Mit Jeannette Büchel kam Farbe ins Büro: Wo vorher eine kahle Wand war, hängt jetzt ein buntes Plakat mit Kinderbuchfiguren – Globi, Schellenursli und Tigerente lassen grüssen. Die Redaktorin vom Konsumentenmagazin «Saldo» mag die Sujets. «Ab und zu werfe ich einen Blick auf sie und freue mich über die bunte Fantasiewelt.» Für sie steht fest: Ins Büro gehören ein paar persönliche Sachen, sie tragen zu einer angenehmen Atmosphäre bei. «Nur wenn ich mich wohl fühle, bin ich produktiv.»
Hang zum Nestbau
Mehrere Stunden am Tag verbringt der Büromensch an seinem Schreibtisch. Kein Wunder, will er es dort angenehm haben. Ausgeprägt ist der Hang zum Nestbau vor allem in durchgestylter Umgebung und an nüchternen Computer-Arbeitsplätzen. Vielleicht brauche es gerade dort etwas Individualität, Wärme, ja Kitsch sogar, sagt der Zürcher Arbeits- und Organisationspsychologe Ivars Udris. Mehr noch: Kurdin Sedlacek vom Badener Institut für Arbeitsmedizin ist überzeugt davon, dass persönliche Sachen die Produktivität steigern (siehe «Nachgefragt»). Zudem: Firmen, bei denen Schreibtisch-dekorationen erlaubt sind, zeigen damit, dass sie ihre Mitarbeiter schätzen. Vorgesetzte respektieren das Bedürfnis, sich ein ansprechendes Umfeld zu schaffen. Damit sei nicht gemeint, sich eine komplette Wohnstube einzurichten, findet Jeannette Büchel. Das wäre dann doch eine Zumutung für die Kollegen. Es gehe darum, den einen oder anderen persönlichen Akzent zu setzen.
Kreativ-Tischchen in der Ecke
Eine kleine Umfrage unter vier Schweizer Firmen zeigt: Sie tolerieren die Liebe zum Ausschmücken – in gewissem Rahmen. Voraussetzung: Kollegen und Kunden stören sich nicht am Deko-Material. Grundsätzlich sei der Arbeitsplatz natürlich zum Arbeiten gedacht, heisst es etwa bei den SBB. Aber es sei auch wichtig, dass sich die Mitarbeiter wohl fühlen. Dann arbeite man umso lieber und damit effizienter und besser. Und deshalb dürfen Privatsachen mitgebracht werden, freilich in vernünftigem Mass.«Selbstverständlich ist es bei uns erlaubt, Schreibtische zu dekorieren», lautet die Auskunft beim Krankenversicherer Helsana. Familienfotos, Stofftierchen, Maskottchen, Skulpturen – der Fantasie seien keine Grenzen gesetzt. Allerdings gibts eine Reihe von Regeln: Keine Nacktbilder, aus hygienischen Gründen keine Topfpflanzen, keine lärmigen Gadgets, keine Behälter mit Lebewesen wie Goldfische oder Spinnen, keine gefährlichen Sachen wie Pfeffersprays.
Der Stier und der Jaguar
Zudem sollte der Schreibtisch nicht mit Gegenständen überladen sein. Und im Kundenbereich gibt es für Privates eine Kreativ-Tafel, im rechten Winkel zum Schreibtisch. Bei Swiss Life gilt gar eine Clear-Desk-Policy: Nach Arbeitsschluss wird aufgeräumt.Übrigens: Auch Chefs lieben Privatsachen. Was bei ihnen auf den Tischen steht, war aber nicht überall zu erfahren. Das sei persönlich und soll es auch bleiben, hiess es bei Post und der Swisslife. SBB-Chef Andreas Meyer hat Familienbilder auf seinem Tisch. Detailliert die Angaben bei der Luzerner Kantonalbank: Rechts auf dem Pult von Bernard Kobler steht eine kleine Stier-Skulptur, ein Geschenk von einem seiner ersten Kunden. Eine verchromte Jaguar-Figur findet sich ganz links auf dem Tisch, ein Hinweis darauf, dass der Bank-Chef Freude an jenen edlen Automobilen hat. Helsana-Chef Manfred Manser hingegen bevorzugt es puristisch in seinem bescheidenen Büro. Sein Schreibtisch ist gänzlich undekoriert.
