Der Hauptsitz der Migros Bank an der Schweizergasse 22 in Zürich ist so versteckt und unscheinbar, dass man bei einem Termin besser genügend Zeit für die «Spurensuche» einplant. Das Institut ist in diesem - beschönigend ausgedrückt -schmucklosen Gebäude übrigens nur eingemietet. Einzig die überlebensgrosse Plastik des Künstlers Kurt Laurenz Metzler im Eingang gehört der Bank. Aber auch sie wurde nicht etwa gekauft, sondern ist ein Geschenk des Migros-Genossenschafts-Bundes.
Mit dem Lift geht es in den zweiten Stock, wo keine Empfangsdame, sondern der Chef persönlich im Entrée wartet. Es ist eigentlich gar keines im herkömmlichen Sinn, sondern eher eine Art Durchgangsstation. Nedwed führt auch nicht in ein gestyltes Büro, sondern in einen nüchternen Arbeitsraum - zwar nicht gerade mit Micasa-Mobiliar ausgestattet, aber sehr schlicht. Bei so viel Sparsamkeit würde sich Gründer Gottlieb Duttweiler hier bestimmt «vögeliwohl» fühlen, wie er gerne zu sagen pflegte.
Die M-Watch an Nedweds Handgelenk passt zum Interieur. «Ist übrigens meine teuerste Uhr», sagt er. Ist das alles nur kokettes Understatement? Wahrscheinlich nicht: Dieser Mann ist kaum per Zufall bei der Migros Bank gelandet. Nach seinem Studium an der Universität Basel und einer Laufbahn als Assistenzprofessor fühlte er sich hingezogen zur unaufdringlichen Geschäftsphilosophie dieser Bank.
Ebenso gefiel ihm die charismatische Art des Chefs Erich Hort, bei dem er als persönlicher Mitarbeiter anheuerte und den er Jahre später ablöste. Allerdings erst nach einem Abstecher in die damals noch heile Welt der Grossbanken und des Investment Banking. «Dieses Verständnis von Risk-Management konnte ich schon damals nicht teilen», erzählt Nedwed. Als ihn Hort einmal anfragte, ob er nicht als CFO und gleichzeitiger Leiter des Sitzes in Basel zurückkommen wolle, sagte er deshalb spontan zu. Zumal er seine Anfangszeit bei der Migros Bank in bester Erinnerung behalten hatte.
Über sich selbst lachen können
Als Jungakademiker - das war Mitte der 80er-Jahre - konnte er so richtig aus dem Vollen schöpfen. «Die Unternehmen kamen zu uns in die Uni und überreichten ihre Visitenkarten, damit wir uns bei ihnen meldeten.» Beste Voraussetzungen für die, welche lange nicht wissen, wo sie ihre beruflichen Zelte aufschlagen wollen.
So einer war auch Nedwed. Er hätte am liebsten alles gleichzeitig gemacht, schon in seiner Gymnasialzeit - wofür seine guten Noten in allen Hauptfächern Zeugnis ablegen -, aber auch später in seiner akademischen Laufbahn. Als er damals gefragt wurde, in welcher Richtung er seine berufliche Entwicklung sehe, sagte er: «Überall dort, wo ich alle zwei Jahre etwas Neues beginnen und viel bewegen kann - etwa ein Hotel führen, als Ski- oder Tennislehrer arbeiten, als Truckfahrer unterwegs sein oder am Cern-Institut forschen.»
«Das war natürlich nicht realisierbar», blendet er in jene Zeit zurück und lacht. Das fällt auf an ihm: Er scheint sich selber nicht so ernst zu nehmen. Ihn belustigen eigene Fauxpas. Als er in seiner Basler Zeit in knallroten Surferhosen eine Vorlesung hielt und sein Vorgesetzter von besorgten Kollegen aus dem konservativen Lager darüber informiert wurde, sagte dieser nur: «Ich hörte, dass die Vorlesung gut war - und die Kleidung interessiert mich nicht.»
Und als er seine Frau, die an einem Gymnasium Biologie unterrichtet, auf einer Schulreise im Planwagen durch Ungarn begleitete, fragten ihn die Girls, welchen Beruf er habe. Da sagte er sinngemäss: «Ich bin Banker.» Die Reaktion der Schülerinnen hat ihn königlich amüsiert. Sie fanden nämlich: «Schade, wir dachten schon, Sie machten etwas Tolleres.»
