Punkt zwölf Uhr. Nach einem anstrengenden Morgen und vor einer wichtigen Präsentation am Nachmittag stellt sich die Frage nach der Verpflegung. Der Magen knurrt. Doch lohnt es sich überhaupt, in die Kantine zu gehen, 20 Minuten anzustehen, hastig etwas zu essen, ein wenig zu plaudern, um später vor dem Computer einzunicken?

Diese Frage beschäftigt fast jeden Angestellten jeden Tag. Eigentlich ist die Antwort eindeutig: Ab in die Kantine! Es ist bekannt, dass ein Zuckermangel die mentalen Prozesse verlangsamt und die Produktivität senkt. Doch überfüllte Räume, wenig Auswahl, ungeniessbare Gerichte und vor allem das befürchtete Leistungstief nach einer unausgewogenen Mahlzeit vermiesen vielen den Kantinenbesuch.

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Regelmässige Gesundheitstests

Dabei befassen sich immer mehr Firmen mit der Ernährung im Job und damit mit ihren Personalrestaurants. Wie die Internationale Arbeitsorganisation kürzlich in einem Bericht über Ernährung am Arbeitsplatz bekannt gab, geht die Kurve der Investitionen in die Verpflegung der Mitarbeiter seit zehn Jahren nach oben. Inzwischen ist die Kantine für viele Geschäftsführer zu einem wichtigen Instrument geworden – und zwar nicht nur aus Mitgefühl mit den Angestellten, sondern weil ein Unternehmen mit einer durchdachten Ernährungspolitik viel Geld sparen und seine Mitarbeiter gezielt unterstützen kann.

Ein gutes Vorbild gibt Unilever Schweiz ab. Dank einem Programm für eine ausgewogene Ernährung in seinen Unternehmensrestaurants konnte der Konsumgüterriese in zwei Jahren etwa 450 000 Franken an Krankschreibungen sowie Gesundheitsfürsorge sparen, erklärt ein Sprecher. Für jeden Franken, welchen das Unternehmen in die Verpflegung der Mitarbeiter investiert, bekomme es das Vierfache zurück. Dabei geht es nicht darum, die Mitarbeiter nur mit Rohkost und Quinoa zu füttern. Die Unilever-Angestellten unterziehen sich sogar regelmässig einem Gesundheitstest, auf dessen Basis ihr Ernährungsplan ausgearbeitet wird. Damit soll auch der Produktivitätsverlust durch Herz- und Kreislaufkrankheiten minimiert werden.

Die Swisscom investiert in die Verpflegung

Auch Swisscom investiert seit 2006 zunehmend in die Verpflegung der Mitarbeiter. Einmal pro Jahr organisiert das Telekomunternehmen eine Mitarbeiterumfrage zum Kantinenangebot. Vor allem wird darauf geachtet, dass die Kantine regionale und saisonale Produkte serviert. Mit einem Blick können die Kantinengäste ausserdem feststellen, ob das Angebot gut für die Gesundheit ist. Denn die Speisekarte zeigt für jedes Gericht nicht nur die Kalorienmenge, sondern verweist mittels eines Pluszeichens auf besonders gesunde und ausgewogene Optionen.

Dieser Trend zu gesünderer Kost macht Mitarbeiter zwar fitter, bringt den Firmen aber erst mal auch höhere Kosten, sagt Hans Boesch, Chef Schweiz des Catering-Spezialisten Compass. «Arbeitnehmer und Arbeitgeber kommen zu uns mit sehr klaren Forderungen; vor allem wird darauf geachtet, dass die meisten Produkte frisch und regional sind.» Das koste aber: «Eine Schweizer Bratwurst kostet doppelt so viel wie eine aus Brasilien», so Boesch. Der Cateringexperte schlägt vor, dass sich in den Firmen Unternehmen und Mitarbeiter die höheren Kosten teilen, um gesünder essen zu können. «Je besser Mitarbeiter über die Grundlagen einer korrekten Ernährung informiert sind, desto bereiter sind sie, mehr Geld in der Kantine auszugeben.»

