Mit der Nominierung zum Chef, zur Vorgesetzten geht oft ein Traum in Erfüllung. Das wollte ich schon lange einmal, denken viele. Die heutige Realität zeigt jedoch: Viele Mitarbeitende kommen mit ihrem Chef nicht klar, stellen sich gegen ihn. Dann kann der Traum rasch zum Albtraum werden.

In verschiedenen Umfragen wurden Frischbeförderte nach ihren grössten Sorgen vor dem Rollenwechsel gefragt. Am häufigsten genannt wurde die Angst, zu versagen, an zweiter und dritter Stelle standen die Befürchtungen, nicht anerkannt zu werden respektive nicht genügend Autorität zu haben. Fragt man gestandene Führungskräfte, weshalb zu Beginn ihrer Karriere einiges schiefgelaufen ist, sagen viele: «Richtig gelernt habe ich das ja nie.»

Was für ein Chef wollen Sie sein?

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Wenn Sie ein erstes Mal die Chefrolle übernehmen, ist es nützlich, sich zu überlegen, wie Sie führen wollen. Sie entscheiden, welchen Führungsstil, welche Art der Führung Sie anwenden. Die Frage ist, wie bewusst Sie das tun. Welche Vorstellungen prägen Ihre Art der Führung? Ihre bishe- rigen Erfahrungen mit Führung, vor allem auch als Geführter, spielen eine Rolle. Ihre eigene Geschichte, prägende Momente und Ereignisse haben fest verankerte Werte geschaffen und die Erwartungen geprägt, die Sie selber an sich haben.

Einerseits verändern sich durch Ihre neue Rolle die Sichtweisen und Erwartungen anderer an Sie – sei es Ihr neuer Vorgesetzter, seien es Ihre Mitarbeitenden oder Kolleginnen und Kollegen. Auch Sie selber müssen die Perspektive wechseln und akzeptieren, dass Sie nicht auf gleiche Weise wie früher erfolgreich sein können. Die Art, wie Sie Wirkung erzielen, ändert sich und ebenso Ihre Einflussmöglichkeiten. Wenn Sie den Wechsel bewusst angehen, vermeiden Sie Fallstricke und dumme Fehler. Nicht mehr das Ich steht im Vordergrund, sondern das ganze Team.

Neue Perspektive auf die eigene Arbeit

Je nach Grösse und Aufgabe Ihres Teams kann Ihr persönlicher Anteil am gemeinsamen Ergebnis immer noch hoch sein. Ein Garagenchef zum Beispiel mit einem kleinen Team packt nach wie vor selber mit an. Seine Fähigkeiten als Spezialist sind weiterhin gefragt. Aber sie reichen nicht mehr. Sobald Sie mehr als drei Mitarbeitende führen, ändern sich die Verhältnisse. Als Mitglied des Teams konnten Sie Ihre Aufgaben gut abgrenzen. Sie wussten, wie Sie die Erwartungen erfüllen konnten. Ihre Leistung steuerten Sie weitgehend selber. Nun haben Sie eine neue Aufgabe: Sie müssen dafür sorgen, dass Ihre Teammitglieder genau dies optimal tun können.

Wer vom Kollegen zum Chef wird, denkt oft, die Rolle zu wechseln, sei kein Problem: Die früheren Kolleginnen und Kollegen werden es doch weiterhin gut haben mit mir. Fehlanzeige! Diejenigen, die Ihnen vorher als Kollegen nahestanden, hoffen und erwarten, dass Sie sie wo möglich bevorzugen. Sie versuchen, die Nähe zu Ihnen auszunutzen, und suchen nach informellen Begegnungen, in denen man noch kurz dies und das besprechen, Ihnen ein paar Hinweise geben kann, was da bei wem läuft. Meist sind keine bösen Absichten im Spiel. Dennoch ist Vorsicht angesagt. Bemühen Sie sich, dass gerade diese Exkollegen Ihre neue Rolle verstehen. Das wird eine Weile dauern. Wenn Sie ein Ungleichgewicht entstehen lassen, kann das der Teamdynamik schaden.

Die ersten 100 Tage als Führungskraft

Nach den ersten 100 Tagen wird Bilanz gezogen – als neuer Bundesrat genauso wie als neue Abteilungsleiterin. Deklarieren Sie diesen Zeitraum für sich als Einarbeitungszeit, in der Sie sich vorerst in der neuen Rolle etablieren wollen. Dazu gehören Instruktionen zum Führungsprozess, zu den Führungsinstrumenten. Sie müssen in Erfahrung bringen, wie die Personalprozesse ablaufen, etwa bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter, welche Zielführungsprozesse Ihr Team und jedes Mitglied kennt und erwartet. Lassen Sie sich von Ihrem Vorgesetzten und der Personalabteilung erklären, was die üblichen Vorgehensweisen sind und welche Entscheidungskompetenzen Sie haben.

