Den Milliardären bläst der Wind ins Gesicht – oder zumindest ein Lüftchen: Das Gesamtvermögen der Superreichen ging im vergangenen Jahr um 300 Milliarden auf 5,1 Billionen Dollar zurück. Das geht aus dem Billionaires Report der Grossbank UBS und des Beratungsunternehmens PwC hervor. Durchschnittlich besass 2015 jeder Milliardär noch 3,7 Milliarden Dollar, im Vorjahr waren es noch 4,0 Milliarden.
Im Bericht wird der Rückgang unter anderem mit Vermögensübertragungen innerhalb von Familien begründet. Demzufolge leben in Europa die meisten Mehrgenerationen-Milliardäre, denen es am besten gelang, ihre Vermögen zu erhalten. Mitautor Marcel Widrig von PwC erkärt, warum die Schweizer so gut darin sind, ihr Vermögen weiterzugeben und zu bewahren, was einen Selfmade-Milliardär von einem reichen Erben unterscheidet und welche Lehre Schweizer Milliardäre aus dem rasanten Zuwachs der Superreichen in Asien ziehen kann.
Herr Widrig, rund 460 Milliardäre werden ihren Nachkommen in den kommenden 20 Jahren rund 2,1 Billionen Dollar vererben. Wie viel davon in der Schweiz?
Marcel Widrig: In der Schweiz gibt es 33 Milliardäre, die zusammen ein Vermögen von rund 94 Milliarden Dollar halten. Von denen ist ein Drittel über 70 Jahre alt, die etwas mehr als ein Drittel des Vermögens, rund 34 Milliarden Dollar, besitzen.
Laut Ihrem Report ist in Europa das Vererben fast schon Routine – besonders in der Schweiz und Deutschland, wo der Anteil der etablierten Milliardärsdynastien am höchsten ist. Warum sind Schweizer so gut darin, das Vermögen weiterzugeben und zu bewahren?
Einerseits förderte das über Jahre stabile wirtschaftliche Umfeld, gepaart mit der Offenheit der Volkswirtschaft, die Bildung grosser Vermögen. Andererseits begünstigten Rechtssicherheit und tiefe Erbschaftssteuern die Bewahrung und Übertragung der Unternehmen auf die nächste Generation. Der dritte Grund, über Generationen in der Liga der Milliardäre zu bleiben, liegt darin, dass meistens die hohe Renditen abwerfenden Unternehmen innerhalb der Familie weitergegeben werden und Firmen seltener verkauft werden, wie es bei den Amerikanern viel häufiger der Fall ist.
Worauf kommt es an, damit das Vermögen erfolgreich übertragen wird und über mehrere Generationen erhalten bleibt?
Neben dem oben beschriebenen rechtlichen und steuerlichen Umfeld bedarf es einer von Beginn weg klaren Regelung bezüglich der Einflussnahme der Familie auf das Unternehmen. Diese Family Governance bedeutet in vielen Fällen, von einem «Family over Firm»-Modell hin zu einem «Firm-over-Family»-Modell zu wechseln. Gerade bei grösseren Familien, welche noch am Unternehmen beteiligt sind, ist eine klare Abgrenzung von Familien- und Unternehmensinteressen essentiell, damit das Unternehmen langfristig wachsen kann und nicht von familieninternen Querelen oder durch eine orientierungslose Führung zurückgebunden wird. Europa besitzt zudem eine im Vergleich zu anderen Regionen lange Tradition grosser Vermögen, sodass sicher auch ein grösseres Wissen um die erfolgreiche Beibehaltung grosser Vermögen im Familienbesitz vorhanden ist.
Wie sehen diese Strukturen aus?
Typischerweise werden bei einer Vielzahl an Familienmitgliedern die Interessen der einzelnen im Rahmen einer Gesellschaft oder eines ähnlichen Vehikels gebündelt. Alternativ dazu wird die Anzahl an Familienmitglieder, welche am Unternehmen beteiligt bleiben, tief gehalten. Das erfordert aber vielfach erhebliche Mittel, um die ausscheidenden Familienmitglieder abzufinden. Unabhängig von den Strukturen ist es wichtig, dass Prozesse bestehen, welche die Familien- und Unternehmensinteressen regelmässig aufeinander abstimmen lassen.
