D ie Frage nach der Visitenkarte am Ende des Gesprächs löst bei Olav Noack eine fieberhafte Suche aus. Im Kittel am Kleiderbügel wird er schliesslich fündig und überreicht das kleine Stück Papier ohne Pathos.
Im Gegensatz zu anderen Topshots der Schweizer Wirtschaft wirkt der neue CEO der Basler Versicherungen weder marketinggetrieben noch prestigefixiert. Auf seinem Sitzungstisch liegt kein Geschäftsbericht und auch keine Markenfibel, wenn Besuch kommt. Um den Fotografen zu befriedigen, legt die Journalistin ihre eigenen Exemplare vor Olav Noack hin.
Was beim neuen Vorsitzenden zählt, ist die Persönlichkeit. Taten statt Worte und eine liberale Grundhaltung sind ihm wichtig. Er steht offen zu seinen Gefühlen und spricht im besten Sinn unzensuriert. Dadurch strahlt der 41-jährige Manager eine ansteckende Frische und Echtheit aus.
Noch weitgehend unbekannt
Auf diese Unverbrauchtheit angesprochen, bemerkt er schmunzelnd: «Dass es noch keine Schlagzeilen gibt über meine Person, spricht für mich, oder?» Nicht, dass er noch nie versagt hätte: «Jeder, der arbeitet, macht Fehler und erlebt Brüche im Leben, also auch ich. Dass sich Menschen und Unternehmen unterschiedlich entwickeln, finde ich absolut normal», sagt Noack, der sich für die Biografien charakterstarker Menschen interessiert.
Wichtig sei, trotz Stolpersteinen die passende Strategie zu finden und konsequent zu fahren, erklärt er. Genau dies sei in der momentanen Wirtschaftslage so schwierig: «Befinden wir uns noch in einer Krise, oder ist das jetzt schon der Crash?», frage er sich täglich. «Denn die beiden Szenarien führen zu Handlungen, die sich massiv unterscheiden. Entweder die Welt droht unterzugehen, man fällt Bäume und baut sich rechtzeitig eine Arche Noah; oder man kann die Bäume stehen lassen und sich an der Natur erfreuen. Diese beiden Ausgangslagen dürfen auf keinen Fall verwechselt werden.»
Keine Slums wie in London
Nicht dass die Schweiz ein Sonderfall wäre, betont der schweizerisch-deutsche Doppelbürger in seinem hochdeutschen Idiom: «Soeben aus Grossbritannien kommend, kann ich Ihnen versichern, dass wir hierzulande noch auf der Insel der Glückseligen leben.» In London sei es die Norm, dass Angehörige des Mittelstands ihren Job verlören und deshalb ihr Haus aufgäben, den Stadtteil wechseln und die Kinder aus der Schule nehmen müssten. So extrem ist es in der Schweiz nicht: «Hier gibts ja gar keine Slums.»
Für ihn persönlich sei daher klar, dass er versuche, Visionen zu entwickeln und die aktuelle Krise als Chance zu betrachten. «Jetzt ist es noch wichtiger als je zuvor, dass Leader über Werte und Visionen verfügen. Und dass wir einander Verantwortung übergeben.» Eine «Leistungskultur mit sozialer Verantwortung» favorisierend, gibt Olav Noack seine christliche Überzeugung preis. «Ich bin zwar kein fleissiger Kirchgänger, aber ich orientiere mich in meiner Lebensweise an den christlichen Grundwerten in den Zehn Geboten.»
Zu seiner klaren Haltung zählt, dass Noack stolz ist auf seine Gattin und die wenige Monate alte Tochter. «Als frisch gebackener Familienvater ist für mich die langfristige Planung wichtig geworden», erzählt er freimütig. «Ich will nun wissen, ob die Ausbildung meiner Tochter auch dann gesichert wäre, wenn ich fehlen sollte.»
Mit dem Bedürfnis nach Vorsorge ist der Vorsitzende der Geschäftsleitung Schweiz und zugleich Mitglied der Konzernleitung der Bâloise am perfekten Platz. Speziell ist, dass Olav Noack ein Ausnahmetalent ist und den Draht hat zu Versicherungs- wie zu Bankprodukten.