Schauder für Schnitzel-und-Pommes-Liebhaber

Wie kann man aber sicher sein, dass das Geld, das in die Kantine fliesst, gut investiert wird? Mit dieser Frage hat sich eine Gruppe Ernährungswissenschafter von der Berner Fachhochschule für Gesundheit beschäftigt. Herausgekommen sind Qualitätsstandards für eine «gesundheitsfördernde Gemeinschaftsgastronomie». Die Vorstellung von immer höheren Ernährungsstandards mag den Schnitzel-und-Pommes-Liebhabern einen Schauder über den Rücken jagen. «Uns geht es nicht darum, die Kantinengäste zu bevormunden oder ihnen etwas zu verbieten beziehungsweise aufzuzwingen», so Corinna Krause, eine der Koordinatorinnen des «Good Practice»-Projekts, das die Umsetzung der Qualitätsstandards überprüft. «Man kann in der Mittagspause Schnitzel und Pommes essen.

Wichtig ist, dass die Zutaten frisch sind und mit wenig Fett und Salz zubereitet werden.» Laut den «Good Practice»-Teams hat sich die Lage in den Kantinen in den letzten Jahren deutlich verbessert. Optimal ist sie aber noch lange nicht. Dies ist auch die Meinung von Stephan Montangero, Generalsekretär des Vereins «Fourchette Verte». Der Verein zeichnet Restaurants mit Qualitäts-Labels aus. Leider gibt es nur wenig Firmenrestaurants, welche die Auszeichnung verdienen: «Die meisten Kantinen verlassen sich eher auf festgefahrene Angewohnheiten. Denn die Caterer sagen sich oft: Bis jetzt haben sich Schnitzel und Pommes gut verkauft (siehe Rangliste der beliebtesten Kantinenmenüs). Warum sollte ich denn auf etwas anderes umsteigen?»

Mitarbeiter sollen zahlen

Entscheidend für eine korrekte Ernährung ist aber vor allem eine konstante Absprache zwischen allen Teilnehmern: Geschäftsführung, Mitarbeitern und Catering-Personal. «Die Gesundheitsförderung muss in der Unternehmensphilosophie verankert sein», sagt Expertin Corinna Krause. «Denn jedes Unternehmen tickt anders. Je mehr freie Wahl bei der Menügestaltung, desto zufriedener und produktiver sind die Mitarbeiter.» Diesem Prinzip gemäss gingen die «Good Practice»-Experten in einige schweizerische Unternehmensrestaurants, um dort Anregungen zu sammeln und neue Konzepte auszuprobieren.

Eines von diesen Unternehmen ist das Kernkraftwerk Gösgen-Däniken. Dank der Zusammenarbeit mit der Universität Bern ereignete sich hier im Jahr 2010 eine kleine Revolution. Anstatt lange anzustehen, können sich die Kantinengäste frei zwischen verschiedenen Stationen bewegen, die ihnen ein vielfältiges Angebot zur Auswahl stellen. «Auf dieser Weise gibt es weniger Stress und jeder Mitarbeiter kann seinen Teller genau so gestalten, wie er will», sagt der Sicherheitsbeauftragte des Kraftwerks, Daniel Berchtold.

Es kostet eine Stange Geld

Um die Vorschläge der «Good Practice»-Experten in die Praxis umzusetzen, nahm das Unternehmen laut Berchtold viel Geld in die Hand. Schliesslich kostet die Zubereitung der Menüs mit regionalen Produkten deutlich mehr. Firma und Mitarbeiter haben sich aber dafür entschieden, sich diese Extraausgaben zu teilen. Für Ernährungsexpertin Krause ist dieses Modell vorbildhaft: «Information, Qualitätskontrolle und eine enge Zusammenarbeit zwischen Unternehmensführung, Mitarbeitern und Catering sind die entscheidenden Elemente einer dauerhaften Good Practice in der Kantine.»