Erarbeiten Sie sich ein Verständnis von der übergeordneten Strategie, den Ihnen und Ihrem Team gesetzten Zielen, den Erwartungen der Vorgesetzten, den dringlichen Aufgaben und wichtigen Projekten. Verschaffen Sie sich Klarheit darüber, wer im Team was macht und wofür zuständig ist. Bringen Sie die Befindlichkeiten und Erwartungen der einzelnen Teammitglieder in Erfahrung, ebenso die Teamdynamik und informelle Hierarchien. Welche Ressourcen stehen zur Verfügung? Gibt es personelle Probleme, die zu lösen sind? Halten Sie die Erkenntnisse aus Ihrer Analyse mindestens in Stichworten schriftlich fest. Das ist Ihre Bestandsaufnahme, darauf können Sie immer wieder Bezug nehmen. Es ist eine Chance, die Dinge objektiv zu betrachten und eine «Aussensicht» einzunehmen.

Mythen der Führung

Mythen sind überlieferte Behauptungen und Annahmen mit Wahrheitsanspruch. Sie entsprechen oft nicht (mehr) der objektiven Realität. Ein Mythos ist zum Thema Führung immer wieder anzutreffen: Der Chef muss es besser können. Früher hatten Chefs in hierarchischen Organisationen einen grossen Wissensvorsprung. Je höher jemand positioniert war, desto grösser konnte dieser Vorsprung sein. Die wichtigsten Informationen liefen oben zusammen und wurden selektiv nach unten weitervermittelt.

Heute ist die Komplexität bei der Arbeit deutlich höher, und die Mitarbeitenden haben praktisch den gleichen Zugang zu Informationen wie ihre Vorgesetzten. Ein Chef hat bestimmt nicht mehr denselben Wissensvorsprung wie früher. Deutlich wird das vor allem da, wo direkt mit den Kunden gearbeitet wird. Die Kundenberater haben dank ihren täglichen Kontakten das Wissen über die Bedürfnisse und Befindlichkeiten der Kunden. Der Chef muss darauf vertrauen, dass dieses Wissen mit ihm geteilt wird. Er kann es nicht besser wissen, selbst wenn er eigene Kunden betreut.

Neue Verantwortung

Das hat Konsequenzen für die Führung: Gute Führungskräfte hören ihren Leuten aufmerksam zu. Das Wissen und die Sichtweise der Mitarbeitenden dienen als Grundlage für sinnvolle Entscheidungen. Ein weiterer Mythos: Der Chef ist für alles verantwortlich: Wenn es gut läuft, kriegt die Chefin die Lorbeeren, wenn es schiefgeht, hat sie versagt. Denken nicht viele so? Weshalb sollte sonst überhaupt jemand zur Chefin gemacht werden? Wenn die Dinge sich für Mitarbeitende nicht wie gewünscht entwickeln, dann muss die Chefin dafür verantwortlich sein.

Als Führungsperson sind Sie verantwortlich für das Ergebnis Ihres Bereichs und müssen dafür geradestehen. Auch sind Sie im Arbeitsprozess jederzeit für Ihre eigenen Handlungen, Entscheidungen sowie für Ihr Verhalten verantwortlich. Allerdings gilt das auch für alle anderen. Das heisst: Wenn ein Mitarbeiter sich zum Beispiel entscheidet, vor allem für sich selber zu arbeiten und weniger für das Team, hat er die Verantwortung für dieses Verhalten selber zu übernehmen. Wie Sie als Vorgesetzte dann darauf reagieren, liegt wieder in Ihrer Führungsverantwortung.

Das ist Ihre Wahl

Sie sind zudem weder für die Emotionen noch für die konkreten Handlungen noch für die Probleme anderer verantwortlich, es sei denn, Sie sind als Führungsperson selber ein Teil des Problems oder der Probleme. Ihre Verantwortung ist es, stets zu entscheiden, wie Sie mit einer bestimmten Situation, mit dem Verhalten oder den Reaktionen anderer im Team umgehen. Das ist Ihre Wahl.

 Dieser Text ist ein Auszug aus dem Titel «Plötzlich Chef. Souverän in der neuen Führungsrolle» von Claude Heini und Irmtraud Bräunlich Keller.

Das Buch ist in der Reihe «Beobachter Edition» in Zusammenarbeit mit der Handelszeitung und der Schweizer Kader Organisation SKO erschienen. Sie können es hier erstehen.