NACHGEFRAGT
Curdin Sedlacek, Institut für Arbeitsmedizin, Baden
«Vor dem Aufreihen von Comicfiguren erst das Gegenüber fragen»
Mit welchen persönlichen Gegenständen haben Sie Ihren Arbeitsplatz dekoriert?
Curdin Sedlacek: Ich habe unter anderem eine Postkarte aufbewahrt, die mir meine Kollegen am ersten Arbeitstag geschenkt haben, und den Flyer eines Strassentheaters.
Warum ausgerechnet diese beiden Sachen?
Sedlacek: Ich hänge daran. Über den Willkommensgruss meiner Kollegen habe ich mich sehr gefreut, und beim Strassentheater habe ich viel gelacht. Beide Sachen stellen mich auf.
Sie verbinden gute Erinnerungen mit den Dingen?
Sedlacek: Genau, und ich denke, das dürfte einer der wichtigsten Gründe dafür sein, warum per-sönliche Gegenstände am Arbeitsplatz so beliebt sind. Fotos, Plakate, Maskottchen oder Plüschtiere sind mit einem bestimmten, idealerweise positiven Gefühl verbunden. Das funktioniert ähnlich wie mit Musik, die wir besonders mögen. Und dieses gute Gefühl trägt dazu bei, dass wir uns am Arbeitsplatz wohl fühlen.
Lenken Fotos oder Plakate nicht vom Wesentlichen, nämlich von der Arbeit, ab?
Sedlacek: Sie lenken uns gelegentlich ab, aber das ist gut so. Niemand kann sich über längere Zeit hundertprozentig auf ein und dieselbe Aufgabe konzentrieren. Aus der Forschung weiss man, dass die Leistungsfähigkeit dann am höchsten ist, wenn man nach jeder Stunde eine Kurzpause von wenigen Minuten macht. Wir können uns die Beine vertreten, einen Kaffee trinken oder eben für kurze Zeit unsere Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand lenken, den wir besonders mögen. Das kann helfen, neue Kräfte zu schöpfen. Und dazu beitragen, dass die Arbeit wieder flotter von der Hand geht, wenn man einen Hänger hat.
Kann es negative Folgen haben, wenn eine Firma ihren Mitarbeitern verbietet, es sich am Arbeitsplatz ein bisschen gemütlich zu machen?
Sedlacek: Ja. Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem es ein Unternehmen untersagt hatte, Bilder aufzuhängen. Dies mit der Begründung, der Architekt wünsche es nicht. Dass man damit das makellose Design über ihre Bedürfnisse gestellt hatte, verstörte die Mitarbeiter regelrecht. Ein Verbot, den Arbeitsplatz persönlich zu gestalten, nehmen Mitarbeiter schnell als Akt fehlender Anerkennung und Wertschätzung wahr.
Wann geht die Dekorationsliebe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu weit?
Sedlacek: Inakzeptabel sind auf jeden Fall Bilder oder Gegenstände mit diskriminierendem oder sexistischem Inhalt. Viele Firmen legen darüber hinaus Wert auf einheitliches Auftreten, vor allem im Kundenbereich. Zu viel Persönliches wäre dort störend. Konfliktpotenzial bergen zudem Gemeinschafts- und Grossraumbüros. Bevor man anfängt, eine ganze Palette von bunten Comicfiguren aufzureihen, sollte man erst einmal sein Gegenüber fragen, ob er oder sie damit leben kann.