Sein wirklicher Arbeitstag beginnt, wenn seine Leute Feierabend machen. «Dann habe ich endlich Zeit für meinen Job», sagt Markus Fricker*. Der 40-jährige Bankmanager führt ein Team mit mehreren Dutzend Mitarbeitenden und verwaltet Milliarden an Kundengeldern. Er verwaltet sie gut. Besser als sich selbst jedenfalls. «Einen Herzinfarkt hatte ich schon. Aber schliesslich bin ich ja verantwortlich für den Laden.»

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Fricker steckt in der «Monkey-Falle». So bezeichneten 1974 die beiden Managementberater William Oncken Jr. und Donald L. Wass in der «Harvard Business Review» ein Phänomen, das in der Arbeitswelt weit verbreitet ist. Ein Mitarbeitender hat ein Problem – oder eben einen Affen, der auf seiner Schulter sitzt. Damit geht er zum Chef, der Affe springt auf dessen Schultern. Und schon ist der Mitarbeiter sein Problem los und der Chef hat eines. Beziehungsweise über kurz oder lang viele, die seine ganze Zeit fressen.

Meist sind die Chefs selbst die Auslöser. Viele gefallen sich besonders beim Stellenantritt in der Rolle des Alleskönners. Schliesslich müssen sie beweisen, dass sie den Job zu Recht bekamen. Doch Chefs, die alles allein machen wollen, alles besser können, ihren Leuten kein Vertrauen schenken, keine Eigeninitiative zulassen, alles kontrollieren oder nicht delegieren können – solche Chefs tun sich und ihren Mitarbeitenden keinen Gefallen. Sie gehen mittelfristig unter in der Affenflut. Die Mitarbeitenden werden zuerst entmündigt, danach faul und zuletzt hilflos.

Nur einer trägt noch Verantwortung

Wer sein Team nicht für voll nimmt, darf sich auch nicht wundern, wenn die Leute nicht voll mitarbeiten. Wieso sollten sie auch? Wird ja ohnehin alles nochmals über den Haufen geworfen. Einem Chef, der alles selber in die Hand nimmt, um ihm den letzten Schliff zu geben, dem kann man gleich Halbfertiges abgeben. Schnell gewöhnt sich die Belegschaft an den Komfort. Ohne Rücksprache geht dann bald gar nichts mehr und nur noch einer trägt die Verantwortung für sämtliche Halb- und Fertigprodukte – der Chef, der immer wichtiger wird und sich auch so fühlt.

Die Folge: Die Mitarbeitenden werden zunehmend abhängig und verlieren die Eigeninitiative. Sie laden immer noch mehr Affen beim Chef ab. Man spricht von Rückdelegation. Und je mehr Probleme der fremdgesteuerte Chef lösen muss, desto mehr Probleme entstehen. Oder wie Monkey-Business-Erfinder Oncken, sagt: «Je mehr er aufholt, desto weiter fällt er zurück.» Vor lauter Affen sieht der Chef am Ende den Wald nicht mehr.

Monkey Business beginnt harmlos, wächst sich aber bald zu einem Teufelskreis aus. Sobald der Chef erkennt, was falsch läuft, verstärkt er den Druck auf seine hilflos gewordenen Mitarbeitenden, die offensichtlich keine eigene Initiative mehr zeigen. «Es ist ungefähr so, wie wenn eine Mutter bis ins Erwachsenenalter für ihren Sohn wäscht, ihn bekocht und ihn in jeder Hinsicht bemuttert. Urplötzlich macht sie ihm dann seine Unselbstständigkeit zum Vorwurf», beschreibt der Managementtrainer Jan Roy Edlund die Situation. Der Buchautor und Partner der Human Resources International in Küsnacht ZH machte Monkey-Management zu seinem Arbeitsinhalt.

Die Folge ist Verunsicherung im Team. Diese führt dazu, dass sich die Mitarbeitenden noch mehr absichern wollen. Indem sie noch mehr Affen zum Chef tragen. Bis dieser kollabiert. Damit das nicht eintritt, muss der Chef sich zum Monkey-Manager entwickeln. Das heisst, er muss aus dem Teufelskreis ausbrechen. Das Abblocken der Affen reicht nicht aus, um Herr der Lage zu werden. Mitarbeiter, die ihren Chef nicht mehr zu Gesicht bekommen, fangen zwar gezwungenermassen an, selbstständig zu werden, doch das führt in der Regel zu zwei Problemen, wie Edlund warnt. Zum einen kommen ohne die Monkeys auch keine Informationen mehr zum Chef, zum anderen fühlen sich die Mitarbeiter allein gelassen.

Das Phänomen des Monkey Business wird auch Mikromanagement genannt. Ein berühmter Vertreter dieser Führungsschule war der verstorbene Apple-Chef Steve Jobs. Er war berüchtigt dafür, dass er sich intensiv um zahllose Details kümmerte, die überhaupt nicht zu seinen Aufgaben gehörten. Doch ebenso war er bekannt dafür, dass seine Leute vor Begeisterung für ihn durchs Feuer gingen. Was also ist das Geheimnis, damit die Affen nicht die Oberhand gewinnen?

