Kürzlich erzählte mir der CEO eines Industrieunternehmens, dass er einen Quantensprung in Sachen Digitalisierung plane: «Ich habe einen neuen, topqualifizierten IT-Spezialisten eingestellt, der sich um alles kümmert.» Oje, dachte ich, und nahm ihn in einer ruhigen Minute zur Seite. Der CEO war auf dem besten Weg, einen Kardinalfehler zu begehen.
75 Prozent der Schweizer KMUs sind aktuell ohne klaren Plan auf dem Weg in ihre digitale Zukunft – und verpassen es so, wirtschaftliche Chancen zu erschliessen. Allzu oft wird die digitale Transformation an einen IT-Experten delegiert, ein Vorgehen, wie es bis vor rund zehn Jahren durchaus Sinn machte.
Digitalisierung bedeutete damals in vielen Unternehmen, dass einzelne Prozesse mit IT unterstützt werden. Dabei wurden analoge Papierdokumente auch durch digitale Informationsformate abgelöst. Das ist – zumindest bei den meisten Firmen – Geschichte.
Aus Marketingstrategie wurde digitale Marketingstrategie
In einem nächsten Schritt modernisierten manche Unternehmen einzelne Bereiche mit digitalen Elementen: Die bewährten Strategien von Zeit zu Zeit aufpolieren – das hatte über Jahrzehnte hinweg doch gut funktioniert. So ergänzten sie die Marketingstrategie mit einer digitalen Marketingstrategie oder verstärkten die Vertriebsstrategie mit digitalen Kanälen.
Doch auch das reicht in Zeiten disruptiven Wandels nicht mehr. Heute sollten Firmen ihre gesamte Unternehmensstrategie konsequent digital weiterentwickeln, wenn sie erfolgreich bleiben wollen. Die digitale Transformation erfordert eine Kombination von Veränderungen in Strategie, Geschäftsmodell, Organisation, Prozessen und Kultur.
Bramwell Kaltenrieder ist Professor für Digital Business und Innovation an der Berner Fachhochschule sowie Jurypräsident des Digital Transformation Awards. Zudem ist er seit über 20 Jahren im Digital Business als Unternehmer tätig, unter anderen als Konzernleitungsmitglied der Goldbach Gruppe. Heute berät er als Gründer der Exploit Management Advisory GmbH Unternehmen im Bereich der digitalen Transformation.
Es wäre also leichtsinnig, das Schlüsselthema Digitalisierung einer kompetenten, aber subalternen Einzelperson zu überlassen, wie das der erwähnte CEO tun wollte. Nur wenn der digitale Wandel von ganz oben – von Geschäftsleitung und Verwaltungsrat – geplant, gesteuert und gepusht wird, gelingt es mit dem integrierten Einsatz digitaler Technologien, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Sonst drohen teure Leerläufe, enttäuschte Kunden und Mitarbeitende – und im schlimmsten Fall das Aus.
Zwei Lösungsansätze
Wie geht die Unternehmensspitze bei der Strategieentwicklung konkret vor? Hier empfehle ich zwei Lösungsansätze:
- Entweder Sie erstellen eine separate Digitalstrategie und nutzen Sie als Führungsinstrument.
- Oder Sie integrieren alle Aspekte der digitalen Transformation in eine neue Geschäftsstrategie.
Was ist erfolgsversprechender? Der zweite Ansatz entspricht dem klassischen Verständnis des Strategischen Managements und verspricht eine gesamtheitliche Beurteilung verschiedener strategischer Veränderungen, der Unternehmenssituation und der resultierenden Optionen.
Haben Sie Fragen zu Inhalt und Umsetzung der digitalen Strategie in Ihrem Unternehmen? Dann schreiben Sie Prof. Kaltenrieder ein Email: bramwell.kaltenrieder@exploit-advisory.ch.
Fragen von allgemeinem Interesse werden in demnächst hier beantwortet.
In der Praxis habe ich bei meiner Beratungstätigkeit jedoch oft erlebt, dass Unternehmen eine separate Digitalstrategie vorziehen. Zum Beispiel, wenn eine Firma die Geschäftsstrategie eben erst überarbeitet hatte und den Aufwand scheute, die Übung zu wiederholen.
Das Logistikunternehmen Rhenus Alpina AG etwa hatte die Strategie für ihre fünf Tochter-Gesellschaften neu geschrieben, bevor ich beigezogen wurde. Da wollten wir nicht nochmals neu ansetzen – und haben eine Digitalstrategie für die ganze Gruppe erstellt, die mit der bestehenden Strategie abgestimmt ist.
Gerade wenn die Digitalisierung in einem Unternehmen bisher wenig Gewicht hatte, kann eine dezidierte Digitalstrategie zusätzliche Kräfte frei machen und mehr Aufmerksamkeit generieren. Auch wenn man unsicher ist, wie gross die Bedeutung der Digitalisierung für die eigene Firma ist, macht ein solcher Ansatz Sinn.
So oder so ist es besser, das Thema zügig anzugehen, anstatt es aufgrund von Unsicherheiten auf die lange Bank zu schieben.
- KMU-Studie «Digital Switzerland».
- «Digital Transformation and Maturity Report» (Back, Berghaus, Kaltenrieder 2017).