Nedwed scheut sich auch nicht zu erzählen, wie er auf das Studium der Nationalökonomie gekommen ist. «Weil ich mich nach dem Gymnasium nicht für eine bestimmte Studienrichtung entschliessen konnte, fragte ich einen guten Freund, wozu er sich entschieden habe. Er sagte, dass er rer. pol. wähle, wie die Wirtschaftswissenschaften in Basel hiessen, und musste mir zuerst erklären, was das sei.» Viele in seiner Position würden eine solche Episode lieber verschweigen - Nedwed kann darüber schmunzeln.
Ehrlich ist auch seine Schilderung des «Vater-Tochter-Tags» in der Bank. «Es gibt doch nichts Schrecklicheres, als Kindern eine Bank zu zeigen - nur Schalter und Büros. An diesem Tag wäre man lieber Schreiner oder Garagist.» Nedwed tat sein Möglichstes und schleuste jeweils seine beiden Töchter durch die Migros Bank. Auch dazu gibt er eine Anekdote zum Besten: «Als wir in den Tresorraum kamen, fragte mich die eine Tochter, ob das Geld alles mir gehöre.»
Apropos Schreiner und Garagist: Auf die Frage nach in ihm schlummernden Talenten sagt er nur, dass er sich zu Hause auch nützlich machen könne. Wer jetzt das übliche Rasenmähen und Grillieren erwartet, liegt falsch. Nedwed ist quasi ein partieller Hausmann, der seiner berufstätigen Frau abnimmt, was er nur kann. Er bügelt gelegentlich sogar seine Hemden selber und kocht, was das Zeug hält. Am liebsten Fisch, aber auch Marillenknödel, Apfelstrudel, Palatschinken oder Rindsroulade. «Das hat mit meiner Herkunft zu tun, mein Vater ist gebürtiger Wiener», erklärt er diese kulinarischen Vorlieben.
Syphon flicken - ein Kinderspiel
Nedwed verlegt auch elektrische Leitungen, repariert verstopfte Syphons -, «das ist nun wirklich ein Kinderspiel» - montiert auch mal ein neues WC im Ferienchalet oder bringt einen uralten Rollladen wieder in Schuss. «Das war vielleicht eine Sisyphus-Arbeit, all die vielen alten Federn und Schrauben», sagt er und strahlt über das ganze Gesicht, weil er das hingekriegt hat.
An sich könnte Nedwed damit prahlen, dass der Migros Bank in den letzten beiden Jahren - als Folge des Vertrauensverlustes gegenüber den Grossbanken - mehr als 4 Mrd Fr. an Kundengeldern zugeflossen sind. Tut er aber nicht. Hingegen holt er mit sichtlichem Stolz den Geschäftsbericht hervor, zu dem es nichts Vergleichbares gibt: «Hochglanzfotos zur Imagepflege finden Sie in diesem Geschäftsbericht keine. Stattdessen lassen wir ganz einfach die Fakten sprechen», heisst es da auf dem Cover. Tatsächlich enthält die schlanke Broschüre keine gestellten Fotos von Verwaltungsräten und Geschäftsleitungsmitgliedern, denen man vom Schiff aus ansieht, dass sie bei einer Stilberaterin waren, auch keine zwanghaft lächelnden Sekretärinnen oder Lehrlinge, die bewusst als Gegengewicht zu den Kaderleuten abgelichtet wurden.
Grinsende Sau schlägt Rennpferd
Nedwed räumt ein, dass diese schlichte Art der Präsentation seine Handschrift trage, und dass das Echo darauf durchwegs positiv ist. Das gilt auch für das Leitbild. Dort allerdings sind ein paar Cartoons zu sehen. «Dieser gefällt mir am besten», sagt Nedwed und weist auf die Darstellung eines Pferderennens, bei dem der Jockey im Migros-farbenen Dress, auf einer grinsenden Sau sitzend, die Verfolger auf ihren hochgezüchteten Pferden weit hinter sich lässt.
Passt alles zusammen, das Büro, die Arbeitsräume, Nedweds bescheidener Auftritt und seine Lebensweise als nützliches Mitglied am häuslichen Herd. Nur nicht protzen, ist die Botschaft. Das gilt auch für die leidige Boni-Frage. Diese liegen bei der Migros Bank zwischen null und 20% des Fixlohns. Trotzdem ist die Belegschaft in den letzten zehn Jahren um 42% gewachsen. Er selber bekommt, wie alle Unternehmensleiter in der Migros-Gruppe, übrigens grundsätzlich keinen Bonus.