Für Oncken und Wass ist der Fall klar: Jeder Affe, der das Chefbüro betritt, verlässt es auch wieder. Das heisst, das Problem wird zwar besprochen, aber zur Weiterbearbeitung nicht an den Chef rückdelegiert, sondern dem Mitarbeitenden zurückgegeben. Damit dieser es löst.

Unterstützen und befähigen

Chefs müssen sich in ihrer Führungsaufgabe um ihre Leute kümmern, sie müssen unterstützen, befähigen, ernst nehmen. Dafür müssen sie viel Zeit einsetzen. «Manchmal mehr, als sie brauchen würden, um die Probleme zu lösen», weiss der amerikanische Führungsspezialist Stephen Covey. «Was jedoch nicht bedeutet, dass jeder jederzeit auf den Chef zugehen kann», ergänzt Edlund. «Ein Chef im Grossraumbüro ist ein Unding, ein Chef, der permanent die Türe offen hat und unterbrochen werden darf, ebenso.»

Damit die Führung durch den Chef funktioniert, muss der gegenseitige Umgang organisiert werden. Oncken und Wass treffen den Nagel auf den Kopf: «Die Affen werden zurückkommen – aber nur auf Verabredung.»

* Name geändert

Interview mit Jan Roy Edlund: Autor und Managementtrainer

Ist es Unfähigkeit oder Stolz, dass so viele Chefs in die Affenfalle tappen und sich nur noch um die Probleme ihrer Mitarbeitenden kümmern?

Jan Roy Edlund:
Meistens ist es weder noch. Doch in vielen Firmen wird viel zu viel Fokus auf den Sachkontext gelegt. Der «Führungsteil» läuft bei fast allen Managern «irgendwie intuitiv» mit, wurde «irgendwie erlernt» und kann, weil unklar, auch nicht zielführend instrumentalisiert werden.

Wie viele Chefs sind von diesem Phänomen denn betroffen?
Aus meiner Erfahrung in der Arbeit mit mehr als 35000 Managern in den letzten 20 Jahren ist fast jeder zweite merklich vom Monkey Business betroffen. In der eigentlichen Affenfalle befinden sich zirka 20 Prozent der Manager. Die Führungskraft steckt dabei so tief drin, dass sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Paradoxerweise kommt es dabei zu einem Phänomen, das ich Führungsumkehr nenne. Die Mitarbeitenden kontrollieren fortan den Chef: «Chef, sind Sie schon dazu gekommen?»

Welche Chefs sind besonders gefährdet?
Gefährdet sind vor allem Chefs, die Angst haben, Kontrolle abzugeben, solche, die mit Gewalt ihren Wissensvorsprung halten wollen, aber auch Manager, die meinen, ihre Führungsaufgabe bestehe darin, die Probleme ihrer Mitarbeiter zu lösen oder ihnen aus Fairness einen Teil der Arbeitslast abzunehmen. Der Manager verhält sich dabei wie ein Trainer, der sonderbarerweise selbst auf dem Spielfeld mitspielt. Das ist aber mitnichten seine Aufgabe.

Was sind die untrüglichen Warnsignale?
Wenn Sie für Ihr Geschäft wichtige strategische Themen nur noch in Randstunden, am Wochenende oder gar im Urlaub erledigen können oder wenn Sie das Gefühl haben, dass der Berg an operativen Themen trotz harter Arbeit nie aufhört zu wachsen – dann sollten Sie beginnen gegenzusteuern, also 10000 Meter Reiseflughöhe gewinnen und über das Grundsätzliche nachdenken.

Bis hierher und nicht weiter. Wo ist die Grenze?
Die letzte Grenze setzt meist der Körper, was als Burn-out bezeichnet wird. Ob es sich nun um Tinnitus, Herzinfarkt, Diabetes handelt oder der Manager morgens völlig bewegungsunfähig im Bett liegt und ins Spital transportiert werden muss – hier habe ich im Top-Management- Coaching schon fast alles erlebt. Dabei kommt es fast immer zu folgendem Phänomen: Der Manager wird durch seine krankheitsbedingte Abwesenheit gezwungen, endlich loszulassen.

 

Der Mechanismus: Die acht Stufen der Affentreppe

  1. Der Chef hat Freude und Energie, will alles wissen, überall mitreden und hat für alle und alles Zeit. Winwin- Situation für beide Seiten.
  2. Die Mitarbeitenden geniessen diesen Zustand und gehen mit jedem Detail zum Chef. Sie verlieren die E igeninitiative und werden abhängig.
  3. Rückdelegation: Die Mannschaft wird immer bequemer und lädt immer mehr Affen beim Chef ab.
  4. Der Chef wird zunehmend fremdgesteuert, anstatt sich um seine Ziele kümmern zu können.
  5. Die Monkey-Falle schnappt zu: Vor lauter Affen hat der Chef keine Zeit mehr, sich dieser zu entledigen.
  6. Der Chef erkennt das Dilemma und wird frustriert. Er steigert den Druck auf die vermeintlich unfähigen Mitarbeitenden, die nichts allein tun.
  7. Noch mehr Rückdelegation: Die Mitarbeitenden sind verunsichert, wissen nicht, was von ihnen jetzt plötzlich erwartet wird und kennen keine andere Lösung mehr, als alle neuen Affen ebenfalls zum Chef zu tragen.
  8. Der Chef klappt zusammen unter dem Affenberg: Burn-out.