Die Anzahl Fusionen und Akquisitionen (M&A) steigt im angefangenen Jahr weiter. Wird der Trend zur Reduktion von Markenportfolios anhalten oder sich gar verstärken?
Stephan Feige: Das ist stark zu vermuten. Es gibt Unternehmensfusionen, bei denen die geführten Marken nicht angetastet werden, etwa wenn Anbieter in neue Märkte einsteigen und die dort geführten Marken der Grund für die Akquisition sind. In der Regel wird aber bei einer Akquisition oder einem Merger auch das Markenportfolio bereinigt, das heisst reduziert. Daneben wird der anhaltende Kosten- und Ertragsdruck auch ohne Unternehmensfusionen weitere Unternehmen dazu bewegen, noch fokussierter, also mit weniger Marken auf dem Markt aufzutreten.
Wie wird bei Fusionen und Übernahmen heute mit der Markenfrage umgegangen?
Feige: Es gibt alle Fälle, einige Unternehmen geben mit der Fusion auch gleich die neue Markenstrategie bekannt, wie das bei der Fusion von Zschokke und Batigroup zu Implenia oder bei der Akquisition der Banco di Lugano, Ehinger & Armand von Ernst und Ferrier Lullin durch Julius Bär zu beobachten war. Andere lassen sich mit der Markenstrategie meines Erachtens richtigerweise mehr Zeit. Inhaltlich gibt es ebenfalls zwei Wege. Häufiger wird eine Marke «geschluckt», das heisst, die grössere oder übernehmende Gesellschaft führt ihre eigene Marke weiter und verzichtet auf die kleinere oder akquirierte Marke.
Gibt es Trends in der Markenentwicklung bei M&A? Welche Folgen gibt es langfristig?
Feige: Wenn sich Unternehmen auf Augenhöhe treffen, gibt es eine Tendenz, eine neue Marke zu schaffen, um den Mitarbeitern nicht den Eindruck zu geben, übernommen worden zu sein. Meines Erachtens wird die Wichtigkeit einer neuen Marke hier jedoch überschätzt. In einem Fusionsprozess gibt es viele Gründe, ein Unternehmen zu verlassen, und die Markenstrategie ist eher ein nachgelagerter Grund. Unter dem Strich werden die grossen und starken Marken noch stärker, kleinere werden zunehmend von der Markenlandkarte verschwinden.
Wie beurteilen Sie beispielsweise das Re-Branding von Pick Pay zu Denner?
Feige: Bei der Übernahme von Pick Pay durch Denner dürfte die Markenstrategie von vornherein klar gewesen sein. Man wollte einen einzigen starken Discounter in der Schweiz schaffen, der eine bessere Position gegenüber den damals in Planung befindlichen internationalen Discountern Aldi und Lidl hat. Die Botschaft war mit «billiger» bei beiden Anbietern die gleiche; starke emotionale Bindungen an die Marken gab es vermutlich nicht. Das Re-Branding von Pick Pay zu Denner wurde rasch und effizient umgesetzt, und im Ergebnis wird Denner kaum Kunden verloren haben. Die Markenführung ist heute sicher effizienter als die beider Unternehmen vorher.
Wie könnte sich das Verhältnis der Marken bei Orange/Sunrise entwickeln?
Feige: Die vermutlich kommende Fusion von Orange und Sunrise wird sicher spannender. Beide Unternehmen verfügen noch über eine Anzahl Submarken wie etwa Optima, Maxima und X-treme bei Orange oder Prontomax, Zero und take away bei Sunrise. Daneben hat Orange sich lange Zeit dem Pure Play, das heisst der Fokussierung auf Mobilfunkangebote, verschrieben. Die starke emotionale Verankerung bei den Kunden von Orange dürfte in den letzten Jahren aber erodiert sein. Es steht zu vermuten, dass die Marke Sunrise auch eher verschwindet, allerdings kaum so schnell wie Denner, allein schon wegen vieler in Umlauf befindlicher SIM-Karten und anderer technischer Anforderungen. Inwieweit es Orange gelingt, den Kundenverlust bei den Sunrise-Kunden gering zu halten, wird vom Geschick des Managements abhängen.
Was müssen Firmen markentechnisch bei Fusionen und Akquisitionen beachten? Welches sind Fallgruben?
Feige: Zum einen ist immer der Status der Marken, das heisst die Bekanntheit und das Image bei den Kunden, zu beachten. Auch wenn man vorhat, eine Marke aufzugeben, sollte man sicher wissen, was man aufgibt. Im Weiteren geht es nicht um den Wert einer Marke in der Vergangenheit - sonst dürfte man kaum je grössere Marken aufgeben -, sondern um den Beitrag der Marken zur Strategie der Zukunft. Das Kriterium bei der Entscheidung für eine oder mehrere Marken muss immer die Frage sein, ob die Differenzierungsvorteile, also die Möglichkeit, mit zwei Marken den Kunden massgeschneidertere Angebote zu bieten, die zusätzlichen Kosten für die Führung von zwei Marken übersteigen.
Werden bei Fusionen Markenentscheide häufig überstürzt getroffen?
Feige: Zu wünschen ist, dass die Markenstrategie im Rahmen einer Fusion mit der gleichen Sorgfalt entwickelt wird wie ansonsten auch. Es handelt sich um Entscheidungen mit einer Tragweite vieler Jahre und in der Regel substantiellen Folgen für die Effektivität und die Effizienz der Kommunikation. Häufig wäre es vermutlich gut, diese Frage im Detail aus den Fusionsverhandlungen auszublenden und auf die Zeit nach der Vertragsunterzeichnung zu verschieben, wenngleich auch hier Unsicherheiten für die Mitarbeiter existieren, die schnellstmöglich beseitigt werden sollten.
Sind Marken eher überbewertet, da kurzlebiger? Oder werden sie im Gegenteil wichtiger, weil ihre Anzahl abnimmt?
Feige: Marken sind heute sehr wichtig und werden eher noch wichtiger. Der Wettbewerb um die Kunden wird sicher noch intensiver und die Produkte tendenziell noch austauschbarer. Damit steigt die Bedeutung der Marke als im Extremfall letztes nicht kopierbares Unterscheidungsmerkmal.