. Als er 2002 seinen Job bei der flotten, aber ziemlich erfolglosen Brokerbank Consors hinschmiss, konnte er auf seinen Militärkameraden Jörg Fischer, Ex-Chef bei der Bank Vontobel und früher VR-Präsident der SWX, bauen. Sein Freund und Förderer stellte ihn wieder auf die Füsse und brachte ihn bei der SWX unter. Eine verlässliche Schweizer Verbindung ist der Zürcher Verleger und Mäzen Hans Heinrich Coninx (Tamedia), auch wenn sie sich schon länger nicht mehr gesehen haben. «Wir reden übers Fischen, nicht über die Börse», erzählt Coninx. Ebenfalls vom Militär kennt Francioni Marc Zahn, heute Chef der Centrum Bank in Zürich, einer Privatbank der Vaduzer Treuhänderfamilie Marxer. «Er war vor 20 Jahren mein Trauzeuge», erzählt Zahn. Die beiden sehen sich regelmässig.
Die Karriere
Am Anfang stand die Armee. Als 30-Jähriger führte Francioni ein ganzes Regiment. Das prägte ihn. «Die Soldaten akzeptieren einen nicht, wenn man nicht ganz klar sagt, wo man hinwill und was man möchte», erinnert er sich. Als Speerwerfer schaffte er es in frühen Jahren sogar bis in die Nationalmannschaft. Nach seiner Dissertation diente er bei der UBS und der Credit Suisse, anschliessend bei Roche. 1993 folgte der Wechsel zur Deutschen Börse, bis er nach einem Streit mit dem damaligen Chef Werner Seifert ausschied. Er wechselte als Co-Chef zum Nürnberger Online-Broker Consors, wo ihm der Gründer Karl Matthäus Schmidt eine berufliche Heimat bot. 2002 wurde er als VR-Präsident der SWX eingesetzt, und im Herbst 2005 kam der Ruf nach Frankfurt.
Die Familie
Francioni pendelt an den Wochenenden nach Brugg AG – mit der Bahn, denn einen Autofahrausweis hat der Vater zweier Söhne nicht. Im Aargau lebt er mit seiner Gattin Karin, einer ausgebildeten Pianistin, in einer schmucken Villa. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder. Die beiden kennen sich schon aus der Schulzeit, die Ehe hält seit mehr als 25 Jahren. Wenn Francioni eine Auszeit braucht, dann geht er angeln. Oder ins Ferienhaus im Burgund. Er liest am liebsten Philosophisches von Ludwig Wittgenstein. Oder ein Uhrenmagazin. Armbanduhren sind seine Schwäche, unauffällige, versteht sich. Zurzeit trägt er eine weissgoldene Patek Philippe Calatrava. «Die halten ewig», sagt er.
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