Sie schreiben in Ihrer Studie «Wer Vermögen hat, steht vor schwierigen Anlagefragen». Was heisst das konkret und was raten sie?
Die Situation an den Finanzmärkten betrifft auch die Milliardäre. Denn sie brauchen Wachstum und Gewinn, um ihr Vermögen weiter vermehren und ihr Vermögenslevel auch mit einer grösseren Familie halten zu können. Idealerweise gelingt ihnen das mit ihrem Geschäft. Doch genügt das nicht mehr, müssen sie neue Geschäftsfelder erschliessen – oder an den internationalen Finanzmärkten investieren. Bedingt durch das dortige Umfeld wenden sich die Milliardäre aber derzeit verstärkt den Private-Equity-Märkten zu, was wiederum mit höherem Risiko verbunden ist.
Worin unterscheiden sich jene Milliardäre, die viel geerbt haben von Selfmade-Milliardären?
Milliardäre, die ihr Vermögen selbst erwirtschaftet haben, zeichnen sich durch drei Charakterzüge aus: Erstens haben sie ein «smart risking taking», sie sind also bereit, «smarte» Risiken einzugehen. Sie befürchten weniger, das Ganze an die Wand zu fahren. Stattdessen sehen sie das Risiko darin, dass sie mit ihrer Idee nicht möglichst viel vom Markt einnehmen können. Zudem haben sie zweitens einen klaren Business-Fokus und unterwerfen alles dem Geschäft. Und drittens sind sie absolut entschlossen in dem, was sie tun.
Asien, allen voran China, brachte 2015 praktisch alle drei Tage einen Milliardär hervor, was vor allem dem aufstrebenden Technologie-Sektor zu verdanken ist. Wird das in Zukunft so bleiben?
Die Entwicklung wird sich in Zukunft wohl etwas abschwächen. Aber von der Tendenz, die wir beobachten, wird es sicherlich so weitergehen. Denn nach wie vor bietet vor allem Asien und dort insbesondere China ideale Bedingungen rasch zu wachsen und Vermögen aufzubauen.
Welche Lehre können Schweizer Milliardäre aus dem schnellen Zuwachs der Milliardäre in Asien ziehen?
Dass es immer mehr Tech-Milliardäre gibt und der Bereich grosses Potenzial birgt. So entwickelt sich in den USA das Vermögen der Jung-Milliardäre besser als das der etablierten Milliardäre. Vor allem die USA war diesbezüglich die treibende Kraft und hat entsprechend die meisten Milliardäre hervorgebracht. Europa hat indes den Zug des Technologiewachstums in den letzten 20 bis 30 Jahren etwas verpasst, wodurch es auch weniger neue Milliardäre gab. Die Schweiz hat im Bereich der Technologie-Förderung in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht, auch wenn der Abstand beispielsweise zu den USA nach wie vor erheblich ist.
Glauben Sie, dass es künftig auch mehr Tech-Milliardäre in der Schweiz geben wird?
Das wird schwierig, da der heimische Markt nicht so gross ist. Um grosse Vermögen zu verdienen, muss aber ein grosser Markt vorhanden sein. Das bedeutet, dass viele gute und zukunftsweisende Ideen von Tech-Unternehmern eher früher als später von global tätigen Konzernen erworben werden. Allerdings entstehen an den beiden ETHs in Zürich und Lausanne wie auch an den einzelnen Universitäten in der Schweiz verstärkt vielversprechende Start-Ups. Diese stärken den Tech-Bereich insgesamt, inklusive Bio-, Medizinal- und Molekulartechnologie, was ein gutes Umfeld für neue grosse Vermögen bildet.
Was bedeutet die Entwicklung für die etablierten Milliardäre, die ihr Vermögen in anderen Bereichen generiert haben?
Sie müssen auf die technologischen Entwicklungen – hier dient die Industrie 4.0 als Schlagwort – reagieren, vor allem wenn sie im Retail- und Konsumentenbereich tätig sind. Ansonsten wird ihr Geschäft irgendwann von Amazon und Co. verdrängt.