Nach dem Studium arbeitete er bei McKinsey als Berater für Versicherungsunternehmen, dann wechselte er zur UBS als Versicherungsspezialist und von dort zu Barclays. «Von dieser Firma habe ich gelernt, dass es sich lohnt, das Versicherungsgeschäft total psychologisch anzugehen. Zu den Kernfragen von Barclays zählt: Wie gehen unsere Kunden mit Geld um? Wie sind ihre Charaktereigenschaften? Wofür leben sie? Solche Themen lassen sich nicht nur rational beackern.»
Wie geht denn der bankgestählte und versicherungsgeschulte Herr Noack mit seinem eigenen Geld um? Die Antwort kommt postwendend: «Ich bin ein sehr konservativer Anleger, wenn es um das Thema Sicherheit geht. Allerdings habe ich in diesen Dingen nicht viel zu entscheiden, denn meine Frau ist der CFO. Sie würde übrigens nie zulassen, dass ich mit Geld spielen würde. Zum Glück will ich das auch nicht.»
Damit sei nicht gemeint, dass er geizig sei, betont Olav Noack. «Bis zur Geburt unserer Tochter genossen wir das Ungebundensein. Wir verbrachten unsere Freizeit mit Reisen, die nicht luxuriös waren, aber trotzdem viel kosteten, da wir ferne Ziele ansteuerten. Während Freunde von uns ein Vermögen in Luxushotels ausgaben, fuhren wir auf unserer Hochzeitsreise durch Kirgisien und Kasachstan. Solche Erlebnisse haben uns Religionen und Kulturen näher gebracht, die wir sonst nie kennengelernt hätten.»
Umso leichter falle es ihm heute, sich täglich zu fragen, wer sein Kunde sei, was für Grundbedürfnisse dieser habe und welches der beste Weg ans Ziel sei. «Fragen Sie meine Mitarbeitenden: Ich will unbedingt meine Kunden begeistern! Dies auch im persönlichen Kontakt. Meine Kundenfokussierung ist so extrem, dass mein Team mich mitunter auslacht.» Und doch glaube er an die 360-Grad-Sichtweise. Die Kundenorientierung sei «die Mammutaufgabe jedes Unternehmens», glaubt Noack und erwähnt mit einem Lächeln, er sammle zurzeit Erfahrungen als Neukunde der Basler Versicherungen ...
Fleiss und viel Erfahrung
Kundenkontakte bedingen Akzeptanz. Angesichts der klimatischen Störung zwischen Deutschland und der Schweiz sei die Frage erlaubt: Herr Noack, wie hat die Basler Bevölkerung Sie aufgenommen? «Fantastisch! Die Menschen wie auch das Unternehmen Basler Versicherungen haben uns einen warmherzigen Empfang bereitet, der meine Frau und mich überwältigt hat. Die Basler bringen uns viel Respekt entgegen, was mit unserer Lebensphilosophie gut übereinstimmt. Daher fühlen wir uns bereits gut integriert.» Nach Wohnerfahrungen in Berlin, Düsseldorf, Chicago, Zürich, Augsburg und London könne man sich keinen idyllischeren Wohn- und Arbeitsort vorstellen.
Was war das Motiv der Basler Versicherungen, Olav Noack den Chefsessel zu überlassen? Im verwinkelten Firmengebäude nahe des Basler Bahnhofs sieht der CEO seine Aufgabe klar: «Um mit Aussensicht Wachstum zu erzeugen, wurde ich ausgewählt. Dies dank meines bisherigen Leistungsausweises.» Als Berater habe er seine Resultate vor allem mit Fleiss erzeugt, blickt Noack einige Jahre zurück. Inzwischen habe sich viel Erfahrung dazugesellt. Olav Noack möchte stets sicher sein, dass er das Richtige tut. Das passt gut zu einem Unternehmen, das von sich sagt: «Wir machen Sie sicherer.»
Herr Noack, wann erlebten Sie die längste Minute Ihres Lebens? «Als meine Freundin an Krebs starb. Sie war 18, ich 19 Jahre alt, und wir waren schon seit drei Jahren ein Paar.» Diese frühe Erfahrung mit dem Tod habe ihn, der als Musterknabe in einer heilen Familie aufwuchs, Demut beigebracht. «Ich hatte gelernt, dass man sich durch Leistung alles erarbeiten konnte und auch musste. Nun kam plötzlich eine neue Dimension hinzu: Die des Schicksals.» Dies habe ihm eine Portion Disziplin in die Tasche gesteckt und ihn dazu gebracht, nicht einen Beruf, sondern seine Berufung auszuleben.